21.10.2024 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 723/2024

Ex-Staatssekretär: Doha-Abkommen hat Schieflage geschaffen

Berlin: (hib/CRS) Berlin: (hib/CRS) Der ehemalige Staatssekretär im Auswärtigen Amt (AA) Miguel Berger hat im Untersuchungsausschuss Afghanistan die USA für das Doha-Abkommen und für Mängel beim Informationsaustausch zwischen den USA und den Alliierten kritisiert. Berger und seine Amtskollegin, Ex-Staatssekretärin Antje Leendertse, sagten in der 89. Sitzung des Ausschusses aus, der die Ereignisse zwischen der Unterzeichnung des Doha-Abkommens im Februar 2020 zwischen den USA und den Taliban, mit dem der Abzug internationaler Truppen in Afghanistan geregelt wurde, und der militärischen Evakuierungsoperation am Kabuler Flughafen Mitte August 2021 untersucht.

Das Doha-Abkommen sei auf Kosten anderer zustande gekommen und die USA hätten damit eine Schieflage geschaffen, weil keinerlei Koppelung zwischen dem Abzug internationaler Truppen und Fortschritten in den innerafghanischen Friedensverhandlungen existiert habe. Hinzugekommen sei, dass der Vertrag die damalige afghanische Republik dazu gezwungen habe, 5.000 gefangene Taliban freizulassen. Das Abkommen habe die afghanische Regierung geschwächt.

Berger wies allerdings auch darauf hin, dass das politische System Afghanistans dysfunktional gewesen sei. Der damalige Präsident Aschraf Ghani und sein Widersacher Abdullah Abdullah hätten lange darüber gestritten, wer die Wahl gewonnen habe. Über Ghani sagte der Diplomat, er sei kein wirklicher Politiker gewesen, habe einen „professoralen Zugang“ zu den Themen gehabt. Dennoch sei er problembewusster gewesen als sein Vize Amrullah Saleh, dessen Optimismus Berger als „überzogen“ bezeichnete.

Deutschland habe mit Vehemenz versucht, nachträglich eine Konditionalität in das Doha-Abkommen zu bringen. Nach der Wahl Joe Bidens sei von US-Seite versichert worden, das Abkommen werde ernsthaft überprüft. Im April 2021 entscheid Biden als US-Präsident jedoch, den Abzug fortzusetzen und begrub damit die letzten Hoffnungen.

Er habe gehofft, dass die USA Nachverhandlungen verlangen würde, erläuterte Berger. Die Taliban hätten das wahrscheinlich abgelehnt, aber die Hoffnung sei gewesen, dass die USA bei den heftigen Gefechten und dem Bürgerkrieg, der eventuell folgen würde, die Regierung militärisch unterstütze. So hätte der Taliban-Vormarsch gestoppt, die Regierung stabilisiert und die Taliban zu Verhandlungen gezwungen werden können.

Berger wies darauf hin, dass deutlich geworden sei, wie abhängig man in Afghanistan von den USA als „Führungsnation“ gewesen sei. Die USA hätten den Hebel umgelegt und den anderen keine Wahl gelassen. „Ohne die Amerikaner wäre überhaupt nichts möglich gewesen“ sagte der Ex-Staatssekretär und fügte hinzu: „Nicht einmal die Evakuierung hätten wir so hinbekommen.“

Laut Berger habe es auch während der militärischen Evakuierung Probleme im Informationsaustausch mit den Amerikanern gegeben. Man sei nicht richtig über den Zustand der afghanischen Sicherheitskräfte informiert worden. Auch die eigenen Evakuierungspläne der Amerikaner seien nicht rechtzeitig kommuniziert worden, wobei Berger das darauf zurückführte, dass offensichtlich auch die Kommunikation zwischen der US-Botschaft in Kabul und Washington nicht gut funktionierte.

Zu den Problemen bei der Evakuierung vom Flughafen Kabul sagte Berger, dass sich vor den Toren des Flughafens Tausende von Binnenflüchtlingen angesammelt hatten. Im Krisenstab habe man alle Möglichkeiten erwogen, um antragsberechtigte Ortskräfte und ihre Familien zu evakuieren. Das sei nur zum Teil gelungen. Bereits Mitte Juli sei die Lage im Land so zugespitzt gewesen, dass man Ortskräfte sofort in die Maschine hätte setzen und ausfliegen sollen. Damals habe man aber nicht gewusst, wie sich die Lage entwickeln würde und gedacht, dass man noch Zeit habe.

Auf entsprechende Nachfrage gestand Berger ein, dass man auch präventiv die Sicherheitsüberprüfung der Ortskräfte hätte vornehmen sollen. Die Briten und auch die USA hätten das gemacht. Die Briten hätten die gesamte Evakuierung über die IOM (International Organisation of Migration) abgewickelt und dadurch geschafft nur Leute auszufliegen, die bereits ein Visum besaßen. Deutschlands Versuch, die IOM einzubinden, habe nicht funktioniert. „Die einzige Alternative war Visa-on-Arrival“ sagte Berger, aber das sei erst am 15. August 2021 zugestanden worden. Er zeigte jedoch auch Verständnis für das VoA-blockierende Innenministerium, weil man sich dort um die Sicherheit Deutschlands Sorgen gemacht hätte.