Geringere rechtliche Risiken beim Streckbetrieb
Berlin: (hib/HLE) Die rechtlichen Risiken bei einem Streckbetrieb der letzten drei deutschen Atomkraftwerke um einige Monate seien geringer gewesen als bei einem Reservebetrieb, bei dem Kraftwerke nur bei Bedarf wieder hochgefahren werden. Diese Einschätzung äußerte ein Mitarbeiter des Bundesumweltministeriums am vergangenen Donnerstag vor dem 2. Untersuchungsausschuss, der die Umstände des deutschen Atomausstiegs aufklärt.
Dass es auf die beiden Optionen Streck- oder Reservebetrieb hinauslaufen würde, sei schon früh ersichtlich gewesen, erklärte der Zeuge. Er habe die rechtlichen Risiken für einen Streckbetrieb als geringer eingeschätzt als die Risiken eines Reservebetriebs, obwohl beide Betriebsformen möglich gewesen seien. Auf den Hinweis, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) einen Reservebetrieb favorisiert habe, sagte der Zeuge, der Reservebetrieb wäre regelbar gewesen. Die Entscheidung für eine der beiden Optionen habe bei den Abgeordneten des Deutschen Bundestages gelegen. Ein Reservebetrieb hätte im Energiewirtschaftsrecht durch das Bundeswirtschaftsministerium geregelt werden müssen, vergleichbar mit den Regelungen für im Reservebetrieb befindliche Kohle- und Gaskraftwerke.
Der Zeuge erläuterte auch, warum es seiner Ansicht nach einfacher gewesen sei, die Laufzeit für alle drei im Jahr 2022 noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke zu verlängern und nicht etwa zum Beispiel nur eine Anlage länger zu betreiben und die beiden anderen wie vorgesehen Ende 2022 stillzulegen. Wenn nicht die Laufzeit aller drei Anlagen hätten verlängert werden sollen, hätte ausdrücklich begründet werden müssen, warum nur ein bestimmtes Kraftwerk länger laufen solle und nicht alle drei. Der Weiterbetrieb aller drei Anlagen sei einfacher regelbar gewesen. Auf die Fragen von Abgeordneten, warum die Laufzeitverlängerung nur bis Mitte April 2023 erfolgt war, sagte der Zeuge, er sei an den technischen Fragen nicht beteiligt gewesen. Es sei aber zu vermuten, dass die vorhandenen Brennelemente nicht viel länger hätten genutzt werden können.
Eine Rolle bei der Vernehmung spielte auch die Haltung der damaligen Kraftwerksbetreiber zu einer möglichen Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke. Die Energieversorgungsunternehmen hätten damals erklärt, dass sie einer Verlängerung über einen Zeitraum von einigen Monaten hinaus nur zustimmen wollten, wenn die Risiken auf den Staat übertragen werden würden. Da keine Versorgungsnotlage festgestellt worden sei, kam nach Ansicht des Zeugen keine Übernahme der Risiken durch den Staat in Betracht. Für einen längeren Weiterbetrieb hätten weitere Fragen geklärt werden müssen, zum Beispiel, ob genügend Personal vorhanden sei. Die Beschaffung von Brennelementen und die Lagerung der Elemente hätten auch geklärt werden müssen.
An dem gemeinsamen Vermerk von Umwelt- und Wirtschaftsministerium vom 7. März sei er nicht beteiligt gewesen, schilderte der Zeuge. Darin lehnten beide Ressorts einen Weiterbetrieb der Kernkraftwerke unter anderem aus Gründen der nuklearen Sicherheit ab. Auf die Frage, ob ihn die Nicht-Beteiligung seines Referats überrascht hätte, antworte der Zeuge: „Nein.“ Die rechtlichen Fragen in dem Vermerk hätte der Abteilungsleiter verfasst, der selbst die notwendige rechtliche Expertise habe. An einen Sprechzettel für Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne), in dem die Kernkraft als Hochrisikotechnologie bezeichnet und ein Weiterbetrieb als nicht verantwortbar bezeichnet worden war, konnte sich der Zeuge nicht erinnern.
Ein weiterer Zeuge, der im Umweltministerium für den Bereich nukleare Entsorgung tätig ist, schilderte, dass er für die Sicherheit der Reaktoren und die Verlängerung von Laufzeiten nicht zuständig, aber beteiligt gewesen sei. Die Beteiligung habe darin bestanden, indem man sich an der Erstellung von Papieren beteiligt und an der Bearbeitung von Anfragen mitgewirkt habe.
Der Zeuge schilderte zur Debatte über einen Streckbetrieb, man habe in diesem Fall negative Auswirkungen für die nukleare Entsorgung gesehen. Zusätzliche Abfallmengen seien nicht vorgesehen gewesen. Die Suche nach einem Endlager wäre erschwert worden. Die Akzeptanz für Entsorgungsmaßnahmen hätte sinken können.