Weitgehende Kritik an Kürzungen im Entwicklungsetat
Mit dem Haushaltsentwurf des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist niemand richtig zufrieden. Kritik an dem von Bundesministerin Svenja Schulze (SPD) vorgelegten Einzelplan 23 des Bundeshaushalts 2023 (20/3100) kam in der ersten Lesung am Mittwoch, 7. September 2022, aus allen Fraktionen, wenngleich mit teilweise unterschiedlicher Zielrichtung. Für die AfD ist der Etat zu umfangreich, für alle anderen Fraktionen nicht umfangreich genug, und Rednerinnen und Redner der Ampelkoalition setzen ihre Hoffnung auf Veränderungen während der parlamentarischen Beratung in den kommenden Wochen.
Einbußen von 1,27 Milliarden Euro gegenüber 2022
Der BMZ-Haushaltsentwurf sieht für 2023 Einbußen von rund 1,27 Milliarden Euro vor. Statt 12,35 Milliarden Euro wie im laufenden Jahr sollen dem Ministerium nur noch 11,08 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Für die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit sind 4,96 Milliarden Euro vorgesehen, in diesem Jahr sind es 5,36 Milliarden Euro. Der darin enthaltene Ansatz für die bilaterale Finanzielle Zusammenarbeit mit den Partnerstaaten beläuft sich auf 2,29 Milliarden Euro (2022: 2,24 Milliarden Euro).
Die bilaterale Technische Zusammenarbeit umfasst laut Entwurf 1,82 Milliarden Euro nach 1,97 Milliarden Euro in diesem Jahr. Die Mittel für Krisenbewältigung und Wiederaufbau von Infrastruktur sollen von 878,98 Millionen Euro 2022 auf 575,63 Millionen Euro sinken. Die Regierung begründet dies mit fünf Milliarden Euro, die als Mittel für die globale Krisenvorsorge im Einzelplan 60 (Allgemeine Finanzverwaltung) eingestellt sind.
Beiträge an Vereinte Nationen nahezu halbiert
Geringfügig aufgestockt werden sollen die Ausgaben für zivilgesellschaftliches, kommunales und wirtschaftliches Engagement, und zwar von 1,32 Milliarden Euro in diesem Jahr auf 1,34 Milliarden Euro. Die Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft wird mit 194 Millionen Euro statt 190 Millionen Euro (2022) bedacht. Mit mehr Geld soll auch das bürgerschaftliche und kommunale Engagement gefördert werden. Dafür sollen 405,5 Millionen Euro bereitstehen (2022: 393 Millionen Euro).
Für die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit sollen 2,28 Milliarden Euro (2022: 2,96 Milliarden Euro) ausgegeben werden können. Nahezu halbiert werden sollen die Beiträge an die Vereinten Nationen, ihre Sonderorganisationen sowie andere internationale Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen. Statt 1,01 Milliarden Euro (2022) sind dafür noch 506,66 Millionen Euro eingestellt. Mehr Geld soll es hingegen für entwicklungswichtige multilaterale Hilfen zum weltweiten Umweltschutz, zur Erhaltung der Biodiversität und zum Klimaschutz geben. 830,31 Millionen Euro sind dafür vorgesehen (2022: 786,4 Millionen Euro).
Ministerin: Ich setze auf Ihre Unterstützung
In der Debatte unterstrich die Ministerin die Notwendigkeit von Entwicklungspolitik als Teil einer vorausschauenden Sicherheitsstrategie für Deutschland. „Es ist nicht egal, wie es den Menschen anderswo geht“, sagte sie und fügte hinzu, die fünf Milliarden zur Krisenvorsorge würden für die Entwicklungspolitik gebraucht. Sie setze hier auf die Unterstützung der Abgeordneten. Für die SPD-Haushaltspolitikerin Bettina Hagedorn steht indes noch nicht fest, wofür diese Krisenvorsorgemittel ausgegeben werden.
Schulze lobte, dass im dritten Entlastungspaket der Bundesregierung eine Milliarde Euro zur Bewältigung der Ernährungskrise vorgesehen seien. Sie erinnerte an das von ihr mitinitiierte globale „Bündnis für Ernährungssicherheit“ mit dem Ziel, die Nahrungsmittelproduktion widerstandsfähiger zu machen. Die deutsche Entwicklungspolitik trage maßgeblich dazu bei, den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den Partnerländern und deren Resilienz zu stärken. Es gehe nun darum, entsprechende strukturelle Veränderungen einzuleiten und umzusetzen.
CDU/CSU: Kurzsichtig und nicht ehrgeizig
Deutliche Kritik am Regierungsentwurf äußerten Redner der Unionsfraktion. „Eigentlich müsste mehr getan werden“, sagte Volkmar Klein mit Blick auf den verringerten Etatansatz. Die Zunahme der Ausgaben für die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums nannte Klein „taktlos“ angesichts der sonstigen Kürzungen im Etat, der um 10,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr schrumpfe. Rechne man die Krisenbewältigungsmittel im Einzelplan 60 hinzu, belaufe sich die Kürzung gar auf 17 Prozent.
„Kurzsichtig und nicht ehrgeizig“ ist der Entwurf für den CSU-Abgeordneten Dr. Wolfgang Stefinger. Er rügte vor allem die Kürzungen bei den Beiträgen für Organisationen der Vereinten Nationen, etwa für das Kinderhilfswerk Unicef oder für UN Women, die Organisation für Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit. „Was ist aus der feministischen Entwicklungspolitik geworden?“ fragte Stefinger. Auch beim Welternährungsprogramm werde um mehr als 60 Prozent gekürzt.
SPD: Elf Milliarden reichen nicht aus
Unzufrieden mit dem Etatansatz äußerte sich auch die SPD-Abgeordnete Sanae Abdi: „Elf Milliarden reichen nicht aus.“ Sie sprach sich für eine deutliche Aufstockung aus. Die Folgen der Klimakrise „bedrohen auch unser Wirtschaftssystem“, sagte Abdi. Das globale Ernährungssystem müsse von Grund auf reformiert werden. Erforderlich sei die „langfristige Ernährungssicherheit unserer Partnerländer“. Kritisch sah sie auch die Kürzungen bei den Mitteln für die Vereinten Nationen: „Wir senden eine falsche Botschaft in die internationale Staatengemeinschaft.“ Abdi zeigte sich zuversichtlich, hier nachbessern zu können.
Grüne: Für den BMZ-Etat sieht es düster aus
Felix Banaszak (Bündnis 90/Die Grünen) lobte, dass vier Milliarden Euro weiterhin für internationalen Klima- und Biodiversitätsschutz zur Verfügung stehen. Gebraucht würden allerdings mindestens sechs Milliarden Euro.
Seine Fraktionskollegin Deborah Düring betonte „unsere Verantwortung, für globale Gerechtigkeit zu kämpfen“. Angesichts der Krisen könne es nicht sein, den Etat zu kürzen. Für den BMZ-Etat sehe es „ganz schön düster“ aus, so ihre Einschätzung.
FDP will Afrika-Wirtschaftsbeauftragten im Kanzleramt
Claudia Raffelhüschen (FDP) plädierte für mehr privatwirtschaftliches Engagement. Es sei nicht Aufgabe des BMZ, jedes unternehmerische Risiko eines deutschen Investments in einem Entwicklungsland abzufedern. Mit der bisherigen Strategie gegen Ernährungskrisen komme man nicht weiter. Weder mit elf noch mit zwölf noch mit 100 Milliarden Euro werde Deutschland die Welt retten. Raffelhüschen sprach sich dafür aus, mit den elf Milliarden besser zu wirtschaften und größtmögliche Wirkung zu entfalten, etwa durch Bürokratieabbau. Sie trat dafür ein, das bisherige Engagement aufrechtzuerhalten, zugleich aber auch auf andere Geberländer an ihre Aufgaben zu erinnern.
Ihr Fraktionskollege Dr. Christoph Hoffmann, amtierender Vorsitzender des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, rechnete vor, dass der Anteil des BMZ-Etats am ebenfalls schrumpfenden Gesamthaushalt des Bundes wie in diesem Jahr bei 2,49 Prozent liege. Er regte zudem an, im Bundeskanzleramt das Amt eines Wirtschaftsbeauftragten für Afrika zu installieren.
AfD: Grenzt an Verschwendung von Steuergeldern
Für Edgar Naujok (AfD) ist der Entwurf zu gut ausgestattet. Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Lage sind elf Milliarden Euro aus seiner Sicht in keiner Weise vertretbar und grenzten an „staatlich organisierte Verschwendung von Steuergeldern“. Es gebe keine „gesunde Fehlerkultur“, bemängelte er und verlangte mehr Rechenschaft, bevor weitere Mittel eingefordert werden. „Moralische Erpressung und Selbstbetrug“ seien nicht der richtige Weg.
Auch aus Sicht seines Fraktionskollegen Dr. Michael Espendiller sind elf Milliarden Euro Ausgaben, die „aufgrund der Belastungen der eigenen Bevölkerung Anlass zu Kritik geben“. Jedes Land habe die Pflicht, sich zunächst um die eigene Bevölkerung zu kümmern. Eine gute „Entwicklungshilfepolitik“ müsse den Partnern mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen.
Linke: Fahrlässig und verantwortungslos
Für Cornelia Möhring (Die Linke) ist die Klimakatastrophe „jetzt“. Den Entwicklungsetat auf den Stand vor der Corona-Pandemie zu kürzen, sei „fahrlässig und verantwortungslos“. Worte und Taten drifteten auseinander, so Möhring. Die Streichung von Mitteln für die Vereinten Nationen sende falsche Signale. Gebraucht werde ein Strukturwandel hin zu globaler Ernährungssouveränität.
Für die Abgeordnete trägt der Entwurf die „Handschrift der FDP“. Die Zeit laufe davon, die Welt sei in einem Ausnahmezustand. Im Entwicklungsetat dürfe es keine Kürzung geben, dafür aber „gerne im Rüstungsetat“. (vom/07.09.2022)