Gesundheitstourismus sucht nach neuen Geschäftsmodellen
Berlin: (hib/NKI) m Mittwoch hat der Ausschuss für Tourismus in einer Sachverständigen-Anhörung das Thema „Wie fit ist der Gesundheitstourismus?“ diskutiert. Die Experten waren sich darin einig, dass es neue Förderungsmodelle zur Finanzierung touristischer Leistungen und steuerliche Erleichterungen für Kurorte und Heilbäder braucht. Außerdem standen moderne Gesundheitsangebote für Selbstzahler im Fokus.
Annette Rösler, Geschäftsführerin beim Bäderverband Mecklenburg-Vorpommern, verdeutlichte, dass die Lage vieler Anbieter im Gesundheitstourismus bedenklich sei. „Dieser Tourismus ist krank und nicht fit“, sagte Rösler. Die Orte mit Kur- und Heilbädern seien in der Regel kleine Kommunen, die unter diversen Pflichtabgaben zu leiden hätten. Hinzu kämen Fachkräftemangel, steigende Preise für Energie sowie Probleme bei der Anbindung dieser Orte an den öffentlichen Personennahverkehr. Wolle man neue Impulse für den Bereich Gesundheitstourismus setzen, dann brauche es einen grundlegenden Wandel in der öffentlichen Finanzierung. Rösler sprach sich für eine Pflichtabgabe Tourismus für Heil- und Kurbäder aus. Nur damit lasse sich eine dauerhaft gesicherte Finanzierung garantieren.
Matthias Strejc, Bürgermeister im Sole-Heilbad Bad Frankenhausen, schloss sich seiner Vorrednerin an. Kurorte und Heilbäder hätten für die ländlichen Regionen, in denen sie sich zumeist befinden, eine sehr hohe Wirtschaftskraft. Oftmals seien der Gesundheitstourismus, die Reha-Angebote sowie andere touristische Angebote „die einzigen Wirtschaftssektoren der Orte“, sagte Strejc. Anders als in starken Industriestandorten fielen die Gewerbesteuereinnahmen in Kurorten und Heilbädern „deutlich geringer“ aus. Allerdings seien die Kommunen verpflichtet, „die kurörtliche Infrastruktur aufrechtzuerhalten“, was dazu führe, dass diese Gemeinden deutlich höhere Ausgaben hätten. „Die finanzielle Lage der Kurorte und Heilbäder ist extrem angespannt“, betonte Strejc. Kurorte und Heilbäder benötigten deshalb dringend eine auskömmliche Finanzausstattung, um die kurörtliche Infrastruktur weiter unterhalten zu können, dringend notwendige Investitionen durchführen zu können und der steigenden Nachfrage nach Gesundheitsangeboten gerecht zu werden.
Brigitte Goertz-Meissner, Präsidentin des Deutschen Heilbäderverbands, ging neben dem zunehmenden Personalmangel und steigenden Kosten ebenfalls auf steuerliche Fragen ein. „Die größte Herausforderung der Heilbäder und Kurorte ist die Unterhaltung, Instandsetzung und Weiterentwicklung der äußerst personal- und kostenintensiven Gesundheitsinfrastrukturen“, sagte Goertz-Meissner. Die überwiegend sehr kleinen Orte ständen finanziell „mit dem Rücken an der Wand“, insbesondere, da sie aufgrund der Pandemie ihre Thermalbäder schließen mussten und keine Ausfallentschädigung geltend machen konnten. Für rund 200 Thermalbäder in Deutschland seien Förderprogramme „dringend notwendig“. Als eine „weitere Herausforderung“ nannte Goertz-Meissner die Problematik zum Vorsteuerabzug. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) entziehe den Heilbädern und Kurorten die Berechtigung zum Vorsteuerabzug. Damit drohten den Kommunen Nachzahlungen, teilweise in Millionenhöhe. „Der Vorsteuerabzug von der Kurtaxe muss weiterhin in voller Höhe möglich sein“, sagte sie. Rückwirkende Forderungen der Finanzämter müssten ausgesetzt werden. Die Heilbäder und Kurorte stünden andernfalls vor dem Aus.
Heike Döll-König, Geschäftsführerin von Tourismus NRW, sieht das Potenzial von Kurorten vor allem in „modernen Gesundheitsangeboten für Selbstzahler“. Ansätze dafür könnten beispielsweise Trends wie „Longevity“ sein - dieser Trend beschreibe den Wunsch nach einem langen und gesunden Leben. Außerdem habe sich während der Corona-Pandemie gezeigt, dass Themen wie „Outdoor“ und „Natur“ für den Tourismus immer wichtiger werden. Diese Trends müssten in Kombination aus Bewegung, Entspannung und Ernährung angeboten werden. In Nordrhein-Westfalen werde deshalb eine Initiative vorbereitet, die diese neuen Themen in konkrete Maßnahmen für die Heilbäder und Kurorte umsetzen will. „Allerdings müssen zur Nutzung dieser Chancen und zur Umsetzung der Ergebnisse auch die Rahmenbedingungen stimmen“, sagte Heike Döll-König und forderte eine stärkere Unterstützung durch den Bund und die Länder.
Frank Oette, Geschäftsführer Gesundes Bayern Tourismus Marketing GmbH/Bayerischer Heilbäder-Verband, unterstrich die Bedeutung des Gesundheitstourismus als Wirtschaftsfaktor im Freistaat Bayern. Seine Dachorganisation vertrete 70 Heilbäder, Kurorte und Kurbetriebe in Bayern, mit einem Jahresumsatz von knapp 4,5 Milliarden Euro und rund 100.000 Arbeitsplätzen im ländlichen Raum. Der Grundsatz „Prävention vor Reha vor Rente vor Pflege“ erfordere jedoch „kontinuierliche Investitionen in die Infrastruktur vor Ort, die Produktentwicklung, entsprechende Marketing- und Kommunikations- und Entbürokratisierungsmaßnahmen“, sagte Oette. Diese dringend notwendigen Investitionen in den Gesundheitstourismus seien als freiwillige Leistungen von den Städten und Kommunen aufgrund ihrer aktuellen finanziellen Situation derzeit nicht mehr zu stemmen. Außerdem müssten die Kurorte und Heilbäder durch Bürokratieabbau und erleichterte Verfahren bei Prädikatisierungen und Re-Prädikatisierungen entlastet werden. Der Fokus müsse auf den notwendigen kurörtlichen Rahmenbedingungen und der Erhaltung und Sicherung der Qualität liegen. „Eine Entschlackung der bundeseinheitlichen Begriffsbestimmungen für Heilbäder und Kurorte ist daher erforderlich“, so Oette.
Daniela Leipelt, Leiterin des Kur- und Tourismusmanagements beim Kur- und Gästeservice Bad Füssing, verwies auf die Krisenjahre ab 2020. Zwar habe Bad Füssing 2023 mit über zwei Millionen Übernachtungen, 1,6 Millionen Besuchern - davon rund 310.000 Übernachtungsgästen - zu den beliebtesten Heilbädern und Spa-Gesundheitszentren in Europa gezählt, jedoch hätten die vergangenen Jahre mit Corona und dem Krieg in der Ukraine gezeigt, wie anfällig gerade die Tourismusbranche sei. Die Krisen hätten jedoch auch verdeutlicht, wie wichtig Resilienz und Prävention seien. Deshalb solle „eine Positionierung im Gesundheitstourismus etabliert werden, mit der die Gesunderhaltung der Bevölkerung durch nachhaltige Prävention in den Mittelpunkt gestellt wird“. Die Kurorte in Deutschland könnten einen maßgeblichen Beitrag zur langfristigen Entlastung des Gesundheitssystems leisten. „Die Menschen sollten insgesamt länger und nachhaltig gesund bleiben und sollten bereits während ihres aktiven Berufslebens Präventionsleistungen in einem Kurort in Anspruch nehmen können“, sagte Leipelt. Heute schon sei bereits bei verschiedenen Zielgruppen - wie beispielsweise der „Generation 50 plus“ - ein verstärktes Gesundheitsbewusstsein festzustellen. „Gesundheit wird vermehrt holistisch und als Lifestyle betrachtet und nicht wie früher lediglich als Gegenpart zur Krankheit“, sagte Leipelt.
Georg Steckenbauer, Dekan der Technischen Hochschule Deggendorf, unterstrich, dass Gesundheitstourismus eine wesentliche Säule des touristischen Angebots darstelle. „Gerade die gesundheitstouristischen Infrastrukturen bilden das Rückgrat des touristischen Angebots in vielen Regionen“, sagte der Professor. Um die Markt- und Konkurrenzfähigkeit zu erhalten und zu erhöhen, brauche es aber eine stärkere Fokussierung: Nur wenn gesundheitstouristische Angebote dahingehend gestaltet seien, dass sie kompatibel mit den Lebensstilen der Zielgruppen sind, könnten sie „zielgerichtet vermarktet werden“. Das beginne bei der Frage, welchen Stellenwert Gesundheit innerhalb des eigenen Lebensstils habe, was touristische Angebote enthalten müssten und wie Infrastrukturen gestaltet sein müssten. Naturbasierte Angebote - Stichwort Wald - böten zwar viel Potenzial, aber nur, wenn sie gleichzeitig auf „seriöser medizinischer Basis aufbauen“ und hohe touristische Erlebnisqualität beinhalteten. Für jüngere Zielgruppen gelte dies umso mehr. Gesundheit habe heute eine höhere Bedeutung als früher, bestehende Angebote müssten daraufhin überprüft werden, in welchem Maße sie auch jüngere Zielgruppen ansprechen. Nicht zuletzt müsse „ein fundamentales Umdenken“ bei den Rahmenbedingungen für Mitarbeiter erfolgen. Nur, wenn es gelinge, die Mitarbeiter und die Kunden in ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen und adäquate Modelle zu bieten, werde es auch gelingen, „die Mitarbeiterbasis in den Betrieben aufrechtzuerhalten“, sagte Steckenbauer.
Das Video der Anhörung und die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw45-pa-tourismus-gesundheitstourismus-1025798