Fraktionen bewerten Verteidigungsetat unterschiedlich
Deutschlands Verteidigungsausgaben sollen im kommenden Jahr auf das Rekordhoch von rund 71 Milliarden Euro steigen. Dies sieht der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf für den Etat (20/7800, Einzelplan 14) von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vor, über den der Bundestag am Mittwoch, 6. September 2023, in erster Lesung beraten hat. Davon entfallen 51,8 Milliarden Euro auf den regulären Verteidigungshaushalt und weitere 19,17 Milliarden Euro, die aus dem Sondervermögen Bundeswehr in militärische Beschaffungen fließen sollen. Der reguläre Verteidigungshaushalt erhöht sich nach den Plänen der Bundesregierung gegenüber dem laufenden Jahr um 1,68 Milliarden Euro und die aus dem Sondervermögen bereitgestellten Mittel um 8,41 Milliarden Euro.
Minister: Keine Abstriche bei der Sicherheit
Verteidigungsminister Pistorius räumte vor dem Bundestag ein, dass er sich einen stärkeren Anstieg des regulären Wehretats gewünscht habe. Dafür werde er auch weiterhin kämpfen, denn die Mittel aus dem 100 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen seien spätestens 2028 aufgebraucht. Trotzdem stünde der Bundeswehr mit 71 Milliarden Euro so viel Geld zur Verfügung wie noch nie. „Es geht voran“, sagte Pistorius.
Zudem sagte der Minister zu, dass Deutschland das Ziel der Nato, zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für Verteidigung aufzubringen, einhalten werde. Deutschland könne sich angesichts des andauernden Krieges Russlands gegen die Ukraine „keine Abstriche bei seiner Sicherheit leisten“. Der CDU/CSU-Fraktion hielt er vor, in der Vergangenheit lediglich „Lippenbekenntnisse“ bezüglich der Finanzierung der Bundeswehr abgegeben zu haben. Hätte die unionsgeführte Bundesregierung in der Vergangenheit nicht „eine Sparrunde nach der anderen eingelegt“, dann stünde die Ampelkoalition jetzt „nicht vor so großen Hausaufgaben“. Pistorius erneuerte zudem die Ankündigung, eine Brigade der Bundeswehr mit 4.000 Soldaten dauerhaft in Litauen zur Sicherung der Nato-Ostflanke stationieren zu wollen. Die Vorbereitungen dafür seien angelaufen.
CDU/CSU: Zwei-Prozent-Ziel durch „Tricksereien“ erreicht
Der CDU/CSU-Abgeordnete Florian Hahn hielt Pistorius entgegen, dass das Zwei-Prozent-Ziel nur durch „Tricksereien“ erreicht werde, weil die Bundesregierung neben den 71 Milliarden Euro weitere 14 Milliarden Euro aus anderen Etats im Bundeshaushalt als verteidigungsrelevante Ausgaben einstufe. Der vorgelegte Etat zeuge von der „Niederlage“, die Pistorius in den Haushaltsverhandlungen der Regierung habe einstecken müssen. Der Minister habe ursprünglich zehn Milliarden Euro zusätzlich eingefordert, aber nur 1,68 Milliarden Euro erhalten. Nach Ausgabe aller Mittel aus dem Sondervermögen fehlten 30 Milliarden Euro jährlich, um die Bundeswehr zu finanzieren.
Der vorgelegte Etat sein ein „fatales Signal“ an die deutschen Soldaten, an die Verbündeten und an Russlands Präsident Wladimir Putin, der davon ausgehen müsse, dass Deutschland nicht fähig sei, genügend Geld in seine Verteidigung zu investieren. Hans Fraktionskollegin Kerstin Vieregge monierte, dass die Erhöhung des regulären Wehretats nicht einmal die Ausgabensteigerungen bei den laufenden Betriebs- und Personalkosten der Bundeswehr abdeckten.
AfD: Mittel zur Beschaffung von Munition nicht ausreichend
Der AfD-Parlamentarier Michael Espendiller begrüßte die Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Allerdings bedeute dies nicht, dass das Geld auch vernünftig ausgegeben werde. So seien die im Wehretat und beim Sondervermögen veranschlagten 3,5 Milliarden Euro für die Beschaffung von Munition angesichts der Fehlbestände bei der Bundeswehr bei weitem nicht ausreichend.
Espendiller warnte die Bundesregierung davor, dem Haushaltsausschuss des Bundestages in Zukunft keine weiteren 25-Millionen-Euro-Vorlagen für Beschaffungsvorhaben vorlegen zu wollen. Espendiller bezog sich damit auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums, in dem das Gremium die bisherige Praxis, alle Ausgaben bei Beschaffungen von mehr als 25 Millionen Euro durch den Haushaltsauschuss absegnen zu lassen, stark kritisiert. Der AfD-Politiker betonte, dass das Parlament erst durch diese Vorlagen über die konkrete Ausgestaltung von Beschaffungsvorhaben informiert werde.
Grüne: Unterstützung für die Ukraine fortsetzen
Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, dass die Verhandlungen über den Wehretat vor dem Hintergrund des seit 18 Monaten andauernden völkerrechtswidrigen Angriffskrieges zu sehen seien. Deutschland müsse seine Unterstützung für die Ukraine fortsetzen und weiter intensivieren. „Waffenlieferungen sind nicht das Gegenteil von Diplomatie“, sagte Brugger. Es gehe darum, „Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen“. Verzögerungen bei den Waffenlieferungen könnten gar zu einer weiteren Eskalation des Krieges von Seiten Russlands führen, wenn sich die Ukraine nicht verteidigen könne, argumentierte Brugger.
So benötige die Ukraine auch über Luftstreitkräfte. Die Grünen-Abgeordnete sprach sich zudem dezidiert für die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine aus. Brugger räumte ein, dass die Lieferungen von Waffen und Material aus Beständen der Bundeswehr die Truppe belaste. Aber das Sondervermögen ermögliche es, die gelieferten Waffensysteme durch zügige Nachbeschaffungen zu ersetzen.
Linke kritisiert „falsche Priorität“
Für die Linksfraktion wies die Abgeordnete Gesine Lötzsch (Die Linke) die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zurück. Dies würde nur zu einer „weiteren Eskalation“ des Krieges führen. Zugleich forderte sie die Bundesregierung auf, sich für einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine einzusetzen. Schließlich führe die Regierung alle Probleme in Deutschland auf den Krieg in der Ukraine zurück.
Eine klare Absage erteilte Lötzsch auch den steigenden Verteidigungsausgaben. Nach Nato-Kriterien plane die Ampelkoalition mit Ausgaben von 85 Milliarden Euro. Noch keine andere Regierung habe „so viel Geld für Krieg und Aufrüstung“ eingeplant. Angesichts der Probleme zum Beispiel im Pflege- oder im Bildungssystem sei dies die „falsche Priorität“.
FDP: Ampelkoalition löst Versprechen ein
Für die FDP-Fraktion hingegen lobte Karsten Klein den „erheblichen Aufwuchs“ bei den Verteidigungsausgaben. Die Ampelkoalition löse damit das Versprechen zur Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato ein. Der unionsgeführten Bundesregierung sei dies in der Vergangenheit „dieser Kraftakt nicht gelungen“, die Verteidigungsausgaben hätten allenfalls 1,5 Prozent des BIP erreicht.
Die Ampelkoalition realisiere damit Beschaffungsvorhaben, die in den vergangenen Legislaturperioden nicht hätten umgesetzt werden können. Als Beispiele nannte Klein die Raketenabwehr und den Erhalt der nuklearen Teilhabe Deutschlands im Bündnis.
SPD: Klares Zeichen für Investitionen
Auch der SPD-Abgeordnete Andreas Schwarz lobte den Haushaltsentwurf der Regierung. Dieser gebe ein „klares Zeichen für Investitionen“ in die Bundeswehr und die Sicherheit Deutschlands. Es sei „richtig, dass der Wehretat nicht dem notwendigen Sparkurs unterworfen wurde“, sagte Schwarz. Ausdrücklich begrüßte er die Entscheidungen für die Beschaffung der Luftabwehrsystem Iris-T und Arrow-3.
In der Ukraine empfinde man in diesen Tagen „eine tiefe Dankbarkeit“ dafür, dass Deutschland das Iris-T-System geliefert habe. Die Beschaffung von Arrow-3 für die Bundeswehr sei „historisch“. Es sei das erste Mal, dass Israel dieses Abwehrsystem gegen Raketen ins Ausland liefere.
Weniger Geld für Beschaffungen
Die Ausgaben für militärische Beschaffungen schlagen mit 2,72 Milliarden Euro zu Buche (2023: 7,76 Milliarden Euro). Für 467,23 Millionen Euro kann Munition beschafft werden (2023: 1,13 Milliarden Euro). Für Schiffe und sonstiges Marinegerät sind 190,66 Millionen Euro eingeplant (2023: 653,58 Millionen Euro), für Flugzeuge und sonstiges flugtechnisches Gerät 296,63 Millionen Euro (2023: 600,53 Millionen Euro), für die Beschaffung von Kampffahrzeugen 142,26 Millionen Euro (2023: 600,09 Millionen Euro).
Für die Materialerhaltung sieht der Entwurf 6,45 Milliarden Euro vor (2023: 4,85 Milliarden Euro), davon 3,36 Milliarden Euro für die Erhaltung von Flugzeugen und flugtechnischem Gerät (2023: 2,7 Milliarden Euro) und 1,02 Milliarden Euro für die Erhaltung von Schiffen und sonstigem Marinegerät (2023: 553,5 Millionen Euro).
Unterbringung der Soldatinnen und Soldaten
Für die Unterbringung der Soldatinnen und Soldaten sind Ausgaben von 7,73 Milliarden Euro eingeplant (2023: 6,33 Milliarden Euro), davon 2,7 Milliarden Euro für Mieten und Pachten (2022: 2,73 Milliarden Euro). Der sonstige Betrieb der Bundeswehr schlägt mit 3,61 Milliarden Euro zu Buche (2023: 2,93 Milliarden Euro). Aus der Nato-Mitgliedschaft resultierende Verpflichtungen belaufen sich auf 1,29 Milliarden Euro (2022: 1,44 Milliarden Euro).
Der Bereich „Kommandobehörden und Truppe, Sozialversicherungsbeiträge, Fürsorgemaßnahmen und Versorgung für Soldatinnen und Soldaten“ umfasst Ausgaben von insgesamt 18,69 Milliarden Euro (2023: 16,78 Milliarden Euro). (aw/06.09.2023)