Menschenrechte

Experten: LGBTIQ-Gemeinschaften weltweit unter Druck

Zeit: Mittwoch, 24. Mai 2023, 14 bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3 101

Queere Menschen erfahren weltweit Verletzungen ihrer Menschenrechte, darauf haben Sachverständige in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe am Mittwoch, 24. Mai 2023, aufmerksam gemacht und für ein stärkeres LGBTIQ-Engagement in der Außen- und Entwicklungspolitik plädiert.

Kriminalisierung queerer Menschen 

In mindestens 67 Staaten weltweit würden Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Inter-Personen auf unterschiedlichste Weise kriminalisiert, sagte Dr. Julia Ehrt, Geschäftsführerin der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA World). Die Strafen reichten von Geldstrafen über körperliche Züchtigungen bis hin zu Haftstrafen. „Einige Länder verhängen auch die Todesstrafe, einige wenige vollstrecken sie auch regelmäßig“, so Ehrt.

Die Expertin hob hervor, dass queere Menschen nicht nur für sexuelle Handlungen kriminalisiert würden, sondern bereits aufgrund ihrer Geschlechtsidentität und ihres Geschlechtsausdrucks. Häufig seien LGBTI-Personen Polizeimissbrauch und Misshandlungen ausgesetzt. Durch die Kriminalisierung legitimierten Staaten gesellschaftliche Diskriminierung, das habe Einfluss „auf alle Bereiche des Lebens“.

Gewalt gegen sexuelle Minderheiten in Russland

Das bestätigte Mikhail Tumasov, ehemaliger Vorsitzender des Russian LGBT Network, der über die Situation der LGBTIQ-Gemeinschaft in Russland berichtete. Das „Anti-Homosexuellen-Propaganda-Gesetz“, verabschiedet im Dezember 2022, habe Russland „Raum für einen Krieg gegen die Community“ gegeben.

Ziel des Gesetzes sei nicht, die russische Gesellschaft vor den angeblich negativen Auswirkungen liberaler, westlicher Werte zu schützen, sondern Gewalt und Hassverbrechen gegen sexuelle Minderheiten zu schüren, so der Experte in seiner Stellungnahme. Laut einem Bericht von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International hätten die Übergriffe nach Verabschiedung des Gesetzes erheblich zugenommen.

Rechte queerer Menschen weltweit unter Druck

Trotz Fortschritten hinsichtlich der rechtlichen Situation von queeren Menschen in Europa sah Philipp Braun, Mitglied des Vorstands des Lesben- und Schwulen Verbands in Deutschland (LSVD), die Lage der LGBTIQ-Community weltweit insgesamt mit Sorge: Die Menschenrechte von queeren Menschen stünden weltweit vermehrt unter Druck, so der Sachverständige.

Sarah Kohrt, Projektleiterin der LGBTI-Plattform Menschenrechte der Hirschfeld-Eddy-Stiftung, begrüßte zwar, dass sich die Bundesregierung Leitlinien für eine feministische Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit gegeben habe. Doch sie müssten jetzt auch auf „allen Ebenen in politisches Handeln übersetzt werden“, so die Mahnung der Expertin. Es brauche eine enge, kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Partnerländern und eine Auseinandersetzung mit der Kolonial- und Missionsgeschichte. Vor allem aber müsse das Konzept finanziell unterlegt werden – das sei bislang nicht passiert, monierte Kohrt. Deutschland sei eines der wichtigsten Geberländer weltweit. Doch in LGBTIQ-Projekte fließe nur ein sehr geringer Teil der Gelder. Anders sei das etwa in den Niederlanden oder in Schweden.

Lage der LGBTIQ-Gemeinschaft in Afrika

Die Aktivistin Marlize Andre lenkte den Blick auf die Lage der LGBTIQ-Gemeinschaft in Afrika, wo in Uganda das Parlament zuletzt eine Verschärfung des Anti-Homosexuellen-Gesetzes mit drakonischen Strafen beschlossen hat. Kein Einzelfall: Auch in anderen Ländern des globalen Südens gebe es Gesetze gegen Homosexualität, die Relikte aus der Kolonialzeit seien. Davor dürfe man nicht länger die Augen verschließen, forderte Andre.

Menschen, die vor solcher Unterdrückung nach Deutschland flöhen, bräuchten zudem besondere Unterstützung. Zum Beispiel fehle es an auch hierzulande an Angeboten, um Gesundheitsversorgung für queere Menschen leichter zugänglich zu machen. Experten zufolge meiden diese aufgrund von Diskriminierungserfahrungen oft das Gesundheitssystem, obwohl sie oft einen höheren Bedarf haben.

„Enorme Zunahme der Gewalt“

Die Bedeutung von Safe Houses für geflüchtete LGBTIQ-Personen, betonte Alexander Vogt, Bundesvorsitzender der Lesben und Schwulen in der Union (LSU). In Asylbewerberunterkünften seien die Menschen vor erneuter Diskriminierung nicht sicher, da die „übrigen Bewohner in gesellschaftspolitischen Fragen nicht unbedingt liberale Werte vertreten, wenn sie aus muslimisch oder anderen traditionell geprägten Gesellschaften kommen“, so der Sachverständige. Inzwischen gebe es zwar in einigen deutschen Städten wie Frankfurt am Main oder Nürnberg solche separaten Unterkünfte, doch die Plätze seien viel zu gering.

Auch der Publizist Dr. Dr. David Berger beklagte in seiner schriftlichen Stellungnahme, „eine enorme Zunahme der Gewalt gerade in großen Städten“ gegen transsexuelle und homosexuelle Menschen. Den Blick auf dieses Problem verstellten jedoch „queer-ideologischer Schwurbeleien“. Politik und Gesellschaft warf er vor, gleichgültig auf Verbrechen wie die Messerattacke in Dresden auf ein schwules Paar im Oktober 2021 zu reagieren. Die „Überlebensinteressen homo- und transsexueller Menschen“ würden auf dem „Altar des Islam-Appeasements“ geopfert.

Als „sehr besorgniserregend“ bezeichnete der queerpolitische Experte und Aktivist Fabian Grischkat die „globale Zunahme queerfeindlicher, antifeministischer und rechtspopulistischer Bewegungen“. Dieses Wachstum der international vernetzten Anti-Gender-Bewegung sei nicht zufällig, sondern werde seit Jahren strategisch koordiniert und finanziert. Teil davon seien „rechtsextreme Denkfabriken und korrupte Oligarchen“. Die Effekte der queerfeindlichen Tendenzen könne man auch in Deutschland beobachten, warnte Grischkat mit Blick auf die Debatte um das geplante Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung. „Radikalfeministinnen und Neue Rechte“ hätten den „Diskurs so verschoben“, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf radikal geändert wurde. (sas/24.05.2023)