UNRWA-Chef warnt vor Hungersnot in Gaza
Berlin: (hib/SAS) Der Chef des Palästinenser-Hilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA), Philippe Lazzarini, hat bei seinem Besuch im Menschenrechtsausschuss am Mittwoch vor einer weiteren Verschlechterung der humanitären Situation in Gaza gewarnt. Das Palästinensergebiet sei zu einer „Ödnis geworden, in der man nicht mehr leben kann“, sagte Lazzarini. Die Menschen dort kämpften täglich ums Überleben, gegen Krankheiten und Hunger. Gaza stehe kurz vor dem Winter am Rande einer Hungersnot. Die Zahl der Hilfslieferungen sei zuletzt wieder deutlich zurückgegangen, auch im Norden des Gebiets. Vor allem die Situation der Kinder sei äußerst kritisch, sie lebten zwischen Trümmern und Abfällen. Viele seien durch den Krieg traumatisiert, verletzt und verstümmelt oder zu Waisen geworden, berichtete der UNRWA-Generalkommissar. 600.000 Schulkinder erhielten keine Bildung. Wenn man verhindern wolle, dass sie in Hass aufwüchsen, müssten sie so bald wie möglich nach einem Waffenstillstand wieder unterrichtet werden.
Gleichzeitig warnte Lazzarini vor den Folgen eines Gesetzentwurfs der israelischen Regierung, über den die Knesset, das israelische Parlament, gegenwärtig berate. Dieser sieht vor, dem Hilfswerk die Arbeit in Israel zu verbieten. Israel wirft der UNRWA eine Unterwanderung durch die radikalislamische Hamas vor. Mehrere Mitarbeiter des UNRWA sollen nach israelischen Angaben am Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein. Er rechne damit, dass bis Ende des Monats das Gesetz verabschiedet und das UNRWA aus den besetzten Gebieten ausgeschlossen werde, sagte Lazzarini. Die Auswirkungen dieses Schrittes seien gravierend: Es gebe in Gaza weder eine funktionierende staatliche Verwaltung noch eine andere VN-Organisation oder Nichtregierungsorganisation, die die Bildung der Kinder und Jugendlichen übernehmen könne. Es drohe, eine Generation geopfert zu werden. Das Aus für UNRWA bedeute auch eine weitere Schwächung des „multilateralen Instrumentariums“. Angriffe auf VN-Institutionen könnten sich anderswo wiederholen, so Lazzarinis Sorge.
Das UNRWA versorgt Millionen Palästinenser nicht nur in Gaza, sondern auch im Westjordanland, in Jordanien, im Libanon und in Syrien in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Sozialdienste und andere Hilfsleistungen. Lazzarini bezifferte die Zahl der UNRWA-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in der Region auf 33.000. Auch andere VN-Organisationen, wie etwa das Welternährungsprogramm, nutzten die Infrastruktur seines Hilfswerks. Implodiere es, erschwere das auch die Arbeit anderer.
Zur Kritik, die UNRWA habe eine zu große Nähe zur Hamas zugelassen, mit der sich Lazzarini im Ausschuss seitens der Unionsfraktion und der AfD-Fraktion erneut konfrontiert sah, sagte der UNRWA-Generalkommissar, man habe seit dem „Colonna-Bericht“ viel getan. So würden Mitarbeiter überprüft, Verdächtige suspendiert, man gebe quartalsweise Listen an die israelischen Behörden weiter, arbeite mit Finanzinstitutionen zusammen, in der Organisation herrsche überhaupt eine „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Neutralitätsproblemen. Lazzarini kündigte an, Fortschritte bei der Umsetzung von Reformen über eine Internetseite öffentlich zu machen. Ein unabhängiger Untersuchungsausschuss der VN unter dem Vorsitz der früheren französischen Außenministerin Catherine Colonna hatte dem UNRWA im April „Neutralitätsprobleme“ nachgewiesen und 50 Empfehlungen für Reformen gegeben. Man tue alles, um sie umzusetzen, versicherte Lazzarini den Abgeordneten. Man nehme die Sache sehr ernst.
Angesichts der Not in Gaza verwies der UNRWA-Chef auch auf die angespannte finanzielle Lage des Hilfswerks. Aufgrund der Anschuldigungen hatten 16 Geldgeber des UNRWA, darunter auch Deutschland, ihre Zahlungen vorübergehend ausgesetzt. Inzwischen hätten alle bis auf die USA sie wieder aufgenommen, bestätigte Lazzarini. Bis zum Ende des Jahres sei die Finanzierung des Hilfswerks gedeckt. Doch gerade die Nothilfe sei unterfinanziert.
Berichterstattung zum Nahostkonflikt von „Das Parlament“: https://www.das-parlament.de/nahostkonflikt