Parlament

Rede bei der Eröffnung der Wanderausstellung des Stasi-Unterlagen-Archivs in Schwerin

Das Foto zeigt eine Frau, die in einem Raum steht, und vor den um sie herum stehenden Menschen spricht. Im Hintergrund sind Stelen mit beleuchteten Ausstellungsobjekten abgebildet.

Die SED-Opferbeauftragte bei ihrem Redebeitrag zur Ausstellungseröffnung. (© Team Zupke)

Sehr geehrter Herr Minister Pegel,
sehr geehrter Herr Professor Hollmann,
lieber Burkhard Bley,
meine sehr geehrten Gäste,

vor ein paar Tagen hörte ich einen Bericht im Radio über den Weg zur Deutschen Einheit. Der Bericht setzte mit dem Mauerfall ein, gefolgt von den Zwei-Plus-Vier-Gesprächen. Und schließlich dem Einigungsvertrag und endete mit dem 3. Oktober 1990. Die Botschaft des Berichts war klar: Die Deutsche Einheit errungen durch kluge Staatsmänner an den Verhandlungstischen der Weltbühne. Ein solch einseitiges Bild erlebe ich auch heute noch leider häufig.

Wie erinnern wir uns heute an die Deutsche Einheit, an den Mauerfall und an die Jahrzehnte der Teilung? Diese Frage rückt gerade jetzt zum 35. Jahrestag des Mauerfalls noch stärker in den Fokus.

Um zu verstehen, was 1989/90 passiert ist, braucht es aus meiner Sicht den Blick zurück. Den Blick zurück auf die politischen Verhältnisse, aber ebenso auch auf den Alltag der Menschen. Das Leben in der Demokratie auf der einen und in der Diktatur auf der anderen Seite von Mauer und Grenze. 

Wenn man probiert, das Leben in einer Diktatur zu beschreiben, gibt es keine einfachen Antworten. Weder waren die Menschen in der DDR in ihrer breiten Mehrheit entschiedene Träger des Systems und einverstanden mit Repression und Unterdrückung Andersdenkender. Noch waren die meisten Menschen in einer dauerhaften Auseinandersetzung mit dem System, in Opposition und Widerstand. Gerade die Schattierungen in der Gesellschaft, das Spannungsfeld zwischen Konformität und Widerspruch, sind wichtig, um das Leben in der DDR besser zu verstehen.

Für mich ist der Tag der Deutschen Einheit, zu dem wir hier heute diese Ausstellung eröffnen, daher auch Anlass zur Reflektion: Wie war das Leben in der DDR? Wie haben sich die Menschen in dem eben beschriebenen Spannungsfeld bewegt? Und wie ist man im Westen Deutschlands mit den Menschenrechtsverletzungen in der DDR umgegangen? Warum hat man Waren aus der DDR bezogen, obwohl es immer wieder Berichte über Zwangsarbeit politischer Häftlinge gab? War man aufmerksam für das, was in der DDR passierte, oder wurde die „Diktatur vor der eigenen Haustür“ zu einer akzeptierten Selbstverständlichkeit? 

All das sind Fragen, die wichtig sind, wenn wir uns in unserer heutigen Gesellschaft mit den unterschiedlichen biografischen Erfahrungen in der Zeit der deutschen Teilung auseinandersetzen. Was heißt es in der Diktatur zu leben? 

Als SED-Opferbeauftragte des Bundestages ist es mir hierbei besonders wichtig, dass wir insbesondere auch die Menschen in den Blick nehmen, die in der Diktatur Widerstand übten. Die Widerstand übten und Opfer von politischer Gewalt wurden. Was bedeutet es in einer Diktatur zu leben?

Hiervon berichtet uns die Wanderausstellung des Stasi-Unterlagen-Archivs. Sie bietet uns einen Einblick in den Maschinenraum einer Diktatur. Im Stasi-Unterlagen-Archiv sind die staatliche Repression und der Freiheitswille der Menschen in der DDR dokumentiert. Dieses Archiv ist jedoch nicht nur ein „ostdeutsches“ Kulturgut. Die Sicherung der Akten ist ein Geschenk der Friedlichen Revolution an unsere heutige demokratische Gesellschaft. Ihr Erhalt und ihre Nutzung ist unser gesamtdeutscher Auftrag. Die Stasi-Akten können uns, wie hier in dieser Ausstellung, dabei helfen Diktatur besser zu verstehen. 

Die Stasi-Unterlagen geben Zeugnis davon, wie sehr die Menschen sich nach Freiheit und auch nach der Einheit gesehnt haben. Die tausenden Briefe, die von Ost nach West und von West nach Ost gingen. Die Fluchtversuche der DDR-Bürger und die westdeutsche Fluchthilfe. 

Bleibe ich oder gehe ich. Diese Frage stellten sich auch die Menschen, hier im heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Menschen, wie May-Britt Krüger. 

Als junge Frau, Ende der 1980er-Jahre, spürte sie wieder und wieder, dass sie mit ihrem Drang nach Freiheit an den Grenzen eines bevormundenden Staates stieß. 

Dieser Drang nach Freiheit, er lag bei May-Britt Krüger in der Familie. Schon ihr Vater probierte 1961, im Jahr des Mauerbaus, zu flüchten. Erfolglos. Was folgte war jahrzehntelange Schikane gegen ihn und die gesamte Familie. 

Im August 1989 wagten Vater und Tochter die erneute Flucht. Ihr Weg sollte über Ungarn in die Freiheit führen. Noch bevor sie sich auf den Weg machen konnten, wurden sie von der Staatssicherheit verhaftet. Verraten wurde ihr Plan. Wegen der „Vorbereitung eines Fluchtversuchs“ wurde sie zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Eineinhalb Jahre Gefängnis. Mit Anfang Zwanzig stand sie vor den Trümmern ihres noch jungen Lebens.

May-Britt Krüger hatte Glück. Im Oktober 1989 wurde sie durch die Amnestie für politische Gefangene aus der Haft entlassen. Heute lebt sie in ihrer Heimatstadt, in Rostock. Betreibt als Selbstständige einen Friseursalon und engagiert sich in der Kommunalpolitik. 

Wenn wir morgen, beim Festakt zum Tag der Deutschen Einheit, „35 Jahre Friedliche Revolution und 35 Jahre Mauerfall“ gedenken, dann denke ich ganz besonders an die Menschen, die in der SED-Diktatur für Freiheit und Selbstbestimmung gekämpft haben. An Menschen wie May-Britt Krüger, aber ebenso auch an die vielen tausenden Menschen, die in den Gefängniszellen der Diktatur gebrochen wurden und die unter den schwerwiegenden Folgen der erlebten Repression bis heute leiden. 

Wie kostbar unsere Demokratie im heute wiedervereinigten Deutschland ist, wird einem an so einem Tag besonders bewusst. Über die Diktatur aufklären, die Opfer von politischer Gewalt unterstützen und wachsam sein für die Gefährdungen für unsere heutige Demokratie. Dies sehe als unsere gesamtdeutsche Verantwortung. Nicht nur, aber auch, am Tag der Deutschen Einheit. 

Vielen Dank!