Mehrheit der Experten kritisiert Anträge zur Leiharbeit
Berlin: (hib/DES) Der Großteil der geladenen Sachverständigen sieht keinen Bedarf, die existierenden Regelungen bei der Leiharbeit anzupassen. Dies geht aus einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag hervor. Grundlage der Anhörung waren Anträge der Fraktionen Die Linke (20/5978) und der AfD (20/6003).
Die AfD-Fraktion fordert in ihrem Antrag, dass Betriebe in der Paketbranche nur noch maximal 15 Prozent Fremdpersonal beschäftigen dürfen. Außerdem sollen Leiharbeitsbeschäftigte vom ersten Tag an den gleichen Lohn wie Direktangestellte erhalten.
In dem zweiten Antrag fordert die Fraktion die Linke von der Bundesregierung, die Tariföffnungsklausel abzuschaffen. Grundsätzlich gelte für die Leiharbeit ein Gleichstellungsgrundsatz, der die gleichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen gewährleisten solle. Durch die Tariföffnungsklausel sei es jedoch möglich, mit Hilfe von Tarifverträgen und gesonderten Bedingungen diesen Gleichstellungsgrundsatz zu umgehen, begründen die Abgeordneten ihre Forderung. Außerdem sollen Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter einen Flexibilisierungszuschlag von zehn Prozent auf ihren Lohn bekommen.
Laut Stefan Thyroke von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft verdi gibt es drängendere Fragen in der Paketdienstbranche als die Leiharbeit. So adressiere der Linken-Antrag nicht die eigentlichen Probleme bei der Leiharbeit. Thyroke kritisierte, dass beispielsweise durch den Einsatz von Subunternehmen Beschäftigte daran gehindert würden, Betriebsräte zu gründen und sich gewerkschaftlich zu organisieren. Der AfD-Antrag nenne Regelungen wie das Paketbotenschutzgesetz, die nichts mit Leiharbeit per se zu tun hätten. Auch das geforderte Verbot von Werkverträgen und die Leiharbeitspraxis seien zwei unterschiedliche Dinge.
Für Roland Wolf, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, ist die Geschichte der Tarifverträge ein „Erfolgsmodell“. In keiner anderen Branche sei die Tarifbindung so hoch wie bei der Zeitarbeit. Wolf warnte davor, dass der Arbeitsmarkt „ein Höchstmaß an Flexibilität verlieren“ würde, sollte die Zeitarbeit wegfallen.
Auch Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln betonte, dass besonders die Arbeitnehmerüberlassung wichtig für diese Flexibilität am Arbeitsmarkt sei. Deutschland habe durch den Kündigungsschutz bereits „einen sehr stark regulierten Arbeitsmarkt“. Um dennoch Bewegung am Arbeitsmarkt zu ermöglichen, brauche es Befristungen und die Arbeitnehmerüberlassung.
Florian Swyter, Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister, ergänzte, dass die Zeitarbeit besonders für Menschen, die länger als ein Jahr lang arbeitslos seien, eine gute Möglichkeit darstelle, „um einen Fuß in die Tür der Beschäftigung zu bekommen“. Den geforderten Flexibilisierungszuschlag brauche es in der Zeitarbeit, wo die Tarifdeckung bei 100 Prozent liege, nicht, sagte Swyter.
Carsten Hansen (Bundesverband Paket und Expresslogistik) betonte, dass die Tätigkeit bei Paketdiensten auch einen „integrativen Aspekt“ habe. Wer beispielsweise aus dem Ausland komme und sonst nur wenig Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt habe, könne in dieser Branche arbeiten und eigenes Geld verdienen. Hansen stellte auch klar, dass bei der Diskussion um angemessene Entlohnung von Leihbeschäftigten die „unterschiedlichen Tätigkeiten und Anforderungsniveaus“ berücksichtigt werden müssen. Da Menschen in der Zeitarbeitsbranche eher einfache Tätigkeiten ausüben würden, sei eine niedrige Entlohnung noch kein Anzeichen für Benachteiligung.
Martin Schmidt vom Radlogistikverband Deutschland sah keine Notwendigkeit für neue Gesetze. Vielmehr gebe es schon jetzt sehr viele Regelungen wie das Paketbotenschutzgesetz, das Mindestlohngesetz oder das Zeitarbeitsgesetz, die alle für bessere Arbeitsbedingungen sorgen würden. Diese würden aber nur etwas nützen, wenn sie auch durchgesetzt und vom Zoll kontrolliert würden, sagte Schmidt.
Auf die Frage, wie der im Linken-Antrag geforderte Flexibilitätszuschlag von zehn Prozent aus rechtlicher Sicht zu bewerten sei, sagte die Arbeitsrechtsprofessorin Christiane Brors (Universität Oldenburg), dass Eingriffe in die Tarifautonomie grundsätzlich gerechtfertigt werden müssten. Jeder Vorschlag müsse dahingehend analysiert werden, ob er verhältnismäßig sei oder ob das Ziel „faire Löhne“ auch „mit einem milderen Mittel“ zu erreichen sei. Eine gleiche Bezahlung könne beispielsweise auch durch die im Leiharbeitsrecht vorgesehene Bezahlung in Nicht-Einsatzzeiten erreicht werden.
Der Rechtswissenschaftler Peter Schüren betonte, dass die Leiharbeitsbranche nicht einfach verboten werden könne. Bessere Bedingungen müssten durch Regelungen geschaffen werden. Es sei kaum möglich, in der Leiharbeit gleiche Bedingungen herzustellen. So würde beispielsweise ohne Tarifregelungen schon die Berechnung des Urlaubsanspruchs bei einer Leiharbeitskraft mit vier Einsätzen im Jahr große Herausforderungen mit sich bringen: „Der Leiharbeitstarif regelt durchgehend die Arbeitsbedingungen“. Insgesamt sei das Leiharbeitssystem derzeit in einer guten Situation, sagte Schüren.
Anders bewertete der Jurist Paul Kolfhaus die Lage. So bringe die Leiharbeit viele Probleme für die Beschäftigten sowie die Stammarbeitskräfte mit sich. Der Lohn in der Leiharbeit sei unterdurchschnittlich, während das Risiko, die Arbeit wieder zu verlieren, überdurchschnittlich hoch sei, sagte Kolfhaus. 61 Prozent der Leiharbeitsbeschäftigten seien im Niedriglohnsektor tätig. Auch für die Stammarbeitskräfte könne Leiharbeit in den Betrieben entweder Verdrängung bedeuten oder die Angst auslösen, verdrängt zu werden. Eine Überarbeitung der Leiharbeitsregelungen hätte für Kolhaus viele Vorteile. Neben mehr Gehalt und Sicherheit würde „die Nutzung der Leiharbeit auf ihre Kernfunktion zurückgeschraubt werden“.
Die Aufzeichnung der öffentlichen Anhörung sowie die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw27-pa-arbeit-leiharbeit-955600