Bärbel Bas betont Verantwortung für Völkermord an Sinti und Roma
“Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich zu ihrer historischen Verantwortung„, betonte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas am Freitag, 2. August 2024, in Auschwitz. Bas hielt bei der Internationalen Gedenkveranstaltung zum Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma in der Gedenkstätte des ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau in Polen die Gedenkansprache. Nie zuvor hatte ein Bundestagspräsident oder eine Bundestagspräsidentin Auschwitz besucht.
“Antiziganismus entschieden entgegentreten„
Bas sprach auf Einladung des Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, der “der Demokratie und der Erinnerungskultur in Deutschland einen großen Dienst„ erwiesen habe. Die historische Verantwortung Deutschlands bedeute zugleich die Verpflichtung, Antiziganismus entschieden entgegenzutreten. Dass der Bundestag Ende 2023 die Bundesregierung mit breiter Mehrheit aufgefordert habe, eine Kommission zur Aufarbeitung des Unrechts an Sinti und Roma einzurichten, sei ein “starkes Zeichen der Entschlossenheit„.
Vor ihrer Rede zum Gedenktag hatte die Bundestagspräsidentin zusammen mit Romani Rose die den Sinti und Roma gewidmete Ausstellung in Block 13 in Auschwitz besucht. Im Museum der Roma in der Stadt Oświęcim (deutsch: Auschwitz) machte sie sich ein Bild von der Geschichte und der aktuellen Situation der Sinti und Roma in Polen.
“Unrecht lange beschwiegen und verdrängt„
Das Leid der Sinti und Roma sei nach dem Krieg nicht anerkannt worden, Gerichte hätten den Überlebenden Entschädigungen verweigert und die Opfer für ihre Verfolgung selbst verantwortlich gemacht, sagte Bas während ihrer Ansprache. Der Völkermord an den Sinti und Roma sei verschwiegen und verleugnet, kaum ein Täter zur Rechenschaft gezogen worden.
Eine “bittere Erkenntnis„ sei, so die Bundestagspräsidentin, dass Unrecht auch in der Demokratie “lange beschwiegen und verdrängt„ wurde. In der Demokratie sei es aber möglich, gegen das Verdrängen und Beschweigen der Verbrechen anzukämpfen. Diesen Kampf hätten die Überlebenden der Sinti und Roma, ihre Kinder und Enkel, auf sich genommen. Sie hätten Deutschland mit seinen Verbrechen konfrontiert und auf Gleichberechtigung bestanden.
Diskriminierungen immer noch verbreitet
Aus Sicht der Bundestagspräsidentin ist das gesellschaftliche Bewusstsein für den Völkermord an den Sinti und Roma und die historische Verantwortung immer noch nicht selbstverständlich. So seien feindliche Einstellungen und Diskriminierungen gegenüber Sinti und Roma immer noch weit verbreitet. Inakzeptabel sei, dass sie von Vermietern bei der Wohnungssuche und von Unternehmern auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden.
Auch der Staat werde seiner historischen Verantwortung nicht immer gerecht, sagte Bas. Beschäftigte in Verwaltungen misstrauten Sinti und Roma oftmals, Sicherheitskräfte kontrollierten sie häufiger, auch ohne Anlass. Lehrkräfte trauten Kindern von Sinti und Roma oft keine Leistungen in der Schule zu.
Ende von Abwertung und Ausgrenzung gefordert
Bas forderte daher einen Bewusstseinswandel in vielen Bereichen der Gesellschaft und ein Ende von Abwertung und Ausgrenzung: “Wir brauchen Respekt und Akzeptanz.„ Die Demokratie garantiere den Schutz von Minderheiten und lebe davon, dass alle Bürgerinnen und Bürger ohne Wenn und Aber die gleichen Rechte haben.
Auch heute, so die Bundestagspräsidentin, gebe es Kräfte, die “unsere Gesellschaften„ in ein “Wir„ und “die Anderen„ aufspalten wollten und Hass schürten auf Sinti und Roma, Jüdinnen und Juden und auf alle, “die tatsächlich oder vermeintlich anders sind„. Wenn man heute den Anfängen wehren wolle, müsse man diese verstehen: Auch damals hätten sie in der Sehnsucht nach einfachen Lösungen bestanden, in der Verachtung für Demokratie und im Glauben, dass Ausgrenzung einen selbst nicht trifft.
4.300 Sinti und Roma in die Gaskammern gezwungen
Bas erinnerte daran, dass sie an der Stelle sprach, an der sich das Lager für die Sinti und Roma befunden habe, die vor genau 80 Jahren ermordet wurden. In nur einer Nacht hätten die Nationalsozialsten bis zu 4.300 Kinder, Frauen und Männer in die Gaskammern gezwungen. Dabei hätten Frauen wie Männer erbitterten Widerstand geleistet. Im Jahr 2015 hatte das Europäische Parlament den 2. August zum Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma erklärt.
“Heute hat das Leiden der Sinti und Roma einen festen Platz im öffentlichen Gedenken Deutschlands„, betonte die Bundestagspräsidentin. Ein Denkmal erinnere mitten in Berlin an den Völkermord und werde jeden Tag von vielen Menschen besucht.
Erinnerung an den Warschauer Aufstand
Bas erinnerte aber auch an den Aufstand der Polnischen Heimatarmee in Warschau Anfang August 1944, an den deutschen Vernichtungskrieg gegen Polen mit Zehntausenden Opfern, an Tausende umgebrachte Kriegsgefangene aus anderen europäischen Ländern und an Menschen, die aus anderen Gründen interniert, gequält und getötet wurden – wegen ihrer Weltanschauung, ihrer Religion, ihres Lebenswandels oder ihrer Sexualität, die nicht in das Weltbild der Nationalsozialisten passten.
Kranzniederlegung und Treffen mit Zeitzeugen
Am Vortag, am 1. August, hatte die Bundestagspräsidentin die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau besucht. Am Nachbau der sogenannten Todeswand, an der unzählige Menschen kaltblütig von den Nationalsozialisten erschossen wurden, legte die Parlamentspräsidentin einen Kranz nieder. Am Mahnmal für die Opfer des Konzentrationslagers stellte sie ein Grablicht auf, um aller Opfer zu gedenken.
Am Vorabend hatte sie bereits bei einem Treffen mit Zeitzeugen und Überlebenden einen bewegenden und tiefen Eindruck von deren Erlebnissen bekommen. Als erste Spitzenrepräsentantin des Bundestages gedachte Bärbel Bas mit ihrer Reise nach Auschwitz aller Menschen, die an diesem Ort der schlimmsten deutschen Menschheitsverbrechen von den Nationalsozialisten ermordet wurden: der Juden, der Polen, der Angehörigen anderer Nationen, der Sinti und Roma.
Gespräch mit Jugendlichen
Mit ihrem Besuch unterstrich die Bundestagspräsidentin, wie wichtig es ist, die Erinnerung an die Gräueltaten der Nationalsozialisten und den Dialog darüber von Generation zu Generation weiterzutragen. Sie besuchte die Internationale Jugendbegegnungsstätte (IJBS), die zwischen der Stadt Oświęcim und dem ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz liegt. Die Bundestagspräsidentin tauschte sich mit rund dreißig Jugendlichen aus, die sich in einem polnisch-deutsch-ukrainischen Jugendaustauschprojekt mit dem Thema “Licht in der Dunkelheit. Trotzdem JA zum Leben sagen„ auseinandergesetzt hatten.
Mit ihnen sprach sie darüber, wie wichtig es ist, nicht gleichgültig zu sein, und wie groß die aktuellen Gefährdungen der Demokratien durch Populismus sind. Bärbel Bas lobte das “großartige Engagement« der Jugendlichen und Jugendbegegnungsstätte als wichtigen Teil der Erinnerungsarbeit. Mit der Reise hob Bas ihr Anliegen hervor, die Erinnerung an die Opfer wachzuhalten, ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen. „Nie wieder Auschwitz“ sei eine Verpflichtung für Deutschland: „Wichtig ist, dass wir nicht schweigen, wegsehen und gleichgültig sind. Nur so schützen wir unsere Demokratie.“ (vom/etz/02.08.2024)