Experten einig: Vergütung von Ökosystemleistung anschieben
Berlin: (hib/NKI) Über den Antrag der CDU/CSU-Fraktion (20/2554) zur Schaffung eines Vergütungssystems für die Waldbewirtschaftung, mit dem ökologische Leistungen der Wälder anerkannt werden, ist am Montagnachmittag in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft diskutiert worden. Einigkeit bestand darin, dass Waldbesitzer zukünftig für sogenannte Ökosystemleistung bezahlt werden sollen, offen blieb, in welcher Höhe und wie die Finanzierung aussehen soll.
Die Forderung, Ökosystemleistungen zu honorieren, bestehe zwar bereits seit 20 Jahren, argumentiert die Unionsfraktion in ihrem Antrag, jedoch führe die aktuell dramatische Situation in den Wäldern dazu, dass solche Maßnahmen nun tatsächlich zur Umsetzung kommen könnten.
Von der Wissenschaft werden als Ökosystemleistungen alle ökologischen Prozesse oder die aus ihnen resultierendenProdukte bezeichnet, die vom Menschen genutzt werden oder sein Leben und Wohlergehen erhalten und fördern.
Die Mehrheit der Sachverständigen begrüßte diese Wende in der Waldpolitik. Der Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung (KTF) erscheint den Experten als ein angemessenes Finanzierungsinstrument, denn er werde aus Mitteln der Klimaabgabe - also von den CO2-Verursachern - gespeist und sei langfristig angelegt.
Tina Baumann, Abteilungsleiterin Stadt Forst Frankfurt im Grünflächenamt der Stadt Frankfurt am Main, machte deutlich, wie gefährdet manche Baumbestände bereits seien. So seien in ihrer Stadt 98 Prozent der Bäume geschädigt. Für sie, so Baumann, sei der Umbau der Wälder Richtung Mischwald unumgänglich, weil dadurch die Resistenz zunehme. Seit 2019 seien Versuchsflächen angelegt worden, auf denen sowohl einheimische als auch fremde Baumarten angebaut würden, unter anderem die Atlas-Zeder und die Schwarz-Kiefer. Konkrete Aussagen darüber, ob und wie sich solche Arten auswirkten, könne es erst ab dem Jahr 2030 geben. Allerdings betonte Baumann, dass „einheimische Arten nicht vergessen werden sollen“.
Für Hannes Böttcher vom Öko-Institut, Experte für Energie und Klimaschutz, stellt ein Anreizsystem zur Honorierung zusätzlicher Klimaschutzleistungen im Wald zwar ein mögliches Instrument dar, private Waldbesitzer für Klimaschutzmaßnahmen im Wald zu gewinnen. Dabei müsse ein solches System im Beihilferahmen aber dahingehend ausgerichtet sein, dass „eine Zusätzlichkeit“erreicht werde. Zusätzlichkeit bedeute in diesem Fall, dass die Leistungen der Waldbesitzer über die gesetzlichen Anforderungen hinausgingen. Leistungsfreie Zahlungen für Grundbesitz allein widersprächen dem EU-Förderrecht - wobei die GAP eine Ausnahme darstelle.
Bestehende Standards (wie FSC, PEFC) reichten zur Zielerreichung nicht aus, betonte Böttcher: Heute seien bereits 80 Prozent der Waldfläche in Deutschland entweder FSC- oder PEFC-zertifiziert. Das Anreizsystem müsse darüber hinausgehen, wenn es eine Wirkung im Sinne der Erreichung von Klima- und Naturschutzzielen entfalten solle, denn PEFC- und FSC-Anforderungen zielten nicht direkt auf Klima- und Biodiversitätsschutz.
Eine direkte Einbindung in einen CO2-Zertifikatemarkt hält Böttcher für nicht sinnvoll: Eine Handelbarkeit mit fossilen Emissionsreduktionszertifikaten sollte seiner Meinung nach nicht suggeriert und angestrebt werden. Dazu fehlten den Kohlenstoffzertifikaten aus dem Wald die ausreichende Genauigkeit der Erfassung, die Zusätzlichkeit der CO2-Einbindung und Lösungen für das bestehende Problem der Nichtpermanenz der Kohlenstofffestlegung. Zielführender sei ein privater Zertifikatemarkt außerhalb des Beihilferahmens. Bei diesem würden Waldbesitzer zusätzlich zur Förderung ihre zertifizierten Umweltleistungen an Firmen verkaufen, die diese als Umweltengagement oder auch in einem Bonussystem nutzen könnten.
Ein Anreizsystem müsse schnell und unbürokratisch umgesetzt werden, so Böttcher weiter, da die Situation im Wald, aber auch Maßnahmen gegen die Klimakrise „sehr zeitkritisch“ seien. Allerdings müsse es auch wirkungsvoll sein. Deshalb brauche es hohe Standards für zielgerichtete Wirkung sowie ein Instrument außerhalb des Beihilferahmens und ausreichende Finanzierung.
Pierre Leonhard Ibisch, Biologieprofessor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, betonte, dass Konzepte zur Honorierung von Ökosystemleistungen grundlegenden Prinzipien - unter anderem wissenschaftliche Fundiertheit und Nachprüfbarkeit, ökologisches Primat, Umsetzbarkeit und Entwicklungsfähigkeit sowie gesellschaftliche Transparenz und Akzeptanz - genügen müssten. Diese Prinzipien sollten auch jenseits der Bearbeitung von methodischen, technischen oder institutionellen Detailfragen die Vergleichbarkeit von unterschiedlichen Ansätzen erleichtern sowie die wissenschaftliche und politische Diskussion befördern.
Der Text des Beschlussantrags der CDU/CSU-Fraktion stelle zwar verschiedene fachliche Inhalte dar, für die allerdings keine Quellen angegeben würden und die angesichts der aktuellen wissenschaftlichen Literatur keineswegs als zweifelsfreier Stand der Kenntnis gelten dürften, argumentierte Ibisch. Zudem sei es nicht so einfach festzustellen, welche die wichtigste Funktion der Wälder sei. Vielmehr gehe es um Funktionen und von ihnen abhängige Ökosystemleistungen, die die Vitalität, Resistenz und Resilienz beeinflussten. Auch die Bedeutung des Jahres 2018 und die damit verbundenen „dramatischen Veränderungen der Waldvitalität“ gelte es zu betrachten, meinte Ibisch, weil diese auf mutmaßliche Trends der näheren Zukunft Auswirkungen haben dürften.
Bereits in den vergangenen Jahren sei die Produktivität vieler Waldflächen „regelrecht eingebrochen“, diese Entwicklung setze sich aller Voraussicht nach weiter fort. Deshalb würden dringend Modelle benötigt, die die Finanzierung und Bewirtschaftung von Waldeigentum auch ohne Holznutzung möglich machten beziehungsweise eine derartige lenkende Wirkung entfalteten, dass andere als nur versorgende Ökosystemleistungen priorisiert werden könnten.
Ferner drängte Ibisch darauf, dass ein System der Honorierung von Ökosystemleistungen auf eine dringend benötigte Lenkungswirkung abziele. Es müsse unbedingt vermieden werden, dass ausschließlich auf isolierte Funktionen wie Kohlenstoffspeicherung im Holz fokussiert werde und dass eine Bewirtschaftung die Funktionstüchtigkeit des Waldes mittel- oder langfristig beschädige. Vielmehr gehe es um die Honorierung von möglichst vielen regulierenden Ökosystemleistungen, die auch zur Stabilisierung der Ökosysteme beitrügen. Hierbei seien die mikro- und mesoklimatische Regulation sowie die Beiträge zum Landschaftswasserhaushalt („Grünes Wasser“) von größter Wichtigkeit. Technologisch gebe es Möglichkeiten der Erfassung und Bewertung mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung. Eine zentrale Forderung müsse sein, dass feststellbare, also messbare Ökosystemleistungen gefördert würden und keine pauschalen Annahmen über die Leistungsfähigkeit zugrunde gelegt würden, die die reale Situation der Waldflächen ignorierten. Biomassewuchsleistung, Landschaftskühlung oder Wasserrückhaltung sollten nur dort belohnt werden, wo sie auch erfolgten.
Ibisch empfahl „dringend“, zukünftig einen Prämienmix vorzusehen, so dass je nach Management, Waldtyp und Standort mit unterschiedlichen Ökosystemleistungen Geld verdient werden könne. Eine unterdurchschnittlich ausfallende Leistung sollte nicht honoriert werden, wobei eine Verbesserung der Situation im Laufe der Zeit dazu führen könnte, dass Flächen in die Förderung geraten.
Bernhard Möhring, Professor für Forstliche Betriebswirtschaftslehre am Institut für Forstökonomie der Georg-August-Universität Göttingen, sieht „den Wald als Verlierer des Klimawandels“, erhebliche Schäden seien bereits eingetreten und Waldumbau/Klimaanpassung würden auf großer Fläche erforderlich. In Zukunft sei mit reduzierten Zuwächsen, längeren Produktionszeiten und höheren Risiken zu rechnen.
Unter den Bedingungen des Klimawandels würden Holzerlöse nicht mehr dazu ausreichen, um eine nachhaltige Waldbewirtschaftung aufrechterhalten zu können. Hauptgründe seien die großen Schäden durch Extremwetterereignisse der letzten Jahre und der sehr hohe Anpassungsbedarf an den Klimawandel. Hinzu kämen die Strukturprobleme im kleinstrukturierten Nichtstaatswald, die durch den Klimawandel und den Rückzug des Staates aus der kostenfreien Betreuung noch verschärft würden und die Tatsache, dass die Holzerlöse langfristig in Realwerten deutlich gesunken seien.
Deshalb sei die Honorierung der Ökosystemleistungen zu begrüßen, unterstrich Möhring. Schon lange bestehe die Forderung von Wissenschaft und Praxis, die gesellschaftlichen Leistungen - heute Ökosystemleistungen genannt - zu entgelten. Die aktuell dramatische Situation in den Wäldern gebe nun erstmals die Chance, dies umzusetzen. Das sei „eine zu begrüßende Wende in der Waldpolitik“. Den Klima- und Transformationsfonds (KTF) hält Möhring für das dafür angemessene Finanzierungsinstrument, „denn er wird gespeist aus Mitteln der Klimaabgabe, von den CO2-Verursachern, und ist langfristig angelegt“. Die Mittel aus dem KTF sollten auf die Sicherung der Ökosystemleistungen von Wäldern und nachhaltiger Forstwirtschaft ausgerichtet werden, die durch den Klimawandel gefährdet seien.
Ein Grundproblem bei der operativen Umsetzung sei die unbefriedigende Datenlage: „Der Wald ist groß und dunkel“. Es fehle an betrieblich differenzierten objektiven waldbezogenen Informationen. Deshalb wären standardisierte Befunde aus der Fernerkundung denkbar, zum Beispiel aus einem bundesweiten digitalen Waldmonitoring.
Möhring verwies zudem auf das international diskutierte Konzept des „Climate-Smart Forestry“ der Waldbewirtschaftung als Antwort auf den Klimawandel. Es beruhe auf der CO2-Speicherung in Wäldern und Holzprodukten in Verbindung mit der Bereitstellung anderer Ökosystemleistungen, der Stärkung der Resilienz und Gesundheit der Wälder durch ein adaptives Management und das Ersetzen nicht-erneuerbarer, CO2-intensiver Produkte, durch nachhaltige Holznutzung.
Möhring schlug vor, dieses Konzept zum Leitbild einer im umfassenden Sinne nachhaltigen Waldpolitik - auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene - zu machen. Im Zentrum stünden stabile und produktive Wälder und Forstbetriebe, die aktiv zur Lösung der Herausforderungen im Bereich von Biodiversität, Klimaschutz und Klimaanpassung beitrügen. Ein zentrales forstpolitisches Steuerungsinstrument dafür sei die Vergütung der Ökosystemleistungen.
Andreas W. Bitter, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) - Die Waldeigentümer, begrüßte zusammen mit dem Verband Familienbetriebe Land und Forst den Antrag der CDU/CSU-Fraktion, ein Honorierungssysteme für die Ökosystemleistungen des Waldes zu entwickeln. Der Antrag nenne bereits wesentliche Elemente eines solchen Systems und setze bei der Bewirtschaftung und der nachhaltigen Nutzung des Waldes an.
Richtig sei auch eine Honorierung auf Basis des aktuellen CO2-Preises sowie eine möglichst unbürokratische Umsetzung, die auch Chancen für den Kleinprivatwald mit einer Durchschnittsfläche von unter drei Hektar böte. Daher sollten die bestehenden und etablierten Zertifizierungssysteme für eine Honorierung genutzt werden, „weil das Programm für alle Waldbesitzgrößen offen sein sollte“, sagte Bitter.
Zudem werde im Unions-Antrag die Erhaltung und die Stärkung der Artenvielfalt als weiteres wichtiges Element einer Honorierung genannt. Hier sei zu berücksichtigen, dass laut wissenschaftlichen Studien die Artenvielfalt im nachhaltig bewirtschaften Wald am höchsten sei. Waldbesitzer seien aktuell vor allem ökologischen Risiken durch die Klimakrise, marktbasierten Risiken durch ökonomische Volatilitäten sowie politischen Risiken durch aktuelle Vorhaben in der europäischen und deutschen Waldpolitik ausgesetzt. Vor diesem Hintergrund sei der Gesetzgeber aufgefordert, die beschriebenen politischen Risiken zu minimieren und den Einstieg in eine Honorierung der Ökosystemleistungen des Waldes konsequent voranzutreiben.
„Bis heute beobachten wir eine ungenügende Inanspruchnahme von Förderinstrumenten der EU (ELER) und des Bundes (GAK) für die Waldwirtschaft durch Eigentümerinnen und Eigentümer kleiner Waldflächen“, sagte Enno Rosenthal, Vorsitzender des Waldbauernverbandes Brandenburg.
Ein aktuelles Beispiel dafür liefere die Inanspruchnahme der sogenannten „Bundeswaldprämie“ im Jahr 2021. Zwar sei mit diesem Instrument nach Kenntnis des Waldbauernverbandes Brandenburg ein Drittel der Privatwaldfläche erreicht worden, dabei jedoch nur etwas weniger als ein Zehntel der Waldeigentümer. Ursachen dafür seien die strukturellen Nachteile im Kleinprivatwald, aber auch die Ausgestaltung der Förderrichtlinien.
Das Defizit für eine nachhaltige Kleinprivatwaldbewirtschaftung könne durch freiwillige Zusammenschlüsse der Kleineigentümer gemäß dem Bundeswaldgesetz und deren Führung durch Forstpersonal überwunden werden. Beispiele aus Bundesländern wie Bayern und Baden-Württemberg zeigten, dass dort, wo die Professionalisierung der Zusammenschlüsse gelungen sei, Kleinprivatwald nachhaltig und im Interesse der Eigentümer und der Allgemeinheit bewirtschaftet werde. Auf diese Weise seien Dienstleistungszentren im ländlichen Raum entstanden, die sich erfolgreich auf selbstständiger Grundlage mit Unterstützung der Forstverwaltungen und der Politik entwickelten. In Brandenburg sei in diesen Tagen das Versuchsprojekt „Waldbauernschule“ dazu gestartet.
Der heute diskutierte Antrag der Unionsfraktion stärke solche Zusammenschlüsse der Waldbesitzer dagegen nicht, sagte Rosenthal. Vielmehr werde der Beschluss des Haushaltsausschusses zur Ausgestaltung der HÖSL-Prämie (Honorierung Ökosystemleistungen) begrüßt. Die HÖSL-Prämie könne zu einer zusätzlichen Aktivierung von Leistungen durch die Waldeigentümer und nutzungsberechtigten Forstbetriebe führen. Den Nachweis einer aktiven nachhaltigen Waldbewirtschaftung könnten Eigentümer kleiner Waldflächen unbürokratisch erbringen, etwa durch die Bestätigung einer Zertifizierung. Rosenthal unterstrich die Dringlichkeit, ein Instrument wie die HÖSL-Prämie als zusätzliche Unterstützung der Waldbesitzender auf den Weg zu bringen, weil dabei der Kleinprivatwald besondere Beachtung fände.
Der Brandenburger Verband vertritt die Interessen der Kleinprivatwaldbesitzer und anerkannter forstwirtschaftlicher Zusammenschlüsse. Kleinprivatwald mit einer Größe bis zu zehn Hektar macht nach Angaben des Brandenburger Verbandes nahezu ein Viertel der Gesamtwaldfläche der Bundesrepublik aus. Etwa 99 Prozent der rund 1,6 Millionen privaten Waldbesitzer in Deutschland werden dieser Kategorie zugeordnet.