Zeugen berichten von Gefahren für Ortskräfte
Berlin: (hib/CRS) Im zweiten Teil der gestrigen Sitzung des 1. Untersuchungsausschusses ist die Befragung der ehemaligen Mitarbeiterin der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) fortgeführt worden. Der Ausschuss versucht, die letzten Monate des Afghanistan-Einsatzes und die chaotische Evakuierung am Kabuler Flughafen aufzuarbeiten.
Die Fragen der Ausschussmitglieder an die ehemalige Mitarbeiterin der KfW konzentrierten sich auf ihre Beschwerden über die Kommunikation mit ihrem früheren Arbeitgeber und die Bedrohung, die sie in ihrem Land empfand.
Die Zeugin konkretisierte vor dem Ausschuss die Gründe ihrer Kritik gegenüber die KfW, für die sie in Afghanistan drei Jahre gearbeitet hatte. Seitdem sie sich in Deutschland dafür einsetze, auch ihre Familienangehörigen im Rahmen der Ortskräfteverfahren nachzuholen, antworteten weder ihre direkte Vorgesetzte und noch deren Vorgesetzter auf ihre Mails und Anrufe. „Sie tun so, als ob sie mich gar nicht kennen“, sagte sie, obwohl sie sich früher jede Woche bei Videokonferenzen getroffen hätten. Das würde sie am meisten enttäuschen.
Auf die Nachfrage, was sie denn noch von der KfW erwarte, obwohl ihr Arbeitsvertrag mit ihrer Ausreise aus Afghanistan beendet ist, antwortete sie, sie müsse laut deutschen Gesetze, ihren Antrag durch ihren ehemaligen Arbeitgeber stellen, wenn sie ihre Familienangehörigen im Rahmen des Ortskräfteverfahrens nach Deutschland bringen möchte.
Nachdem ihre Bemühungen bei der KfW gescheitert seien, habe sie einen Antrag über die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GiZ) gestellt. Dieser sei abgelehnt worden. Die Voraussetzungen für die Evakuierung ihrer Familienangehörigen seien nicht erfüllt.
Alle würden ihr nun raten, aufzugeben, berichtete die Zeugin. Sie sehe jedoch, dass andere Ortskräfte in der gleichen Situation ihre Angehörigen doch noch nach Deutschland ausfliegen lassen dürften. Das sei eine ungleiche Behandlung und sehr ärgerlich, sagte sie.
Als ein Abgeordneter sich erkundigte, warum sie nach dem Einmarsch der Taliban nicht nach Pakistan ausgereist sei, gab sie dafür zwei Gründe an. Erstens sei es in dieser Zeit sehr schwer gewesen, dorthin zu gelangen, und zweitens gehöre sie der ethnischen und religiösen Minderheit der Hazaras an, die in Pakistan angefeindet würden.
Die ehemalige Ortskraft erzählte, dass sie sich in ihrem Land vor allem nach Juni 2021 nicht mehr sicher gefühlt habe. Zuvor sei bereits ihr Supervisor von der Taliban bedroht und schließlich im Ortskräfteverfahren nach Deutschland gebracht worden. Als dann auch der Fahrer der Organisation bedroht wurde, habe sie gewusst, dass sie an der Reihe sei. Sie habe angefangen, einen schwarzen Tschador zu tragen und auf ihrem Arbeitsweg jeden Tag die Route zu wechseln.
Weder sie noch andere in ihrem Umfeld hätten den schnellen Zerfall des afghanischen Staates vorausgesehen, berichtete die Zeugin. Sie hätten auch nicht geglaubt, die internationale Gemeinschaft würde ihre großen Investitionen im Land einfach aufgeben, nachdem doch so viel Fortschritt erreicht worden sei. Außerdem hätten ihre Vorgesetzten bei jeder Gelegenheit beteuert, die Arbeit werde fortgeführt.
Als zweiter Zeuge sagte ein Mitarbeiter von Caritas International aus. Auch in seiner Befragung standen die Ortskräfte im Mittelpunkt.
Caritas arbeite in Afghanistan mit NGOs und internationalen Organisationen zusammen, erklärte der Zeuge. Seine Aufgabe sei, die dabei entstehenden Projekte zu steuern. Aber über die Jahre sei für ihn die Sicherheit der afghanischen Mitarbeiter das wichtigste Thema gewesen, berichtete der Zeuge.
Caritas habe vor dem Fall Kabuls 27 afghanische Mitarbeiter gehabt. 25 seien evakuiert worden. Die übrigen zwei Mitarbeiter wollten nicht ausgeflogen werden, weil sie ihre erwachsenen Töchter nicht mitnehmen durften, wie der Zeuge berichtete.
Er selbst sei am 17. August evakuiert worden, obwohl er das nicht unbedingt wünschte. Seine Abreise vom Kabuler Flughafen sei, trotz der gefährlichen Lage um den Flughafen herum, innerhalb von vier Stunden und reibungslos verlaufen.
Er könne die Angst seiner afghanischen Mitarbeiter sehr gut verstehen, betonte der Mitarbeiter von Caritas International. Denn die Gefährdungslage der Ortskräfte habe sich ab 2014 kontinuierlich und ab der Unterzeichnung des Doha-Abkommens Ende 2020 besonders schnell verschlechtert. Sie hätten vor Bombenangriffen, Kriminellen und der Unterdrückung durch die Taliban Angst gehabt. Die meisten in seinem Büro seien Minderheiten wie beispielsweise Frauen oder die Hazaras gewesen. Natürlich habe er vor allem für diese Personen eine objektive Gefahr gesehen, sagte der Zeuge.
Zwischen den Bedrohungswahrnehmungen eines „alten, weißen Mannes“, wie er selbst, und einer jungen afghanischen Frau oder einem Vater, der seine Töchter nicht allein in Afghanistan zurücklassen möchte, gebe es selbstverständlich große Unterschiede, führte der Zeuge aus. Seine Organisation habe den Mitarbeitern offen gesagt, dass sie bereit sei, jede Unterstützung zu geben, wenn sie sich für eine Ausreise nach Deutschland entscheiden würden. Sie würden aber in Deutschland niemals die gleichen Chancen und Arbeitsmöglichkeiten bekommen wie in Afghanistan. Trotzdem hätten 25 Ortskräfte beschlossen, auszureisen, weil sie sich Sorgen um ihre Kinder machten, berichtete der Zeuge.
Später habe sich herausgestellt, dass diese Entscheidung richtig war. Denn die nationalen Mitarbeiter hätten zwischen dem Fall Kabuls und ihrer Ausreise schlimme Erfahrungen machen müssen, berichtete der Zeuge. Zwei Mal seien die Taliban ins Büro von Caritas gekommen. Sie hätten die Mitarbeiter schwer beleidigt, sie gefragt, warum sie Ausländern dienten, ob sie zum Christentum übergetreten seien und ob sie „ihre Frauen den Ausländern zur Verfügung gestellt“ hätten. Eine solche Auseinandersetzung mit einem bewaffneten und aufgebrachten Menschen sei immer eine Bedrohung und Gewalt, führte der Zeuge aus.
Besonders die Frauen unter den Angestellten hätten traumatische Erlebnisse gehabt, berichtete der Mitarbeiter von Caritas International. So habe zum Beispiel ein Taliban-Kämpfer eine IT-Expertin auf dem Weg zur Arbeit angehalten und ihr gesagt, er werde sie heiraten. Nachdem sie ausgeflogen worden sei, habe der Mann bei ihrer Familie Schadensersatz für die nicht stattgefundene Eheschließung verlangt.
Ein physischer Übergriff habe in seinem Büro nie stattgefunden. Er habe jedoch von anderen Organisationen gehört, dass ihre Mitarbeiter verprügelt wurden, so der Zeuge. Dahinter stünden keine religiösen Gründe, sondern eine feindliche Einstellung gegenüber Fremden aus dem Westen.
Nach dem 15. August 2021 hätten afghanische Polizisten ihre Waffen in den Polizeirevieren zurückgelassen und geflüchtet, so dass jeder, der wollte, sich bewaffnen konnte. Die Gefahr von Plünderungen sei dadurch gestiegen. Deshalb hätten auch die jetzigen Mitarbeiter Angst, die die Organisation heute beschäftigt, führte der Zeuge aus.