Pläne zum Tierhaltungslabel gehen Experten nicht weit genug
Berlin: (hib/NKI) Großen Änderungsbedarf sieht die überwiegende Mehrheit der Sachverständigen am Gesetzesvorhaben (20/4822) der Bundesregierung, ein verpflichtendes Tierhaltungskennzeichen für Schweinefleisch einzuführen. Das ist das Ergebnis einer Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am Montag. Der vorliegende Entwurf, der Ende Dezember in erster Lesung im Bundestag debattiert wurde, verbessere weder die Lebensbedingungen der Nutztiere, noch werde der Verbraucherschutz erhöht. Die Experten verwiesen auf den Abschlussbericht des Kompetenznetzwerkes Nutztierhaltung (Borchert-Kommission), das bereits vor drei Jahren ein Gesamtkonzept für die Weiterentwicklung der Tierhaltung in Deutschland vorgelegt habe.
Laut Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der „Initiative Tierwohl“, sei das Vorhaben, eine verpflichtende Kennzeichnung von Lebensmitteln auf den Weg zu bringen, zwar zu begrüßen, jedoch blieben viele Bereiche ausgespart. So fehle „der wichtige Bereich der Gastronomie komplett“, sagte Hinrichs. Ebenso seien be- und verarbeitete Waren wie Wurst und mariniertes Fleisch nicht mit einbezogen. Damit würden schätzungsweise zwei Drittel des Schweinefleischabsatzes in Deutschland kennzeichnungsfrei bleiben. Auch die Sauenhaltung und die Ferkelaufzucht wie auch andere Tierarten seien nicht in die Kennzeichnung einbezogen.
Außerdem bestehe die Gefahr, so Hinrichs, dass bestehende Label, die der Verbraucher kenne und anerkenne, verdrängt würden. Davon betroffen wären seiner Meinung nach die Kennzeichnungen der „Initiative Tierwohl“ und die „Haltungsform-Kennzeichnung“. Beide Kennzeichen seien bei den Verbrauchern bekannt und als Orientierung beim Einkauf geschätzt. In einer Forsa-Befragung aus dem Sommer 2022 gaben 68 Prozent der Befragten an, diese Haltungsform-Kennzeichnung zu kennen.
Neben der „Initiative Tierwohl“, betonte deren Geschäftsführer, habe Anfang 2020 das „Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung“ (Borchert-Kommission) Empfehlungen zum Umbau der Tierhaltung in Deutschland erarbeitet. Im Vergleich dazu biete der aktuelle Gesetzentwurf ausschließlich eine Kennzeichnung mit Stufendefinitionen an. Einen Weg, wie die Tierhalter in welchem Zeitraum welches Zielbild entwickeln sollten, zeige der Gesetzentwurf hingegen nicht auf, kritisierte Hinrichs.
Martin Schulz, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V. (AbL) und Neuland-Schweinehalter in Niedersachsen, machte deutlich, dass eine reine Kennzeichnung nicht den großflächigen Umbau der Tierhaltung zur Folge haben werde. „Ein reines Einsortieren der Tierhaltung in bestimmte Kategorien erzeugt noch keinen Anreiz für Betriebe, ihre Ställe in artgerechtere Haltungssysteme umzubauen“, sagte Schulz. Dazu brauche es vor allem auch finanzielle Anreize und die Unterstützung bei der Entwicklung eines entsprechenden Marktes.
Zahlreiche privatwirtschaftliche Markenfleischprogramme, inklusive der Tierhaltung im ökologischen Landbau, hätten in den letzten Jahrzehnten einen erheblichen Teil der Tierhaltung in Deutschland auf ein höheres Tierwohlniveau bringen können. Ein Programm wie Neuland zeige seit 35 Jahren, wie eine landwirtschaftliche Tierhaltung mit wesentlich besseren Tierwohlbedingungen in artgerechten Stallsystemen in der landwirtschaftlichen Praxis auch wirtschaftlich funktionieren könne. Die Erfahrung habe jedoch auch gezeigt, dass alleine aus dem Markt heraus ein Umbau der Tierhaltung finanziell nicht gelingen werde.
Der größte Kritikpunkt der AbL, so deren Vorsitzender Schulz, liege darin, dass in der Kennzeichnung nur rund 60 Prozent des Schweinelebens abgebildet werde, die Sauenhaltung und die damit verbundene Ferkelaufzucht fänden dagegen keine Berücksichtigung. Im Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung - der Borchert-Kommission - seien jedoch weitestgehend Kriterien für die Sauenhaltung und Ferkelaufzucht erarbeitet worden. Diese bildeten die Grundlage für eine schnelle Erweiterung der Tierhaltungskennzeichnung auch auf Sauen und Ferkel.
Dirk Hesse, Sprecher der Initiative Schweinehaltung Deutschland (ISD), machte darauf aufmerksam, dass die Produktionskosten des deutschen Schweinefleisches bereits jetzt im weltweit oberen Drittel lägen. Dies insbesondere auf Grund der gesetzlichen Haltungsvorgaben. Bereits heute stammten mit steigender Tendenz über 28 Prozent des verzehrten Schweinefleisches aus Importen. Zusätzlich steige die Abhängigkeit von lebend importierten Ferkeln und Mastschweinen, und damit auch die Zahl der Tiertransporte. In Deutschland sei die Zahl der geschlachteten Mastschweine in den letzten sieben Jahren um mehr als 17 Prozent gesunken, mit noch stärker sinkender Tendenz. Die weitere Reduzierung der Tierhaltung werde zu zusätzlichen Arbeitsplatzverlusten zwischen 30 und 50 Prozent in der Nahrungsmittelbranche führen. Etwa 45 Prozent der Konsumenten in Deutschland sähen die Versorgungssicherheit als wichtig an. „Die ISD fordert die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Tierhaltung, dabei insbesondere eine weitere Steigerung des Tierwohls und die Verbesserung der Umweltwirkung“, sagte Hesse.
Auch Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, verwies auf die Ergebnisse der Borchert-Kommission. „Vor Jahren wurde damals unter etlichen anderen Punkten eine Kennzeichnungsregelung gefordert“, erklärte Krüsken. Umso enttäuschender sei es aus Sicht der Landwirtschaft, dass der nun vorliegende Entwurf gravierende Schwachstellen aufweise, mit denen die angestrebte Lenkungswirkung nicht nur verfehlt, sondern in Teilen auch konterkariert werde. Die vorgesehenen Regelungen für eine freiwillige Kennzeichnung böten große Schlupflöcher für Verarbeiter, die sich der Kennzeichnung entziehen wollten, beispielsweise indem sie einen Verarbeitungsschritt ins europäische Ausland verlagerten. Solchen Umgehungsmöglichkeiten seien auch angesichts unzureichender Kontrolle Tür und Tor geöffnet. Die fehlenden Kontrollmöglichkeiten im Ausland seien völlig inakzeptabel. „Es ist unverständlich, dass nicht auf bestehende und funktionierende Kontrollsysteme zurückgegriffen werden soll“, sagte Krüsken. Schließlich bleibe noch anzumahnen, dass die eingangs erwähnten weiteren Bestandteile eines schlüssigen Gesamtkonzeptes für die Weiterentwicklung der Tierhaltung - ein Tierwohl-Vorrang im Bau- und Genehmigungsrecht und ein tragfähiges und langfristig angelegtes Finanzierungskonzept für Tierwohlprämien - zügig und möglichst zeitgleich angegangen werden müssten.
Für Professor Lars Schrader, Leiter des Instituts für Tierschutz und Tierhaltung am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit, geht es bei dem Gesetzentwurf in erster Linie um Verbraucherschutz und nicht in erster Linie um Tierwohl. Das Zuordnen in fünf Haltungsstufen sei „sehr formalistisch“ und greife zu kurz. Er betonte, dass das „Management der Tierhaltung“ entscheidend sei, das schlichte Einsortieren in Haltungsstufen führe nicht zu mehr Tierschutz. Vielmehr müsse sich der Gesetzgeber auf bauliche Standards und den Umgang der Halter mit seinen Tieren konzentrieren. Schrader betonte, er hätte sich eine freiwillige Kennzeichnung gewünscht, doch der Koalitionsvertrag sehe die Einführung einer verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung vor.
Anne Hamester, Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft des Vereins Provieh, übte scharfe Kritik an dem Gesetzentwurf. Er sorge weder für mehr Transparenz, noch schaffe er Anreize für bessere Tierhaltungsbedingungen. Der Einzelhandel, die Gastronomie und Außer-Haus-Verpflegung fehlten komplett. Die fünf Haltungsformen im Kennzeichenentwurf seien irreführend und setzten „völlig falsche Anreize sowohl in Bezug auf defizitäre als auch tiergerechte Haltungsverfahren von Schweinen“, so die Verbandsvertreterin.
So sei die Haltungsform „Stall und Platz“ als Stufe über dem gesetzlichen Mindeststandard aus tierschutzfachlicher Sicht untragbar. Die Haltungsform nach dem gesetzlichen Mindeststandard müsse Schweinen einen deutlichen Mehrwert bieten und sich als Haltungssystem deutlich abgrenzen. Hamester forderte, statt der Haltungsstufe „Stall und Platz“ nach dem gesetzlichen Mindeststandard die Haltungsform, „Frischluftstall“ folgen zu lassen. Danach solle die Haltungsform „Auslaufstall“ als dritte Haltungsform folgen, in dieser Stufe sei nur die Stallhaltung mit angegliedertem Auslauf enthalten. Als zusätzliche Haltungsform solle „Freiland“ für das Schweineleben auf Naturboden eingeführt werden, statt sie in die Haltungsform „Auslauf /Freiland“ zu integrieren. Die Kennzeichnung müsse über die Haltung des kompletten Lebens der Tiere informieren und den Verlauf von der Geburt bis zur Schlachtung abbilden.
Nora Hammer, Geschäftsführerin Bundesverband Rind und Schwein, schloss sich der Ablehnung des Gesetzentwurfes in der vorliegenden Fassung an. „Der Entwurf lässt ein Gesamtkonzept zum Umbau der Nutztierhaltung in Deutschland vermissen“, sagte Hammer. Auch sie verwies darauf, dass durch das neue Label mehr Verwirrung als Klarheit geschaffen werde, zudem adressiere der Entwurf lediglich einen sehr kleinen Teil des Fleischmarktes und bevorteile ausländische Ware. Sie schließe sich der Kritik der Landesagrarminister, der Agrar- und Wirtschaftsausschüsse sowie der Bundesratsausschüsse für Agrarpolitik und Verbraucherschutz und des Wirtschaftsausschusses an, die bereits im vergangenen Jahr zahlreiche Änderungsvorschläge gemacht hätten.
Wie einige ihrer Vorredner verwies auch Hammer auf die Ergebnisse des Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, der Borchert-Kommission. Damit sei bereits Anfang 2020 ein „schlüssiges Gesamtkonzept entwickelt worden“, sagte Hammer. Die Empfehlungen des Kompetenznetzwerks beruhten auf wissenschaftlichen Studien und Folgenabschätzungen, berücksichtigten das Marktgeschehen und hätten „das große Ganze“ im Blick. Die Umsetzung der Empfehlungen sei mit etlichen Akteuren in diversen Arbeitsgruppen diskutiert worden, und es seien Lösungsvorschläge vorgelegt worden. „Diese sehr breit unterstützte Tierwohlstrategie wäre eine große Chance für eine deutlich breitere Akzeptanz der Nutztierhaltung in der Gesellschaft mit gleichzeitigem Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit“, betonte Hammer. Der Gesetzentwurf verdeutliche hingegen, dass „künftig sehr einseitig nur noch Bio-, Neuland- und Tierschutzbund-Betriebe unterstützt werden sollen“, bemängelte Hammer. Diese Betriebe machten jedoch lediglich ein Prozent der Schweinproduktion in Deutschland aus. Die konventionell wirtschaftende Schweinehaltung werde dagegen von jedweden Perspektiven weitgehend ausgeschlossen. Das könne, insbesondere vor dem Hintergrund der Forderung nach bezahlbaren und vor allem verfügbaren tierischen Produkten, nicht mit einer bundesweiten Nutztierstrategie gewollt sein.
Peter Röhrig, Geschäftsführender Vorstand beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), verwies auf die seit Jahren anhaltenden Diskussionen über Haltungsbedingungen bei Nutztieren. Bereits 2015 habe der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft die Haltungsbedingungen eines Großteils der Nutztierhaltung in Deutschland als „nicht zukunftsfähig“ beschrieben. Die gesellschaftlichen Erwartungen an die Nutztierhaltung seien seitdem immer weiter gestiegen. Das Thünen-Institut habe im Rahmen der Borchert-Kommission geschlussfolgert, dass ohne einen ambitionierten Umbauplan viele tierhaltende Betriebe keine Perspektive hätten. Deshalb „ist es gut, dass das Gesetz die Perspektive der über 17.000 Bio-Tierhalter in Deutschland berücksichtigt, die vorbildhaft den Umbau der Tierhaltung gestalten und darüber hinaus umfassende Umweltleistungen erbringen“, sagte Röhrig. Es sei aber auch klar, dass der vorgelegte Gesetzentwurf nur einen ersten Schritt hin zu einer umfassenden verpflichtenden Kennzeichnung darstelle.
Die Gründe für das stufenweise Vorgehen seien grundsätzlich nachvollziehbar, vor allem im Hinblick auf die EU-Notifizierung. Im Bio-Recht der Europäischen Union sei bereits heute neben Haltungsvorgaben für alle Lebensphasen aller relevanten Nutztiere auch die Kennzeichnung in allen Vertriebsbereichen gesetzlich geregelt. „Wir wissen aus der Entwicklung des Bio-Rechts, dass ein stufenweises Erweitern von Vorgaben sinnvoll ist, um die Entwicklung in anfänglich auch kleineren Märkten zu ermöglichen“, sagte Röhrig und nannte das Beispiel der Hühnerhaltung. Mittlerweile sei eine eigene Bio-Elterntierhaltung etabliert, und gesetzliche Regelungen dafür seien eingeführt worden. Wie im Eierbereich sei zu erwarten, dass über die staatlichen Kennzeichnungsstufen hinaus weitere Qualitäten angeboten würden.