Bedenken gegen Übergewinnsteuer
Berlin: (hib/HLE) Vertreter der Wissenschaft haben in einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses am Montag erhebliche Bedenken gegen die Einführung eines Energiekrisenbeitrages für Unternehmen der Öl-, Gas-, Kohle- und Raffineriewirtschaft aufgrund einer EU-Verordnung erhoben. Die Maßnahme soll noch in den von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines Jahressteuergesetzes (20/3879, 20/4229) eingefügt werden.
Vorgesehen ist, dass in den Wirtschaftsjahren 2022 oder 2023 (bei abweichenden Wirtschaftsjahren in den Jahren 2022/23 und 2023/24) entstandene Gewinne von Unternehmen der Erdöl-, Erdgas-, Kohle- und Raffineriewirtschaft, die im Vergleich zu den Vorjahren (2018 bis 2021) den Durchschnittsgewinn um 20 Prozent übersteigen, besteuert werden. Der Steuersatz soll 33 Prozent betragen. Außerdem war die Steuerpflicht der Gasumlage Thema der öffentlichen Anhörung. Vorgesehen ist hier ein sozialer Ausgleich, so dass sich nur bei Steuerpflichtigen, die den Solidaritätszuschlag zahlen müssen, das zu versteuernde Einkommen um die Entlastungen durch die Gaspreisbremse erhöhen soll.
In der vom Vorsitzenden Alois Rainer (CSU) geleiteten Anhörung des Finanzausschusses nannte Professor David Hummel (Universität Leipzig) den EU-Energiekrisenbeitrag einen „sehr innovativen Ansatz der EU-Kommission“. Es handele sich um nichts anderes als eine zusätzliche Ertragsteuer. Und bei Steuern gelte das Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat und die Pflicht zur Beteiligung des Europäischen Parlaments. Bei der gewählten Lösung über den Artikel 122 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) gebe es Schwierigkeiten, nachzuvollziehen, wie die Sicherstellung der Versorgung mit Energie über neue Steuern erfolgen solle. Auch der gewählte Weg einer Verordnung sei sehr ungewöhnlich. Das Vorhaben hätte besser über eine Richtlinie realisiert werden sollen. Er sehe „jede Menge Schwierigkeiten auf uns zukommen“, erklärte Hummel.
Dietmar Gosch (WTS Group AG) vertrat die Auffassung, dass der Energiekrisenbeitrag ungeeignet sei, um eine drohende Energienotlage im Sinne von Artikel 122, Absatz 1 AEUV zu beseitigen. Mit dem Beitrag werde keine Mangellage behoben, sondern es werde allenfalls die Folge einer eventuellen Mangellage beseitigt. Preissteigerungen und daraus generierte Gewinne seien natürliche Marktreaktionen und keine Störungen des Marktgeschehens. Es sei ein untaugliches Krisenbeseitigungsinstrument gewählt worden. Wie schon Experte Hummel vertrat auf Gosch die Auffassung, dass bei Steuern in der EU das Einstimmigkeitsprinzip gelte. Die Beteiligung des Europäischen Parlaments werde mit dem Weg über die Verordnung unterlaufen.
Heribert Anzinger (Universität Ulm) sagte, die EU-Verordnung betrete an vielen Stellen Neuland, und es gebe rechtliche Unsicherheiten. Als Grundlage für die Verordnung gewählt worden sei der energiepolitische Fragen und nicht Steuern betreffende Artikel 122 Absatz 1 AEUV. Die EU habe offenbar den Weg einer Verordnung gewählt, damit es schneller gehe. Deutschland solle sich unionsrechtsfreundlich verhalten, empfahl Anzinger.
Für Simon Kempny (Universität Bielefeld) ist in dem Gesetzentwurf handwerklich nicht alles rund. So würden die mit Beginn des Jahres 2022 angefallenen großen Krisengewinne aus der Regelung herausfallen, wenn Unternehmen das erst Mitte 2022 beginnende Wirtschaftsjahr 2022/2023 verwenden würden und dies als Grundlage für die Besteuerung herangezogen werde.
Von Seiten der Wirtschaft wurde der in der Anhörung auch als Übergewinnsteuer bezeichnete Energiekrisenbeitrag als zusätzliche Steuer kritisiert. Diese Steuer stelle die verlässlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen in Frage, hieß es vom Bundesverband der deutschen Industrie (BDI). Gewarnt wurde vor Doppelbelastungen. Außerdem sollte die Steuer als Betriebsausgabe abziehbar sein und nur für ein Jahr erhoben werden. Die Unternehmen in Deutschland dürften nicht stärker belastet werden. Bereits jetzt würden Investitionen zurückgefahren, und es werde die Standortfrage gestellt.
Nach Ansicht des Netzwerks Steuergerechtigkeit greift die geplante Regelung zu kurz. Nach Schätzungen der Organisation wären durch eine Übergewinnsteuer 40 bis 50 Milliarden Euro Einnahmen möglich. Stattdessen solle mit dem jetzigen Vorhaben nur ein kleinerer Teil zurückgeholt werden. Es könnte erheblich mehr eingenommen werden. Nach Angaben der Organisation landet ein Teil der Übergewinne in Steueroasen wie der Schweiz. Auch nach Angaben der Deutschen Steuergewerkschaft werden die extremen Gewinne der Energiekonzerne in Deutschland in aller Regel nicht versteuert. Es gebe nur wenige Mineralölkonzerne, die überhaupt Steuern in Deutschland zahlen würden.
Ein weiteres Thema der Anhörung war der soziale Ausgleich bei den Entlastungen aus der Gas- und Wärmepreisbremse. Experte Anzinger zeigte sich mit den Regelungen zufrieden. Das Konzept sei gelungen. Bürokratie-Probleme müssten in den Griff bekommen werden. Nach Ansicht des Bundesverbandes der Lohnsteuerhilfevereine drohen Schwierigkeiten bei der Zuordnung des Ausgleichsbetrages zum Beispiel bei Eigentümergemeinschaften oder bei Wohngemeinschaften. Probleme könnten immer dann entstehen, wenn es nur einen Gasanschluss, aber viele Eigentümer oder Mitbewohner gebe. Wenn der Anschlussnehmer ein hohes Einkommen habe, komme er in die steuerliche Belastung, obwohl er nur mit einem Bruchteil profitieren würde. Die deutsche Steuergewerkschaft befürchtet für die Finanzbehörden durch die Gaspreisbremse eine deutlich höhere Arbeitsbelastung.