Artikelgesetz Zeitenwende: Schnelle Verabschiedung gefordert
Berlin: (hib/HAU) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung „zur weiteren Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft und zur Änderung von Vorschriften für die Bundeswehr“ (20/13488) sollte noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Diese Ansicht teilte die Mehrheit der zu einer öffentlichen Anhörung des Verteidigungsausschusses am Montagnachmittag geladenen Experten.
Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, die finanziellen Leistungen für Soldatinnen und Soldaten im Ausland zu erhöhen. Dies solle vor allem für das Personal gelten, das in der noch aufzubauenden Brigade in Litauen eingesetzt wird. Geplant ist, den Anwendungsbereich von Verpflichtungsprämien für Zeitsoldaten auszuweiten und die Vergütung für Mehrarbeit oder für besondere zeitliche Belastungen neben den Auslandsdienstbezügen zu ermöglichen. Zur Verbesserung der sozialen Absicherung sollen zudem die Anwendungsbereiche der Einsatzversorgung und der einmaligen Unfallentschädigung ausgeweitet und die finanziellen Leistungen bei Dienstunfähigkeit oder Tod verbessert werden. Auch die Übergangsbeihilfe bei Verpflichtungszeiten von mehr als 20 Jahren für Zeitsoldaten soll erhöht werden.
Der Kommandeur der Panzerbrigade 45 in Litauen, Brigadegeneral Christoph Huber, sieht in dem Entwurf eine äußerst wichtige Grundlage für die Verbesserung der Einsatzbereitschaft der Panzerbrigade 45. „Eine zeitnahe Verabschiedung beziehungsweise ein Inkrafttreten im Frühjahr 2025 ist für unsere Planungssicherheit entscheidend“, betonte er. Eine Verzögerung des Inkrafttretens hätte aus seiner Sicht auch Folgen für die Attraktivität und die Innere Lage. Daraus entstünden Unsicherheiten bei den Soldatinnen und Soldaten und ihren Familien, „ob die geplanten Maßnahmen zeitgerecht kommen“.
Huber machte deutlich, dass die Schaffung der Möglichkeit eines finanziellen Ausgleichs von Mehrarbeit und besonderen zeitlichen Belastungen im Ausland dringend erforderlich sei, „da ein Freizeitausgleich nur sehr begrenzt umsetzbar sein wird“. Der geltende Grundsatz, dass für einen Tag Übung ein Tag Freistellung zu gewähren ist, lasse sich in einer Brigade, „die den höchsten Alarmierungserfordernissen der NATO unterliegt, nicht durchhalten“, sagte der Brigadegeneral.
Aus Sicht von Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes, beinhaltet das Artikelgesetz „Zeitenwende“ wichtige Instrumente zur Personalgewinnung und -bindung und zur Verbesserung der sozialen Rahmenbedingungen - darunter wesentliche Neuregelungen für die in der Aufstellung befindliche Brigade Litauen. Es dulde daher „keinen Aufschub“.
Gleichwohl gebe es noch Nachbesserungs- und Gestaltungsbedarf. So müsse die Erhöhung des Ausnahmetatbestandszuschlags deutlich höher ausfallen als im Gesetz geplant, sagte Wüstner. Andernfalls rutsche die Bundeswehr bei der Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt weiter ab. Nachgebessert werden müsse auch bei der „Vergütung bei Einsatzaufgaben mit besonderen Alarmierungspflichten“ (Alarmierungsvergütung). Wüstner forderte zugleich die Abschaffung aller Hinzuverdienstgrenzen für Soldaten und Beamte im Ruhestand.
Gerd Landsberg, Ehren-Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und Mitglied im Beirat Innere Führung, sprach sich „angesichts des steigenden Fachkräftemangels“ ebenfalls für die komplette Abschaffung der Hinzuverdienstgrenzen aus. Gerade die Kommunen seien in großem Umfang auf qualifizierte ehemalige Soldatinnen und Soldaten angewiesen, sagte Landsberg. Kritisch blickte er auf die geplanten Arbeitszeitregelungen. Zwar bestehe kein Zweifel, dass die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erhöht werden muss. Jedoch entstehe der Eindruck, „dass künftig nahezu grenzenlos über die Arbeitszeit der Truppe verfügt werden könnte“.
Laut Landsberg seien keine ausreichenden Kompensationen für diese Belastungen vorgesehen. Er brachte die Idee eines Dienstzeitkontos ins Spiel. Dieses könne auch längerfristig laufen. „Warum soll nicht ein Zeitsoldat ansammeln dürfen, und dann statt nach zwölf Jahren schon nach elf Jahren aus dem Dienst ausscheiden“, lautete seine Anregung. Mit Blick auf die Brigade in Litauen forderte er, eine zuverlässige und finanzierte Pendelmöglichkeit für die Soldatinnen und Soldaten zu gewährleisten.
Andreas Eggert vom Bund Deutscher EinsatzVeteranen verwies auf die derzeit „unzureichende Versorgungssituation von Zeitsoldaten“. Die Bundeswehr sei das Rückgrat der nationalen Sicherheit und erfülle zugleich internationale Verpflichtungen. „Ein zentraler Pfeiler ihrer Stärke ist die personelle Einsatzbereitschaft, die maßgeblich von der fairen und respektvollen Behandlung unserer Soldaten abhängt“, sagte Eggert. Besonders jene Soldaten, die durch Dienstunfälle schwerbehindert geworden seien, verdienten uneingeschränkte Unterstützung. Aktuell bestünden aber signifikante Unterschiede bei der Versorgung von Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten nach Dienstunfällen.
Ziel müsse es sein, „strukturelle Gerechtigkeit zu schaffen“. Dies betreffe nicht nur die konkrete Versorgung, sondern auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen Ansprüche geltend gemacht werden können. Die Gleichstellung von Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten bei der Versorgung sei ein zentraler Schritt, sagte Eggert.
Professor Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr München forderte ebenfalls, den Gesetzentwurf noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden. Sollten strittige Punkte angesichts des knappen Zeithorizonts nicht mehr vollumfänglich in den Entwurf Eingang finden können, könne eine Evaluierung nach einem Jahr in die Regelung eingearbeitet werden, schlug Masala vor. Die Präsenz der Brigade in Litauen, so der Politikwissenschaftler, sei der Notwendigkeit geschuldet, „Litauen in Litauen zu verteidigen“. Sie sei also sicherheitspolitisch wichtig. Die zeitnahe Verabschiedung der Neuregelung sei notwendig, um das gegebene Versprechen, NATO-Territorium zu verteidigen, einzuhalten, sagte Masala. Scheitere die Stationierung der Brigade, verliere Deutschland politisches Kapital.
Masala ging auch auf Aussagen von BND-Präsident Bruno Kahl und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ein, wonach Russland Ende des Jahrzehnts militärisch in der Lage sei, NATO-Territorium anzugreifen. Dem werde oft entgegengehalten, dass die NATO Russland konventionell überlegen sei. Diese Überlegenheit bringe aber nur etwas, „wenn man auch bereit ist, sie einzusetzen“, betonte er. Zu erwarten sei, so Masala weiter, „ein bewusster Test der NATO-Bereitschaft, das eigene Bündnisgebiet zu verteidigen“.
Generalleutnant Alfons Mais, Inspekteur des Heeres, betonte, dass das Gesetz und die begleitenden Mantelverordnungen als Gesamtpaket „von elementarer Bedeutung für das Deutsche Heer“ seien. Die geplanten Änderungen würden die Verfügbarkeit von militärischem Personal, flexibilisieren das Arbeitszeitrecht verbessern und die Attraktivität des Dienstes in der Brigade Litauen erhöhen.
Mais erkannte dennoch Verbesserungsbedarf. So müsse aus seiner Sicht sichergestellt sein, dass die finanzielle Vergütung neben Auslandsdienstbezügen in allen im Ausland stationierten Einsatzverbänden und -stäben zur Anwendung kommen kann - nicht nur bei der Brigade Litauen. Verbesserungen brauche es auch bei der einmaligen Unfallentschädigung, so dass alle Ausbildungs- und Übungsvorhaben ohne die Einschränkung einer komplizierten und in der Auslegung schwierigen Definition einer „besonders gefährlichen Diensthandlung“ erfasst werden. Mais forderte zudem die Ausweitung der Einsatzversorgung auf alle spezifischen Tätigkeiten der Streitkräfte nach Paragraf 30c Absatz 4 Soldatengesetz.
Lühr Henken vom Bundesausschuss Friedensratschlag hält hingegen die Ängste vor einem russischen Angriff auf NATO-Gebiet für unbegründet. Würde Russland den Entschluss fassen, die europäischen NATO-Staaten anzugreifen, stünde es auf verlorenem Posten. Allein die europäischen NATO-Staaten - ohne die USA und Kanada - wiesen gegenüber Russland eine große Überlegenheit auf, sagte er. „Folglich ist die NATO- und Bundeswehraufrüstung unsinnig und damit auch der Aufbau einer Brigade in Litauen“, sagte Henken. Die NATO-Staaten sollten aus seiner Sicht auf Friedensverhandlungen mit Russland setzen und Abrüstungsangebote machen.