Deutliche Kritik an der Kindergrundsicherung
Berlin: (hib/CHE) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Einführung einer Kindergrundsicherung (20/9092) stößt bei Experten auf deutliche Kritik. In einer Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend am Montagmittag begrüßten die geladenen Sachverständigen zwar einhellig die Grundidee, familienpolitische Leistungen zusammenzuführen und dadurch leichter zugänglich zu machen. An der Art und Weise, wie dies geschehen soll, gab es jedoch durchweg erhebliche Zweifel. Die Vorlage der Regierung würde nicht dazu führen, Mehrfachzuständigkeiten zu beseitigen, Familien würden nicht Leistungen aus einer Hand bekommen, wie es eigentlich das Ziel des Gesetzes sei, lauteten die Einwände. Insofern drehte sich ein erheblicher Teil der Diskussion um die Ausgestaltung des neuen „Familienservice“, dessen Aufbau nach Ansicht der Experten die Verwaltungskosten in die Höhe treiben und das System unnötig verkomplizieren würde.
Ziel der Kindergrundsicherung ist es, Millionen Kinder aus der Armut zu holen, indem die bisherigen Leistungen Kindergeld, Bürgergeld, Sozialhilfe, Kinderzuschlag und die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepaketes zusammengeführt und im Wesentlichen von einem neu zu schaffenden „Familienservice“ bei der Bundesagentur für Arbeit (in Anlehnung an die bisherigen Familienkassen) bearbeitet werden. Die Kindergrundsicherung soll aus drei Teilen bestehen: dem einkommensunabhängigen Kindergarantiebetrag für alle Kinder und Jugendlichen (entspricht dem Kindergeld), dem einkommensabhängigen und altersgestaffelten Kinderzusatzbetrag sowie den Leistungen für Bildung und Teilhabe. Dadurch, dass Unterhaltsleistungen und Unterhaltsvorschuss bei der Bemessung des Kinderzusatzbetrages grundsätzlich nur zu 45 Prozent berücksichtigt werden, soll sich die Situation von Alleinerziehenden, die Bürgergeld erhalten, und Alleinerziehenden mit noch nicht eingeschulten Kindern besonders verbessern.
Für die Bundesagentur für Arbeit (BA) betonte Vanessa Ahuja, dass die BA geübt darin sei, komplexe Gesetze umzusetzen. „Aber wir brauchen mehr Zeit“. Es müsse die IT angepasst, Personal akquiriert und qualifiziert und ein Schnittstellenmanagement aufgebaut werden, um Familien unnötige Weg zu ersparen. „Das ist für die BA zum 1. Januar 2025 nicht realisierbar“, sagte sie. Einige andere Sachverständige mahnten, die vorhandenen Unterstützungsstrukturen nicht zu zerschlagen, die sich in den rund 1.000 Jobcentern für Familien im Bürgergeld-Bezug etabliert haben. 100 Familienservice-Stellen könnten diese nicht ersetzen, sagte zum Beispiel Diana Stolz, Vorsitzende der Betriebskommission des Kommunalen Jobcenters Neue Wege Kreis Bergstraße. „Kinderarmut ergibt sich aus Elternarmut, deshalb muss man die ganze Familie in den Blick nehmen“ und könne nicht die Kinder vom Familienservice und die Eltern durch das Jobcenter betreuen. Marc Elxnat, Vertreter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, stellte fest, der anfänglichen Euphorie über das Projekt Kindergrundsicherung sei nun Ernüchterung gewichen. „Es werden unnötige Parallelstrukturen geschaffen“, so Elxnat. Ähnlich äußerten sich die anderen Vertreter der kommunalen Spitzenverbände.
Kritik gab es mehrfach auch daran, dass der Gesetzentwurf bisher keine Anhebung des soziokulturellen Existenzminimums für Kinder vorsieht. Dies bezeichneten vor allem die Vertreter von Wohlfahrtsverbänden als enttäuschend. Andreas Aust vom Paritätischen Gesamtverband betonte, eine Kindergrundsicherung müsse deutlich mehr sein als eine Verwaltungsreform. „Um Armut zu bekämpfen, brauchen Familien schlicht und einfach mehr Geld.“ Für einen Großteil der armen Kinder würden sich die Leistungen aber nicht ändern, sagte er. Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverband VdK Deutschland, bekräftigte, dass die Bündelung von Leistungen ein ganz wichtiges Ziel der Kindergrundsicherung sei, denn das jetzige System funktioniere nicht so, wie es Kinder und Jugendliche eigentlich bräuchten. Sie appellierte an die Abgeordneten, in den Beratungen dafür zu sorgen, dass die Ungleichbehandlung von Familien mit viel Geld und jenen mit wenig Geld abgeschafft wird. Bernd Siggelkow, Vorstand der Kinderstiftung „Arche“, verwies darauf, dass es armen Kindern nicht nur an Geld mangele, sondern auch an Ressourcen, auf die sie zurückgreifen können, unter anderem auf ein ganz anders aufgestelltes Bildungssystem. Auch müsse sichergestellt werden, dass die Leistungen bei den Kindern direkt ankommen, lautete sein Appell an die Abgeordneten.