Auswärtiges

Auswirkung der Kolonialvergangenheit auf die Außenpolitik

Zeit: Montag, 14. Oktober 2024, 13.30 bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101

Der Auswärtige Ausschuss hat sich am Montag, 14. Oktober 2024, in einer zweieinhalbstündigen öffentlichen Anhörung mit dem Thema „Auswirkungen des Kolonialismus und der deutschen kolonialen Vergangenheit auf die internationalen Beziehungen und die aktuelle deutsche Außenpolitik“ befasst. Die Bandbreite der Beurteilung dieser Vergangenheit reichten von „genozidalen Exzessen“ bis zur Rede von „höchsten Idealen der Kolonialmission“.

Speitkamp: Kolonialerinnerung als Gewalterfahrung

Der Historiker Winfried Speitkamp, Staatssekretär im Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport, machte deutlich, in welchem Ausmaß die Fremdherrschaft in den damaligen deutschen Kolonien als Gewaltherrschaft erlebt wurde. „Wo Deutsche auftauchten, waren sie bewaffnet und setzten diese Waffen auch ein.“ Kolonialtruppen standen außerhalb des deutschen und des Völkerrechts, insbesondere im heutigen Tansania und Namibia gab es eine „Kriegsführung der extremen Gewalt“ und „genozidale Exzesse“, sagte Speitkamp. 

„Eine 'Politik der verbrannten Erde' entsprang keinem vorab fixierten Plan, sondern war Resultat der Entgrenzung von Gewalt.“ Diese Gewalterfahrung sei noch heute aktuell. Die deutsche Außenpolitik müsse die Präsenz der Kolonialerinnerung als Gewalterfahrung bis in das lokale und das familiäre Gedächtnis hinein beachten.

Friedrich: Wir dürfen nicht naiv sein

Stefan Friedrich, Leiter der Abteilung Subsahara-Afrika der Konrad-Adenauer-Stiftung, argumentierte, eine wünschenswerte kritische Aufarbeitung der Vergangenheit dürfe nicht den eigenen außenpolitischen Interessen schaden: „Wir dürfen nicht naiv sein.“ Gerade in Afrika sei der Kolonialismusvorwurf eingebettet in massive Desinformationskampagnen von Russland und China. „Diese und auch afrikanische Autokraten bedienen sich der kolonialen Vergangenheit Europas, um sie als Waffen gegen den Westen zu nutzen.“ 

Die Partner seien weniger an deutscher „selbstbezogener Vergangenheitsbewältigung“ interessiert als an Unterstützung zur Bewältigung von Zukunftsaufgaben. Friedrich illustrierte dies an der Reaktion nigerianischer Partner auf die Rückgabe der ersten Benin-Bronzen in Nigeria: „Eine 90-köpfige Delegation für die Vergangenheit, aber kein einziger Vertreter der deutschen Wirtschaft, um über die Zukunft zu sprechen.“

Ziai fordert Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens

Aram Ziai, Leiter des Fachgebiets Entwicklungspolitik und Postkoloniale Studien an der Universität Kassel, machte auf einen jahrhundertewährenden Reichtumstransfer von Süd nach Nord aufmerksam: Der Reichtum aus südamerikanischen Edelmetallen habe zusammen mit dem transatlantischen Sklavenhandel und der Plantagenwirtschaft erst das Kapital zur Verfügung gestellt, mit dem die Industrialisierung in Europa finanziert werden konnte. 

„Auch im 21. Jahrhundert findet immer noch ein massiver Finanztransfer von Süd nach Nord statt.“ Unter anderem durch den Schuldendienst gebe es einen jährlichen Transfer von 1.500 Milliarden US-Dollar von arme in reiche Länder. Ziai plädierte für die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens und für ein internationales Schuldensystem, das mit der heutigen Dominanz der Gläubiger bricht. 

Mancheno betont Rolle der Zivilgesellschaft

Tania Mancheno von der Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ betonte, dass die „Signifikanz einer Erinnerung an die deutsche Kolonialgeschichte nicht mehr verhandelbar ist“. Die entscheidende Frage sei, an welche Ereignisse erinnert werden solle und welche Erinnerungsformen sich als geeignet erweisen und welche nicht. 

Mancheno betonte die bedeutende Rolle der Zivilgesellschaft für diesen Prozess: „Wie im Falle der nationalsozialistischen Vergangenheit wird die Erinnerung an die deutsche Kolonialgeschichte in erster Linie von der Zivilgesellschaft geformt.“ Die Impulse für eine nachhaltige Erinnerungskultur würden in der Regel weder von politischen Akteuren noch von Universitäten gesetzt. Es gebe keine Gründe, die dagegen sprächen, „Deutschland wieder als Vorreiterland der Erinnerungskultur international zu positionieren“. 

Gilley: Ehrlich mit Afrika auseinandersetzen

Bruce Gilley von der Portland State University verwies in seiner schriftlichen Stellungnahme auf die Berliner Konferenz von 1884 bis 1885, „auf der die europäischen Mächte sich auf die höchsten Ideale der Kolonialmission einigten“. Deutschland habe die Prinzipien dieser Konferenz nicht nur etabliert, sondern in einer Weise in die Tat umgesetzt, die in der kurzen Dauer seiner kolonialen Geschichte von etwa 1885 bis 1919 von keiner anderen Kolonialmacht übertroffen worden sei.

Heute sähen deutsche Akademiker ihre Rolle darin, „das deutsche Volk für die Blutschuld des Kolonialismus vor Gericht zu bringen“, so Gilley. Statt sich selbstbewusst und ehrlich mit Afrika auseinanderzusetzen, sei Deutschland „in einer Kultur der Schuld gefangen, die Reparationsgeschäfte und ineffektive Entwicklungshilfe hervorbringt“. (ahe/14.10.2024)