Streit über geschrumpften Gesundheitsetat für 2024
Der deutlich reduzierte Gesundheitsetat weckt bei der Opposition Befürchtungen vor einer verschlechterten Versorgung der Patienten. Redner von Union, AfD und Linksfraktion warfen der Bundesregierung am Donnerstag, 7. September 2023, in der ersten Beratung des Etats für 2024 auch schleppende Reformen und falsche Weichenstellungen vor. In vielen Redebeiträgen ging es um die geplante große Krankenhausreform, die mehr Qualität und Effizienz bringen soll, aber in den Details stark umstritten ist. Grundsätzlich einig waren sich die Redner, dass im Gesundheitssystem vor allem angesichts des demografischen Wandels enorme Herausforderungen zu bewältigen sind.
Minister: Gesundheitssystem ist chronisch krank
Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) räumte in der Aussprache ein, dass sein Etat am stärksten schrumpfe und damit zur Konsolidierung des Bundeshaushalts beitrage. Dies sei insofern gerechtfertigt, als die hohen Pandemiekosten nicht mehr anfielen. Im Vergleich zur Zeit vor der Corona-Pandemie wachse der Haushalt an. Lauterbach sprach von einem sich stabilisierenden Etat, machte zugleich aber deutlich, dass im Gesundheitssystem große Reformen unerlässlich seien.
Der Minister betonte: „Leider ist das Gesundheitssystem chronisch krank.“ Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern seien die Gesundheitsausgaben in Deutschland besonders hoch. „Wir haben sehr hohe Ausgaben in allen Bereichen.“ Hingegen sei die „Ergebnisqualität“ schlecht, fügte der SPD-Politiker hinzu und verwies auf die gesunkene Lebenserwartung. Lauterbach sprach von einem Reformstau seit mehr als zehn Jahren. Allenfalls habe es in der Vergangenheit Bagatellreformen gegeben. Als Beispiele nannte er die Krankenhäuser, die Notfallversorgung, die Digitalisierung, die Arzneimittelversorgung und die Medizinforschung. Er versprach, die nötigen Reformen zügig anzugehen. Mit Blick auf die Sorgen der Länder bei der Krankenhausreform versicherte er: „Wir geben den kleinen Krankenhäusern eine Existenzperspektive.“
Grüne: Zusätzliche Aufgaben bei geringerem Volumen
Dr. Paula Piechotta (Bündnis 90/Die Grünen) gestand ein, dass dies „kein schöner Haushalt“ sei. Allerdings seien in den zurückliegenden Corona-Jahren „brutal große Haushalte“ beraten worden. Nun sei der Etat fast zurück auf dem vorpandemischen Niveau.
Sie erinnerte an die Pandemiebereitschaftsverträge, die im Haushalt mit rund einer halben Milliarde Euro ausgewiesen sind. Insoweit leiste der Haushalt erhebliche zusätzliche Aufgaben bei einem deutlich geringeren Volumen.
AfD kritisiert Weltgesundheitsorganisation
Auch Wolfgang Wiehle (AfD) ging auf die Corona-Pandemie ein und auf die im Haushalt eingestellten Mittel für die internationale Gesundheitspolitik. Die Pandemie sei vorbei, wer wolle, könne sich weiter impfen lassen. Allerdings gebe es ständig neue Berichte über Impfschäden und zu wenig Aufklärung darüber seitens der Bundesregierung. Zudem sei zu viel Impfstoff eingekauft worden, veraltete Dosen müssten voraussichtlich massenhaft weggeworfen werden.
Wiehle äußerte sich auch sehr kritisch zur Weltgesundheitsorganisation (WHO), die einen erheblichen Einfluss auf Einzelstaaten habe und intransparent agiere. Es dürfe der WHO nicht gelingen, sich umfassende Rechte anzueignen. Die WHO könne in einem Pandemiefall in Staaten hineinregieren und entwickle sich zu einem „übergriffigen Monstrum“.
FDP wirbt für internationale Gesundheitskooperation
Karsten Klein (FDP) wies die AfD-Kritik an der WHO zurück und hob die Bedeutung der internationalen Gesundheitskooperation hervor. Deutschland sei international stark engagiert und wolle gemeinsam mit anderen Staaten Krankheiten bekämpfen, denn: „Krankheiten machen an Grenzen keinen Halt.“ Die Mutmaßungen der AfD über mögliche Grundrechtseinschränkungen durch die WHO seien „Märchen“.
Klein erinnerte an die großen Herausforderungen, die in den sozialen Sicherungssystemen angegangen werden müssten. So stiegen die Ausgaben in der Kranken- und Pflegeversicherung jedes Jahr deutlich. Als Gründe nannte er neben dem demografischen Wandel den technologischen Fortschritt. Es müsse über die Kostenstrukturen im System ebenso gesprochen werden wie über den Leistungsumfang. Zudem gehe es um Zuständigkeiten im Gesundheitssystem, fügte er mit Blick auf die Krankenhausfinanzierung hinzu. So hätten sich die Länder nicht um eine Strukturreform der Krankenhäuser gekümmert und seien auch mit der Investitionsförderung erheblich im Rückstand.
Union fordert „Gesundheitswende“
Der bayerische Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek (CSU), der sich in der Debatte ebenfalls zu Wort meldete, kritisierte die Kürzungen im Etat und betonte: „Wir stehen vor den größten Herausforderungen in unserem Gesundheitssystem.“ Er hielt der Bundesregierung mit Blick auf die Probleme „Schönfärberei“ und Realitätsverweigerung vor. Bayern sei nicht gegen eine Krankenhausreform, jedoch müsse die Versorgung auf dem Land ebenso gut sein wie in den Metropolen. Sein Land werde nicht zulassen, dass ländliche Regionen „ausgeblutet“ würden. Er warnte vor einem „kalten Strukturwandel“ und überbordender Bürokratie.
Als weitere große Herausforderung benannte Holetschek die Pflegeversorgung und forderte einen „Pakt für Pflege“. So müssten unter anderem die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte verbessert werden. Die nötige Pflegereform sei eine zentrale Frage. Er warnte die Bundesregierung: „Sie fahren die sozialen Sicherungssysteme an die Wand.“ Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) sei unterfinanziert. Auch dürfe Versorgung keine Frage der Rendite sein, sagte der Landesminister und forderte gesetzliche Regelungen gegen die Übernahme von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) durch Finanzinvestoren.
Auch Sepp Müller (CDU/CSU) forderte eine „Gesundheitswende“ und hielt Lauterbach vor, wichtige Themen nicht angesprochen zu haben. Als Beispiele nannte er die Versorgung vom Menschen mit Long-Covid und ME/CFS sowie den von Lauterbach vor einiger Zeit angekündigten Hitzeplan. „Sie sind der Ankündigungsminister und nichts mehr.“ Müller kritisierte auch die von der Ampel-Koalition geplante Legalisierung von Cannabis und erinnerte daran, dass Fachleute explizit vor den Folgen insbesondere für junge Menschen gewarnt hätten. Die Union werde das Projekt nicht unterstützen.
Linke für „solidarische Bürgerversicherung“
Dr. Gesine Lötzsch (Linke) warf der SPD vor, schon so viele Jahre Regierungsverantwortung zu tragen und trotzdem immer so zu tun, als wäre sie nicht verantwortlich. Sie rügte insbesondere die geplante Krankenhausreform und mutmaßte, die Bundesregierung wolle reihenweise kommunale Krankenhäuer schließen. „Sie nennen es Reform, ich nenne es gezielte Zerstörung unseres öffentlichen Gesundheitssystems.“
Um eine nachhaltige Finanzierung von Gesundheit und Pflege zu erreichen, forderte Lötzsch die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung und eine Vollversicherung auch in der Pflege. Sie sagte: „Unser Gesundheitssystem befindet sich in einem dauerhaften Notbetrieb.“
SPD: Strukturwandel ist möglich
Svenja Stadler (SPD) wies Kritik an der Koalition zurück und sprach von einem soliden Haushaltsentwurf in einer finanziell angespannten Lage. Lauterbach mache sich auf den Weg, das Gesundheitssystem zu reformieren, sagte sie und fügte hinzu: „Strukturwandel ist auch in diesen Zeiten möglich, wenn wir uns auf das Wesentliche besinnen.“
Die Zusammenarbeit in der Koalition sei effektiv und zielorientiert. „Wir haben die Mut, etwas Neues zuzulassen.“
Gesundheitsetat schrumpft erneut gegenüber Vorjahr
Der Einzelplan 15 des Bundeshaushalts 2024 (20/7800) umfasst Ausgaben von 16,22 Milliarden Euro gegenüber 24,48 Milliarden Euro in diesem Jahr. Bundesminister Lauterbach kann mit Einnahmen von 104,32 Millionen Euro rechnen (2023: 104,17 Millionen Euro). Die „pauschale Abgeltung der Aufwendungen der Krankenkassen für gesamtgesellschaftliche Aufgaben“, die Zuführung an den Gesundheitsfonds, umfasst wie in den Vorjahren 14,5 Milliarden Euro.
Pflegevorsorge und Coronabekämpfung
Die Ausgaben für Pflegevorsorge und sonstige soziale Sicherung schlagen mit 80,11 Millionen Euro zu Buche (2023: 1,08 Milliarden) Euro. Für die Prävention und für die Gesundheitsverbände sind insgesamt noch 777,31 Millionen Euro vorgesehen nach 3,76 Milliarden Euro in diesem Jahr. Die Zuschüsse zur Bekämpfung des Coronavirus sinken von 231,45 Millionen Euro 2023 auf 15 Millionen Euro. Die Zuschüsse zur zentralen Beschaffung von Impfstoffen gegen Sars-CoV-2, die sich in diesem Jahr von auf 3,02 Milliarden Euro belaufen, sollen 2024 entfallen.
Der „Pakt für den öffentlichen Gesundheitsdienst“ soll mit 163,82 Millionen Euro bedacht werden nach 220,67 Millionen Euro in diesem Jahr. Für Forschungsvorhaben und -einrichtungen sind 156,68 Millionen Euro eingeplant (2023: 220,67 Millionen Euro). Das „internationale Gesundheitswesen“ ist mit 122,12 Millionen Euro (2023: 152,38 Millionen Euro) im Etat vertreten. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte soll 115,02 Millionen Euro erhalten (2023: 115,09 Millionen Euro). (pk/vom/07.09.2023)