Rekordhoch trotz leichter Kürzungen im Verteidigungsetat
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) wird im kommenden Jahr voraussichtlich der größte Wehretat in der Geschichte der Bundesrepublik zur Verfügung stehen. Auch wenn der Einzelplan 14 des Bundeshaushaltes 2023 (20/3100) mit 50,1 Milliarden Euro gegenüber diesem Jahr um 300 Millionen Euro niedriger veranschlagt ist, so steigen die Verteidigungsausgaben durch das über Kredite finanzierte Sondervermögen Bundeswehr auf ein Rekordhoch.
Aus diesem sollen insgesamt zusätzlich 8,5 Milliarden fließen, 8,19 Milliarden Euro für militärische Beschaffungen und 310 Millionen Euro in Zinszahlungen.
Ministerin: Zeit des Zögerns ist vorbei
Nach den Worten Lambrechts sind diese Ausgaben nötig, „um die Landes- und Bündnisverteidigung zu gewährleisten“ und um die Soldaten der Bundeswehr für diese Aufgabe so auszustatten, wie sie es verdienen. Die Bundesregierung beende damit den Kurs des Zusammensparens der vergangenen Jahre.
Um die zusätzlichen Mittel zeitnah auch ausgeben zu können, habe ihr Ministerium 65 Rüstungsvorhaben identifiziert, bei 41 könnten die Verträge in Kürze unterzeichnet werden. Als Beispiele benannte Lambrecht die Beschaffung des neuen schweren Transporthubschraubers vom Typ CH-74 F Chinook und des Tarnkappen-Mehrzweckkampfflugzeugs F-35, das die Tornado-Kampfflugzeuge ersetzen soll. Beide marktverfügbaren Systeme werden in den USA gekauft und sollen der Bundeswehr ab 2026 zulaufen. Zudem sei die Entscheidung über Bewaffnung von Drohnen gefallen. Dies zeige, dass die Zeit des Zögerns vorbei sei, sagte Lambrecht.
Union: Regierung kommt Nato-Verpflichtung nicht nach
Obwohl die CDU/CSU die Verabschiedung des Sondervermögens Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro mitgetragen hatte, übte deren Verteidigungsexpertin Kerstin Vieregge trotzdem massive Kritik am vorgelegten Regierungsentwurf für den Wehretat.
Angesichts der hohen Inflation sei es unverständlich und unverantwortlich, dass der reguläre Etat im kommenden Jahr um 300 Millionen sinken soll. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe eine dauerhafte Erhöhung des Wehretats gemäß der Nato-Verabredung auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes und die Auflage des Sondervermögens zugesagt. An dieser Zusage müsse gezweifelt werden. Vieregge warf der Regierung vor, sie komme ihren Verpflichtungen innerhalb der Nato nicht nach. So würden beispielsweise die Anforderungen der baltischen Staaten angesichts der Bedrohung durch Russland nicht erfüllt. Der Ukraine-Krieg habe die Bedeutung der Landstreitkräfte gezeigt. Deutschland habe in der Nato zwar eine kriegsstarke Division zugesagt, dies werde aber nur zu Lasten einer zweiten Division gelingen, führte Vieregge aus.
AfD: Bundeswehr ist nicht kriegstauglich
Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Rüdiger Lucassen, begrüßte zwar ebenfalls die Erhöhung der Verteidigungsausgaben, bemängelte jedoch zugleich, dass die Bundeswehr trotzdem nicht „kriegstauglich“ sei. Die dramatischen Erhöhungen des Wehretats und das Sondervermögen seien nur deswegen nötig geworden, weil die Bundeswehr in den vergangenen 20 Jahren kaputtgespart worden sei. Der Wehretat sei ein „Dokument des Versagens“.
Auch die neue Bundesregierung verfüge nicht über das geeignete Personal, um die Probleme bei den Streitkräften in den Griff zu bekommen. So beschaffe Ministerin Lambrecht weitere Korvetten 130, allerdings seien diese für die Landes- und Bündnisverteidigung nicht geeignet. Vom regulären Wehretat flössen lediglich 19 Prozent in die Beschaffung neuen Materials und in Innovationen. Der Rest des Etats werde für den Grundbetrieb einer nicht funktionierenden Armee ausgegeben, kritisierte Lucassen. Das Sondervermögen würde zugleich durch die hohe Inflation Jahr für Jahr entwertet. Dies sei eine „tickende Zeitbombe“.
Koalition: Zwei-Prozent-Ziel der Nato wird erreicht
Die Koalitions-Haushaltspolitiker Dr. Sebastian Schäfer (Bündnis 90/Die Grünen), Karsten Klein (FDP) und Andreas Schwarz (SPD) wiesen die Kritik aus den Reihen der Union und der AfD zurück. Der Bund werde im kommenden Jahr mit dem Wehretat und den Mitteln aus dem Sondervermögen 58,6 Milliarden Euro für die Verteidigung aufbringen. Damit seien die Grundlagen für eine verteidigungsfähige Bundeswehr gelegt, sagte Klein.
Schäfer betonte, es sei richtig, die Gelder aus dem Sondervermögen über mehrere Jahre zu strecken und nicht auf einen Schlag auszugeben. Auf diesem Weg erfülle Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato im mehrjährigen Mittel. Schäfer räumte allerdings ein, dass die Mittel für die militärischen Beschaffungen im regulären Etat unter anderem wegen steigender Personalkosten rückläufig seien. Dies könne langfristig in der Tat zu Problemen führen. Karsten Klein und Andreas Schwarz begrüßten ausdrücklich, dass Ministerin Lambrecht die Vollausstattung der Soldaten mit persönlicher Ausrüstung von Anfang an priorisiert habe. Zudem sei mit dem Beschaffungsbeschleunigungsgesetz ein erster richtiger Schritt gemacht worden, um die Beschaffung von Material und Ausrüstung für die Bundeswehr zügiger zu gewährleisten. Der Etat sei vom Mut und vom Willen zur Veränderung geprägt, sagte Schwarz. Das Geld sei gut investiert. Schwarz rechtfertigte zudem den Kauf der MV-Werft in Rostock für die Marine als richtigen Schritt. Dadurch könnte die Instandhaltung von Schiffen deutlich besser gewährleistet werden.
Linke: Es muss in den Frieden investiert werden
Auf prinzipielle Ablehnung stößt die Erhöhung der Verteidigungsausgaben bei der Linksfraktion. Noch nie sei der Wehretat so hoch ausgefallen und noch nie habe es so wenig Sicherheit gegeben, führte deren Haushaltspolitikerin Dr. Gesine Lötzsch an. Nach Nato-Kriterien beliefen sich die deutschen Verteidigungsausgaben sogar auf rund 64 Milliarden Euro. Es müsse die Frage gestellt werden, wohin das ganze Geld fließe.
In erster Linie profitiere die deutsche Rüstungsindustrie befand Lötzsch. So habe sich der Wert der Aktie der Firma Rheinmetall seit der Verkündung des Sondervermögens durch Bundeskanzler Scholz verdreifacht. „Da haben die Sektkorken geknallt bei den Aktienbesitzern.“ Es müsse endlich in den Frieden investiert werden, forderte Lötzsch.
20 Milliarden Euro für das Personal
Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) rechnet mit Einnahmen von 31 Millionen Euro (2022: 710,8 Millionen Euro). Die Verpflichtungsermächtigungen für künftige Haushaltsjahre summieren sich auf 50,1 Milliarden Euro.
Die Ausgaben für militärische Beschaffungen, Anlagen und Ähnliches belaufen sich dem Entwurf zufolge insgesamt auf 18,67 Milliarden Euro (2022: 20,42 Milliarden Euro), die Personalausgaben auf 20,63 Milliarden Euro (2022: 19,88 Milliarden Euro), die sächlichen Verwaltungsausgaben auf 8,61 Milliarden Euro (2022: 8,39 Milliarden Euro), die Zuweisungen und Zuschüsse auf 2,35 Milliarden Euro (2022: 2,1 Milliarden Euro) und die Investitionen auf 433,68 Millionen Euro (2022: 357,77 Millionen Euro).
Acht Milliarden Euro für militärische Beschaffungen
Die Ausgaben für militärische Beschaffungen schlagen mit acht Milliarden Euro zu Buche (2022: 9,81 Milliarden Euro). Für das Waffensystem Eurofighter sind 1,45 Milliarden Euro eingestellt (2022: 1,23 Milliarden Euro), für eine Milliarde Euro soll Munition beschafft werden (2022: 763 Millionen Euro).
Für Schiffe und sonstiges Marinegerät sind 653,58 Millionen Euro eingeplant (2022: 571,31 Millionen Euro), für Flugzeuge und sonstiges flugtechnisches Gerät 684,53 Millionen Euro (2022: 500 Millionen Euro), für die Beschaffung von Kampffahrzeugen 600,09 Millionen Euro (2022: 792,92 Millionen Euro). Für die Materialerhaltung sieht der Entwurf 4,88 Milliarden Euro vor (2022: 4,62 Milliarden Euro), davon 2,7 Milliarden Euro für die Erhaltung von Flugzeugen und flugtechnischem Gerät (2022: 2,69 Milliarden Euro).
Sechs Milliarden Euro für Unterkünfte
Für die Unterbringung der Soldatinnen und Soldaten sind Ausgaben von 6,26 Milliarden Euro eingeplant (2022: 5,99 Milliarden Euro), davon 2,7 Milliarden Euro für Mieten und Pachten (2022: 2,73 Milliarden Euro). Der sonstige Betrieb der Bundeswehr schlägt mit 2,84 Milliarden Euro zu Buche (2022: 2,65 Milliarden Euro). Aus der Nato-Mitgliedschaft resultierende Verpflichtungen belaufen sich auf 1,29 Milliarden Euro (2022: 1,44 Milliarden Euro). Der Bereich „Kommandobehörden und Truppe, Sozialversicherungsbeiträge, Fürsorgemaßnahmen und Versorgung für Soldatinnen und Soldaten“ umfasst Ausgaben von insgesamt 16,73 Milliarden Euro (2021: 15,94 Milliarden Euro).
Von den neu aufgenommenen Krediten des Sondervermögens Bundeswehr sollen 8,19 Milliarden Euro in die militärische Beschaffung fließen, 0,31 Milliarden Euro sind für Zinszahlungen veranschlagt. Schwergewicht ist dabei die Titelgruppe 06 „Dimension Luft“, für die rund fünf Milliarden Euro etatisiert sind. Davon entfallen 3,4 Milliarden Euro auf den Titel „Beschaffung Dimension Luft“, zu dem als Vorhaben unter anderem, die Entwicklung der Kauf von Eurofighter ECR, die Beschaffung des F-35 als Nachfolge für den Tornado sowie die Bewaffnung der Drohne Heron zählen.
In der Titelgruppe 02 „Bekleidung und persönliche Ausrüstung“ sind Ausgaben in Höhe von 892 Millionen Euro vorgesehen. In der Titelgruppe 03 „Führungsfähigkeit/Digitalisierung“ sind es 658 Millionen Euro. 304 Millionen Euro sollen in der Titelgruppe 04 „Dimension Land“ (447 Mio. Euro) für den Schützenpanzer PUMA verausgabt werden. In der Titelgruppe 05 „Dimension See“, die Ausgaben in Höhe von 1,22 Milliarden Euro umfasst, sind unter anderem 415 Millionen Euro für die Fregatte 126 und 380 Millionen Euro für die Korvette Klasse 130 veranschlagt. Ausgaben des Sondervermögens werden nicht direkt dem Haushalt zugerechnet, die aufgenommenen Kredite fallen nicht unter die Schuldenobergrenze des Grundgesetzes. Insgesamt kann das Sondervermögen Kredite in einer Höhe von 100 Milliarden Euro aufnehmen. (aw/vom/07.09.2022)