Menschenrechte

Norbert Altenkamp zur Menschenrechtslage: Wir nehmen mehr Unrecht wahr

Norbert Altenkamp (CDU/CSU)

Norbert Altenkamp (CDU/CSU) ist stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. (© DBT/Tobias Koch)

„Wir sollten das Privileg unserer freien Gesellschaft dafür nutzen, um ganz grundsätzlich und überall auf der Welt für die Menschenrechte einzutreten“, fordert Norbert Altenkamp (CDU/CSU), stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, anlässlich des Jahrestages der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte am 10. Dezember 2024. Deutschland komme dabei eine besondere Verantwortung zu, so der Politiker und bekennende Christ, und mahnt, „vergessenen Krisen“ wie die im Sudan nicht zu verdrängen. Im Interview erzählt der Abgeordnete aus dem hessischen Wahlkreis Main-Taunus außerdem, was den nichtöffentlich tagenden Menschenrechtsausschuss 2024 beschäftigt hat, über welche Möglichkeiten das Gremium verfügt, und verrät, was ihn als Menschenrechtspolitiker trotz der Fülle an Menschenrechtsverletzungen weltweit nicht verzweifeln lässt. Das Interview im Wortlaut: 

Herr Altenkamp, viele fühlen sich von einer Fülle schlechter Nachrichten überfordert. Wie düster ist es 2024 um die Menschenrechte bestellt?

Die Menschenrechtslage bleibt in vielen Teilen der Welt trotz Fortschritten in den letzten 75 Jahren bedrückend. In Ländern wie Russland oder Iran nehmen die Menschenrechtsverletzungen stark zu. Ich würde allerdings nicht sagen, dass es generell schlimmer geworden ist. Wir nehmen heute einfach mehr Unrecht wahr als früher. Die digitalen Medien sind omnipräsent. Dadurch kommt uns mehr zu Ohren, fast überall läuft heute eine Handykamera mit. Durch die weltweiten Kommunikationsmöglichkeiten erfährt die Welt über Menschenrechtsverletzungen, die autokratische Regime vor 20 Jahren vermutlich einfach hätten vertuschen können. Über die jüngsten Proteste im Iran wurde so viel berichtet. Die dichte Vernetzung lässt uns den Eindruck gewinnen, es passiere so viel mehr Schlimmes. Aber diese Vernetzung verändert auch unser Bewusstsein dahingehend, dass wir achtsamer werden. Und auf der anderen Seite steigt auch der Druck auf die Täter. 

Wo werden Menschenrechte momentan besonders massiv verletzt?

Es gehört zu einer konstanten Logik der Medienlandschaft, dass wir vor allem Krisen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft wahrnehmen. Menschenrechtsverletzungen gegen die Opposition in Russland oder auch innerhalb der EU sowie der Nahostkonflikt, wo der Mensch dem Menschen ein Wolf geworden ist, werden besonders in den Fokus genommen. Demgegenüber geraten Menschenrechtsverletzungen anderswo auf der Welt in der Berichterstattung ins Abseits. Zu diesen „vergessenen Krisen“ gehört die unmenschliche Lage der zehn Millionen mitten in Afrika Geflüchteten und Gestrandeten aufgrund des Konflikts zwischen Äthiopien und Sudan. Unter dem Schirm testet auch China gerade die Grenzen aus, wie stark oder schwach die westliche Wertegemeinschaft ist, und lauert, wann es sich vielleicht Taiwan einverleiben kann. Und schließlich leiden weltweit, aber besonders in Südamerika, indigene Bevölkerungsgruppen unter ökonomischer Ausbeutung und der Zerstörung ihrer Lebensräume. 

Neben wirtschaftlicher Gier und bewaffneten Konflikten ist vor allem das Machtstreben autoritärer Regierungen für eine Erosion der Menschenrechte verantwortlich. Was bereitet Ihnen davon momentan die größten Sorgen? 

Weltweit lässt sich beobachten, dass der Wunsch nach autoritärem Handeln zunimmt. Die große Sorge ist, dass diese Sehnsucht nach dem scheinbar attraktiveren autoritären Staat mit einer Verschlechterung der Menschenrechtslage einhergeht. Es besteht eine klare Korrelation zwischen der Zunahme autoritär regierter Länder und einer vermehrten Verletzung von Menschenrechten. 

Das ist aber doch ein pessimistischer Befund. Woher nehmen Sie dennoch die Kraft für Ihr Handeln als Menschenrechtspolitiker?

Es ist ein ehrlicher Befund, wir müssen uns ja ehrlich machen. Zur Wahrheit gehört aber auch und das stimmt mich optimistisch: Am Ende der Geschichte wird sich auch gegenüber einem noch so totalitären, menschenverachtenden System immer die Freiheit durchsetzen. Viele haben nicht an den Fall der Mauer und den Niedergang der DDR oder gar der Sowjetunion geglaubt. Aber die Geschichte hat gezeigt: Auf Dauer hat noch keine Diktatur der Welt überlebt. Der Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung hat sich stets durchgesetzt. Spätestens dann, wenn ein Autokrat das Ende seines Lebenszyklus erreicht hat und seine Position räumt, öffnet sich für die Gesellschaft in diesem Land ein Fenster, die Freiheit wiederzuerlangen. 

Das klingt fast nach einem Automatismus: Am Ende wird alles von alleine gut. Worin besteht dann genau die Aufgabe der Menschenrechtspolitik? Deutschland unterhält Beziehungen zu fast allen Ländern der Welt, darunter auch viele autoritär regierte, wir stehen für Werte, haben aber auch wirtschaftliche Interessen. Ist da ‚Wandel durch Handel‘ das Gebot und wie lange darf Wandel dauern?

Es ist wie in einer Partnerschaft, eben in einer Beziehung. Wichtig ist, in Kontakt zu bleiben und alles zu besprechen. Also, wir Bundestagsabgeordneten vom Menschenrechtsausschuss sprechen Menschenrechtsverletzungen an. Zu einer Partnerschaft gehört auch Kritik. Es ist kein Widerspruch, in dem ein oder anderen Bereich gut zusammenzuarbeiten und sich in dem anderen klar die Meinung zu sagen, den Finger in die Wunde zu legen. Es kommt aber auch stark darauf an, wie man es sagt, je nach kulturellem Kontext. Nur so kann man am Ende etwas erreichen. Und das will Menschenrechtspolitik, darüber sind wir uns im Ausschuss einig. Wir arbeiten daran, den von mir eben beschriebenen historischen Prozess, hin zur Freiheit und Rechtssicherheit für alle, zu unterstützen, und, wenn Sie so wollen, auch zu beschleunigen. Ja, es drängt letztlich alles zur Freiheit, aber wir wollen diejenigen unterstützen, die sich auch unter schwierigsten Bedingungen, oft unter Gefahr für Leib und Leben, für ihre Rechte und die Freiheit, für sich und ihre Landsleute, einsetzen. 

Kommt deutscher Menschenrechtspolitik in der Welt eine besondere Verantwortung zu? 

Wir haben eine besondere Verantwortung, uns für die Achtung und Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen. Auch wenn klar ist, dass man dabei häufig auf verlorenem Posten steht. Es kommt doch auf die Haltung an, darauf, Rückgrat zu zeigen. Daran erweist sich der Charakter einer echten, ernst gemeinten Menschenrechtspolitik. Das sage ich auch als bekennender Christ. Ohne Haltung und Charakter kann auf Dauer kein Wertesystem bestehen. Wir sollten also das Privileg unserer freien Gesellschaft dafür nutzen, um ganz grundsätzlich und überall auf der Welt für die Menschenrechte einzutreten.

Welche Themen haben den Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag 2024 vor allem beschäftigt? 

Wir haben uns vor allem mit den sogenannten „vergessenen humanitären Krisen“ wie im Sudan beschäftigt. Genauso wie mit den Krisen vor unserer Haustür, wo Menschenrechte unter die Räder kommen: im Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten. Wir haben zudem eine Bestandsaufnahme gemacht, wie es, anlässlich des 70. Jahrestages der Europäischen Menschenrechtskonvention und des 75. Jahrestages der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte um die Durchsetzung dieser Menschenrechtskonventionen bestellt ist. Weitere Schwerpunkte waren die Bekämpfung des Antisemitismus und die weltweite Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Von der Bundesregierung haben wir uns über die Menschenrechtssituation in zahlreichen Ländern berichten lassen. 

Mit dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, kurz Lieferkettengesetz, von 2023 sollte ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden, um den Schutz der Umwelt sowie von Menschen- und Kinderrechten entlang globaler Lieferketten zu verbessern…

Dieses Gesetz fällt leider unter die Kategorie ‚Gut gemeint, aber schlecht gemacht‘. Wir haben damit ein Bürokratiemonster erschaffen, das unsere Wirtschaft übermäßig belastet und am Ende auch sein Ziel verfehlt, es ist nur eine Scheinlösung. Parallel müssen sich unsere Unternehmen zudem auf die EU-Lieferkettenrichtlinie vorbereiten, die in zwei Jahren in Kraft tritt. Als Union wollen wir das deutsche Lieferkettengesetz deshalb so bald wie möglich wieder aufheben. Selbst wenn es Bestand haben sollte, wird es nicht die erhoffte Wirkung entfalten. 

Warum?

Vieles geschieht leider weiter im Verborgenen. Es ist ja wie bei den härtesten und noch so ausgeklügelten Sanktionsmaßnahmen. Da kommen dann doch einige Güter und Dienstleistungen dahin, wohin sie nicht gelangen sollten. Die Ware wird mehrfach umgeschlagen, über Zwischenhändler, Drittländer. Die ganze Lieferkette ist am Ende nicht mehr nachvollziehbar. Man hat sich gewünscht, dass das geht…

Wie kann Betroffenen, die wirtschaftlicher Gier zum Opfer fallen, trotzdem geholfen werden?

Ich finde, wir sollten wieder größeres Vertrauen in unsere Unternehmen fassen, in der Annahme, dass diese sich aus wohlverstandenem Eigeninteresse nicht auf krumme, illegale Geschäfte einlassen und aus eigenem Antrieb von Geschäften die Finger lassen, wo unter menschenunwürdigen Bedingungen produziert wird. Sie stehen ja auch heute ständig im Rampenlicht. In unserer digitalen Medienwelt wird mittlerweile alles medial ausgeleuchtet, die informierte und kritische Öffentlichkeit ist quasi immer anwesend, unternehmerisches Handeln steht unter dauernder Beobachtung. Dadurch und nicht durch zu viel Regulierung, ist alles derart transparent…

Nehmen Sie sich da nicht etwas zu weit zurück als Parlament?

Nein, vielleicht sollten wir uns als Parlament nicht nur in der Rolle des Regulators gefallen, sondern auch in der Rolle des vertrauenden Partners. Auch einmal nichts zu entscheiden, ist eine Entscheidung, ist Ausdruck der Souveränität des Parlaments. Wir definieren unsere Arbeit häufig zu sehr darüber, dass wir vor allem mit neuen Gesetzen etwas verändern können aber manchmal zerstört das vielleicht auch etwas. Genauso war das auch mit dem ILO-Übereinkommen 169 (der Internationalen Arbeitsorganisation/International Labour Organization ILO, Anm. d. Red.) zum Schutz indigener Völker.

Das müssen Sie kurz erläutern!

Mit der Ratifizierung wollte Deutschland ein Zeichen setzen. Damit war die Hoffnung verbunden, dass das Übereinkommen mit diesem starken Statement von deutscher Seite in Ländern wie Brasilien, in denen indigene Völker leben, und die es ebenfalls ratifiziert haben, Wirkung entfaltet. Aber durch unsere Ratifizierung hat sich bisher leider nichts verändert. Stattdessen haben wir ein Papiermonster geschaffen.

Wie vor allem wirkt dann der Ausschuss, wenn nicht in erster Linie durch gesetzgeberisches Tun?

Der Ausschuss ist keinesfalls nur gesetzgeberisch tätig. Das wichtige ist, dass wir dort Dinge, die der Menschenwürde zuwiderlaufen, aus dem Dunkeln ans Licht ziehen. In jeder Sitzung wird zu einem bestimmten Thema vorgetragen, zu aktuellen oder vergessenen Fragen. Wir hören Betroffene, Verantwortliche, lassen Staatssekretäre der Bundesregierung berichten. Damit geben wir der Regierung ein wirkungsvolles Zeichen, ja einen Handlungsauftrag. Ob es darum geht, von einem russischen Oppositionspolitiker Sachverhalte aus erster Hand zu erfahren oder mit dem Leiter des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) zu klären, ob das UNRWA in den Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober auf Israel verwickelt war: das zu durchleuchten, Plausibilität herzustellen, das gehört zu den Aufgaben des Ausschusses. Da versuchen wir uns ein komplettes Bild von der Lage zu machen. 

Demgegenüber wendet sich das Patenschaftsprogramm Einzelfällen zu…

Genauso ist es mit dem Patenschaftsprogramm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP), mit dem sich Abgeordnete für verfolgte Kolleginnen und Kollegen in aller Welt einsetzen. Wenn wir da mit dem Botschafter eines Landes einen Gesprächstermin vereinbaren, dann ist das ein starkes Statement, das in das jeweilige Land hineinwirkt und den Betroffenen hilft. Autokratische Regime, die Andersdenkende am liebsten verschwinden lassen würden, fühlen sich durch solche internationale „Aufmerksamkeit“ ertappt und lenken häufig ein.

Der Ausschuss heißt mit vollem Namen „Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe“. Bei der humanitären Hilfe, einem Aushängeschild deutscher Außenpolitik, wird nun im Zuge der Sparbemühungen besonders stark der Rotstift angesetzt. Ein falsches Signal?

Ein fatales Signal. Deutschland galt bislang als „humanitärer Riese“, weil wir, nach den USA, meist größter Geber humanitärer Hilfsleistungen waren. Nachdem es da in den vergangenen Jahren einen beträchtlichen Mittelaufwuchs im Bundeshaushalt auf knapp drei Milliarden Euro im Jahr gegeben hat, und wir in dem Bereich international wirklich sehr gut aufgestellt waren, wurde diese finanzielle Ausstattung für 2024 auf 2,2 Milliarden und für das kommende Jahr auf rund eine Milliarde Euro reduziert. 

Überall wird momentan gespart…

Es zeugt von einer falschen Prioritätensetzung, dass demgegenüber der gesamte Etat des Auswärtigen Amtes nur um rund 800 Millionen Euro gekürzt werden soll. Man versucht, die bürokratischen Strukturen weitestgehend zu verschonen. Mitarbeiter schreiben Strategiepapiere, aber dann fehlt das Handwerkszeug zur Umsetzung. Dieser Haushaltsansatz geht klar in die falsche Richtung. Humanitäre Hilfe ist die humanitäre Visitenkarte unseres Landes. Wo andere sich zurückziehen oder Hilfe mit ihren Interessen verbinden oder an Bedingungen knüpfen, hilft Deutschland einfach aus einem humanitären Reflex. Das weiß man weltweit zu schätzen. Diese Hilfeleistungen lassen sich nun nicht mehr in dem Umfang aufrechterhalten. Die Reduzierung schadet zudem unseren ureigenen Interessen, auch wenn  man an die notwendige Bekämpfung von Fluchtursachen denkt. 

Was hat Sie als Menschenrechtspolitiker 2024 am meisten erschüttert?

Jede einzelne, individuelle Menschenrechtsverletzung, ist eine zu viel und verdient gleichermaßen unsere Aufmerksamkeit. Mich macht bisweilen fassungslos, wie ich-bezogen die Gesellschaft angesichts der Herausforderungen unserer Zeit geworden ist und was für eine geringe Anteilnahme viele zeigen, wenn sie von der Verletzung von Grundrechten erfahren. 

Viele Menschen wollen gerade in der Weihnachtszeit, beispielsweise durch Spenden, etwas Gutes tun. Wie kann jeder Einzelne, nicht nur mit Geld, sondern auch durch sein Verhalten, einen Beitrag dazu leisten, die Menschenrechtssituation, sei es hierzulande, sei es weltweit, zu verbessern?

Da kann ich nur empfehlen: Tun Sie das Naheliegendste und kümmern Sie sich mal um Ihren Nachbarn. Die schlimmste Ausprägung der Armut und eines der drängendsten Probleme für die seelische Gesundheit der Menschen hierzulande ist die Einsamkeit. Dagegen kann jeder etwas tun. (ll/06.12.2024)