Friedrich Merz: Den Ampelparteien fehlt der Kompass
Friedrich Merz (CDU/CSU), Fraktionschef der größten Oppositionspartei im Deutschen Bundestag, und Kanzler Olaf Scholz (SPD) haben sich bei den ersten Beratungen des Bundeshaushaltsplans 2023 (20/3100) am Mittwoch, 7. September 2022, im Parlament einen Schlagabtausch geliefert. Anlass der dreieinhalbstündigen Generaldebatte zur Politik der Ampelkoalition war die Aussprache über den Einzelplan 04 des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Union: Stoppen Sie diesen Irrsinn!
Merz warf der Regierung Versagen in der Ukraine- wie in der Energiekrise vor. In der Sicherheits- wie in der Versorgungspolitik fehle den Ampelparteien der Kompass und „jede Fähigkeit zum politisch-strategischen Denken“, sagte der CDU-Politiker in Richtung Regierungsbank. Scholz hätte einen „Energiesicherheitsrat, noch besser einen Nationalen Sicherheitsrat“ ins Leben rufen müssen, um das Thema ins Kanzleramt zu ziehen. Das zielte offenbar vor allem auf Wirtschafts- und Klimaschutzminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen). Die „hochkomplexen Fragen der Energiepolitik und der Versorgungssicherheit“ könne Scholz „in einer solchen existenziellen Krise doch nicht allen Ernstes einem Bundeswirtschaftsminister überlassen, der zwar, wie wir immer wieder sehen, gefällig formulieren kann, dem wir immer wieder beim Denken zuschauen dürfen, der aber umgeben ist ganz offensichtlich in seiner Partei und seinem Apparat von Lobbyisten der Umweltpolitik, die alles zur Strecke bringen, was auch nur einigermaßen Aussicht auf Erfolg hat, diese Krise in den Griff zu bekommen“.
Wenn man wolle dass die Energiepreise runtergehen, dann müsse man auf der Angebotsseite alles tun, damit genug Energie zur Verfügung stehe. Richtig wäre es, die gesamte Palette der Energieträger in den Blick zu nehmen und zu schauen, wo lasse sich das Angebot erhöhen. Das nenne sich Marktwirtschaft. Mit Blick auf die Abschaltung der letzten am Netz befindlichen Atomkraftwerke rief er dem Kanzler deshalb zu: „Stoppen Sie diesen Irrsinn in Ihrer Regierung, solange wir die Zeit dazu haben“.
Merz kritisiert Zögerlichkeit bei der Hilfe für die Ukraine
Auch Scholz selbst ging er hart an. Der Kanzler halte sein Versprechen nicht ein, der Bundeswehr ab sofort jedes Jahr mehr als zwei Prozent des BIP für Investitionen zur Verfügung zu stellen. Der Bundeswehretat hätte Jahr für Jahr ansteigen müssen, stattdessen schrumpfe der Etat um 300 Millionen Euro. „Herr Bundeskanzler, wir müssen es leider feststellen: Wir können den von Ihnen gegebenen Zusagen nicht vertrauen.“
Zudem komme die Bundesregierung „der eindeutigen Aufforderung des Deutschen Bundestages vom 28. April nicht nach, die Ukraine in ausreichendem Maße mit schweren Waffen zu versorgen“. Zustimmend zitierte Merz den Politologen Herfried Münkler, der gesagt hatte, Russland müsse durch militärische Misserfolge zu Verhandlungen gezwungen werden. Diese Worte hätte er sich von Scholz gewünscht, sagte Merz. Damit hätte der Kanzler in Deutschland und Europa „ein bisschen Führung übernommen“. Seine Zögerlichkeit bei der Hilfe für die Ukraine vor allem auch mit schweren Waffen hingegen führe dazu, dass der Krieg sich verlängere, mehr Opfer fordere und die Krise in Deutschland verschärfe.
„Größtes Problem ist die Geldentwertung“
Als größtes Problem dieser Monate identifizierte Merz die Geldentwertung. Darüber gehe die Regierung „mit einer bemerkenswerten Ignoranz hinweg. Auch das jüngste Entlastungspaket versuche manches zu reparieren, löse aber keine Probleme. Nur einzelne Punkte der Regierungspolitik hob Merz lobend hervor, etwa, dass bei den geplanten Entlastungen nun auch Rentnerinnen und Rentner berücksichtigt würden - hier habe die Ampel einen Fehler korrigiert. Insgesamt stellte er die Koalitionsbeschlüsse vom Sonntag jedoch als völlig verfehlt dar: “Jetzt mal im Ernst, Herr Bundeskanzler, 300 Euro für jeden Haushalt. Sie und ich bekommen das in diesen Tagen auch überwiesen. Brauchen Sie das? Brauchen wir das? Oder gibt es vielleicht in diesem Land Haushalte mit einem Durchschnittseinkommen von vielleicht 1500, 1600 Euro netto, die eher 1000 Euro gebraucht hätten, statt alle 300?„
Erneut forderte Merz, die Gasumlage aufzuheben, die Union habe einen entsprechenden Antrag gestellt (20/3304), weil die sogenannte saldierte Preisanpassung die Inflation noch weiter in die Höhe treibe und private Haushalte sowie Unternehmen belaste. Stattdessen sollten die Gasimporteure unter einen staatlichen Schutzschirm gestellt werden, “so wie wir das in der Finanzkrise und mit einigen Unternehmen während der Corona-Krise einmal gemacht haben„.
Kanzler: Wir haben eine gute Tradition, uns unterzuhaken
Der Kanzler reagierte mit Gegenangriffen. “Wer Spaltung herbeiredet, der gefährdet den Zusammenhalt in diesem Land. Und das ist jetzt das Falsche„, hielt Scholz Merz vor der Generaldebatte des Bundestages über den künftigen Bundeshaushalt entgegen. An Merz gewandt sagte der Kanzler: “Unterschätzen Sie unser Land nicht. Unterschätzen Sie nicht die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes.„ Scholz ergänzte: “In schweren Zeiten wächst unser Land über sich selbst hinaus. Wir haben eine gute Tradition, uns unterzuhaken, wenn es schwierig wird.„ Scholz hielt der Union mehrfach schwere Versäumnisse in der Regierungszeit der damaligen Kanzlerin Dr. Angela Merkel vor. Er warf der Union vor, in ihrer Regierungszeit in der Energiepolitik versagt zu haben.
Dagegen habe sich die jetzige Ampelregierung frühzeitig dafür gesorgt, dass die Gasspeicher, anders als im vergangenen Jahr gefüllt seien, dass Deutschland an der Küste eigene Gasterminals baue, sehr schnell baue, mit europäischen Partnern verhandle, um die Abhängigkeit von russischen Importen zu verringern. Man habe das alles vorbedacht und sich vorbereitet: Die meisten Probleme habe man bereits gelöst, “bevor Sie mitbekommen haben, dass da überhaupt eins war.„ Bei der Energieversorgung zeigte sich der Kanzler trotz des Stopps der russischen Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 erneut optimistisch. “Wir können sagen: Wir kommen wohl durch„. Das niemand vor 3, 4, 5 Monaten für möglich gehalten.
Entlastung von Bürgern und Unternehmen
Zur weiteren Entlastung von Bürgern und Unternehmen habe man sich in der Regierung nach zwei vorangegangenen Maßnahmepaketen in einem Umfang von zusammen rund 30 Milliarden Euro nun auf ein drittes, diesmal 65 Milliarden schweres Paket verständigt. Das sei “eine ziemlich große Summe„, betonte der Kanzler und sagte voraus: “Unser Land wird über sich hinauswachsen, weil wir niemanden allein lassen mit all seinen Problemen „You’ll never walk alone.“
Zusammenhalt war auch das Wort, das er benutzte, um einen Unterschied zu Merz‘ Vorstellungen zum Ukraine-Krieg hervorzuheben: Wir werden keine deutschen Alleingänge machen – das wäre ein schwerer Fehler„, sagte der Kanzler – “was wir tun, ist eingebunden„, abgestimmt mit den europäischen Partnern und US-Präsident Joe Biden: Wir handeln als Verbündete.“
AfD sieht Deutschland in schwierigem Gewässer
Die AfD-Fraktionsvorsitzende Dr. Alice Weidel kritisierte den voraufgegangenen Schlagabtausch zwischen Merz und Scholz als „Nabelschau“.
Deutschland steuere durch den schwersten Sturm seit Gründung der Bundesrepublik, und während den Bürgern die Verarmung und den Unternehmen die Insolvenz drohe, habe der Staatschef nur beschwichtigende Worte. Mit dieser Besatzung könne das Schiff nur sinken.
Grüne geißeln Atomkraftdebatte als „faktenfrei“
Britta Haßelmann, Fraktionsvorsitzende von Bündnis90/Grüne, stellte fest, kaum eine Debatte werde so faktenfrei geführt wie die über die Atomkraft. „Niemand von uns will zurück zur alten Kernenergie, die wir 2011 in Deutschland beendet haben“, hatte Merz gesagt.
Haßelmann stellte dazu fest: Wer die Laufzeiten der Akw um drei oder vier Jahre verlängern wolle, der betreibe den Ausstieg aus dem Ausstieg, schon weil Brennstäbe gar nicht so lange hielten, also neue gekauft werden müssten. Auch bleibe die Union nach wie vor eine Antwort auf die Atommüll-Endlagerfrage schuldig. Außer „in Bayern jedenfalls nicht“ höre man dazu aus CDU und CSU nichts.
Linke: Niemand bleibt allein? Wirklich?
Amira Mohamed Ali (Die Linke) sagte: Niemand bleibt allein. You never walk alone. Die Linkenfraktionsvorsitzende nahm den Kanzler beim Wort und fragte immer wieder: Wirklich, Herr Scholz? Millionen Menschen in Deutschland hätten Angst vor der Strom-, oder Gas- oder Ölrechnung, vorm Arbeitsplatzverlust, vorm Verlust des Ersparten – und sehr viele hätten gar kein Erspartes.
Was sage er denen, fragte sie: „You never walk alone“? 18 Euro mehr Kindergeld – was sagen Sie den Eltern, die das Geld für das Material zur Einschulung ihrer Kinder bei sich selbst einsparen müssten: You never walk alone? Was sagen Sie den Millionen, die inzwischen bei den Tafeln für Essen anstehen: You never walk alone?.
Liberale wollen alles tun, um Energiepreise zu senken
Christian Dürr (FDP) räumte ein, dass er die Liberalen über den einen und anderen ordnungspolitischen Schatten haben springen müssen, dass aber richtig sei: Oberste Prämisse des Regierungshandelns müsse es sein, nach Wegen zu suchen, um die Energiepreise zu senken.
Und wenn es nötig sei, und das sei es offenbar, dann brauche es Veränderungen am Markt. Und für diese Änderungen werde die Ampelkoalition sorgen. Richtig bleibe aber auch: Der Staat könne nicht alles an etwaigen Mehrbelastungen ausgleichen.
Knapp zwei Milliarden Euro für Kultur und Medien
Der Etat des Kanzleramtes sieht 2023 Ausgaben von 3,67 Milliarden Euro vor gegenüber 3,86 Milliarden Euro in diesem Jahr. Die Einnahmen sollen 166,5 Millionen Euro betragen (2022: 103,5 Millionen Euro).
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), soll im nächsten Jahr 1,96 Milliarden Euro ausgeben können (2,08 Milliarden Euro).
Integrationsbeauftragte und Ostbeauftragter
Der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD), stehen laut Entwurf 41,5 Millionen Euro zur Verfügung (2022: 43,48 Millionen Euro).
Der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Staatsminister Carsten Schneider (SPD), soll 15,4 Millionen Euro erhalten, etwa doppelt so viel wie in diesem Jahr (7,65 Millionen Euro).
Der Zuschuss an den Bundesnachrichtendienst beläuft sich dem Entwurf zufolge auf 1,03 Milliarden Euro (wie 2022). (mis/vom/07.09.2022)