Experten für tägliche Bewegungsstunde in Schulen
Berlin: (hib/HAU) Neben dem Sportunterricht brauchen Kinder in der Schule eine tägliche Bewegungsstunde. Dies müsse beim Ganztags-Schulausbau mitgedacht werden, forderten Daniel Möllenbeck, Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes, und Julia Scheider, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Turnerjugend am Mittwoch vor dem Sportausschuss. Maren Rebmann, Leiterin der Bewegungskindertagesstätte Hopser in Böblingen, wies bei der Sitzung auf die große Bedeutung der frühkindliche Sportförderung in der Kita hin, während Daniel Hager-Mann vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg auf die Aktivitäten der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK) hinwies.
Der Alltag viele deutscher Kinder sei durch Bewegungsmangel gekennzeichnet, sagte Sportlehrerverbandspräsident Möllenbeck. 75 Prozent der Grundschulkinder bewegten sich weniger als 60 Minuten täglich. Diesen Minimalwert empfehle die Weltgesundheitsorganisation WHO zur Unterstützung eines gesunden Lebensstils im Kindesalter, sagte Möllenbeck. Tägliche Sport- und Bewegungsaktivitäten hätten das Potenzial, eine ganzheitliche positive Entwicklung der Kinder zu unterstützen. „Bewegung, Spiel und Sport ermöglichen das Erleben von Lebensfreude, Zugehörigkeit und Anerkennung“, sagte er. Zugleich werde dadurch Leistungsbereitschaft entwickelt, das Selbstvertrauen gestärkt und soziale Kompetenz aufgebaut. Als gesichert gelte auch der Zusammenhang von Bewegung und kognitiven Lernprozessen.
Die große Bedeutung des Schulsports, so der Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes, ergebe sich daraus, dass nur dort tatsächlich alle Kinder und Jugendliche erreichbar seien. Gleichwohl bewege sich der Sportunterricht in einer „ausbaufähigen, bisweilen sogar dramatischen Situation“, sagte Möllenbeck. Grund dafür sei der Lehrkräftemangel, der hohe Stundenausfall, geschlossene Schwimmbäder und marode Sportstätten. „Es gibt Schulen, die haben fast alles. Andere Schulen haben fast gar nichts“, sagte der Sportlehrer. So würden Ungleichheiten verschärft.
Benötigt würden daher Mindeststandards für die Sportausstattung an Schulen, forderte Möllenbeck. Darüber hinaus brauche es pro Grundschule zumindest eine grundständig ausgebildete Sportlehrkraft.
Jeder wisse, wie wichtig Bewegung für die kognitive, motorische und soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist, sagte die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Turnerjugend Scheider. Schon in der Kita, spätestens aber mit Eintritt in die Schule sei der Alltag von Kindern jedoch durch Bewegungsarmut geprägt, kritisierte sie. Die Einführung einer verpflichtenden täglichen Bewegungsstunde für Kindergärten und Schule würde aus ihrer Sicht die Notwendigkeit von Sport und Bewegung unterstreichen und einen positiven Wandel zu einem aktiven Lebensstil unterstützen.
Eine Ganztagsbetreuung, so Schneider, müsse im Sinne der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Bewegung sowie für ein gesundes Aufwachsen und einer individuellen sportlichen Förderung von Kindern vielfältige Bewegungsmöglichkeiten sowie Sportangebote enthalten. Betrachtet werden sollten aktive Phasen während des Unterrichts, bewegte Schulpausen, regelmäßig stattfindender Sportunterricht sowie die Möglichkeit des Sporttreibens und leistungssportlicher Förderung nach individuellem Interesse. „Um dies zu ermöglichen, muss die Ganztagsbetreuung am Nachmittag dezentral gedacht und koordiniert werden“, betonte die Vorstandsvorsitzende der Deutschen Turnerjugend.
„Kitas sind Bildungseinrichtungen“, machte Kita-Leiterin Maren Rebmann deutlich. Dort werde der Grundstein für die weitere Bildungsbiografie gelegt. Bewegung sei der Motor einer ganzheitlichen Entwicklung, so Rebmann weiter. „Über die gezielte Bewegungsförderung erreichen wir alle Entwicklungsbereiche der Kinder.“ Die Kinder ihrer Kita würden Farben, erste Zahlen und Buchstaben sowie Verknüpfungen von Sachzusammenhängen zu einem großen Teil in der direkt angrenzenden Sporthalle oder im Bewegungsraum erlernen, sagte sie.
„Wenn wir also davon ausgehen, dass Bewegung nicht nur die körperliche Gesundheit der Kinder nachhaltig erhält, sondern auch die Entwicklung des Gehirns maßgeblich beeinflusst wird, sollte Bewegung einer der Schwerpunkte in der frühkindlichen Bildung sein“, forderte Rebmann. Die Realität sehe aber so aus, dass vorwiegend Bewegungsräume im Zuge von Erweiterungen zu Krippen umgebaut worden seien, statt die Gebäude durch einen Anbau zu erweitern. Der U-3-Ausbau sei zwar richtig, erfolge aber einschränkend für die Kitas, sagte sie.
Dabei bestehe mit unter Umständen geringen Anpassungen im „normalen“ Raumkonzept die Chance, zusätzliche Effekte in der Nutzung von Räumen auszulösen. So könnten Mehrzweck-oder Bewegungsräume baulich im Hinblick auf Zugangswege so getrennt an den Kita-Raumbestand angedockt werden, dass sie außerhalb der Öffnungszeiten der Kitas beispielsweise als Quartierszentrum für die Bevölkerung verwendet werden können, sagte die Kita-Leiterin.
KMK-Vertreter Hager-Mann verwies auf einen Bericht der Länder zur bewegungsfördernden Schule vom Februar 2022. Dieses Konzept definiere Sport als „Leitmotiv der Schulentwicklung“. Die KMK habe zudem die Grundsätze für die Durchführung des Sportunterrichts im Sommer 2022 überarbeitet. Dabei gehe es unter anderem um die Bewältigung von motorischen Defiziten und die Qualifizierung von Lehrkräften.
Weiterhin, so Hager-Mann, gebe es gemeinsame Handlungsempfehlungen von der KMK und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zur Weiterentwicklung des Schulsports. Darin enthalten sei die Festlegung, dass Sport als Pflichtfach bis zum Abschuss der Schule belegt werden müsse. Dies werde von allen Ländern auch umgesetzt, sagte der KMK-Vertreter.