Sachverständige kritisierten Agrarpaket
Berlin: (hib/NKI) Eine Mehrheit der Sachverständigen verlangt in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft deutliche Nachbesserungen beim Agrarpaket der Ampelfraktionen. In der Sitzung am Montag begrüßte die Mehrheit der geladenen Sachverständigen zwar, dass das Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (AgrarOLkG) nun endlich angepasst werde, doch die geplanten Änderungen seien nicht ausreichend.
Kritik gab es auch an der Ansetzung des Anhörungstermins. Erst am vergangenen Dienstag sei bekannt geworden, dass die Bundesregierung ein lange versprochenes Agrarpaket (20/11946, 20/11947 und 20/11948) in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause verabschieden wolle. Die AfD-Fraktion blieb der Anhörung fern. Einmal mehr werde ein Regierungsvorhaben in wenigen Tagen durch das Parlament gebracht, um es in der allerletzten Minute vor der Sommerpause zu beschließen, so die Argumentation.
Mit der Reform des Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetzes (20/11948) will die Bundesregierung die Stellung der Landwirte in der Wertschöpfungskette verbessern. Vor allem unlautere Handelspraktiken sollen unterbunden werden, wie etwa die Kaufpreiszahlung für verderbliche Agrarerzeugnisse später als 30 Tage nach der Lieferung, das Zurückschicken unverkaufter Erzeugnisse vom Handel an den Lieferanten ohne Zahlung des Kaufpreises oder die kurzfristige Stornierung von Bestellungen verderblicher Waren wie Salatköpfe oder Erdbeeren durch den Käufer. Mit dem Gesetz setzt die Bundesregierung die EU-Richtlinie 2019/633 um. Diese kurz UTP-Richtlinie genannte Regelung von 2019 thematisiert unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette. Mit der Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht gelte erstmals EU-weit ein einheitlicher Mindestschutzstandard für Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte.
Kartellanwalt Kim Manuel Künstner, als Sachverständiger von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen geladen, sprach sich dafür aus, „aufgrund des dynamischen Umfelds, in welchem sich das AgrarOLkG befindet“, eine Erneuerung der Evaluierung vorzunehmen. Die Evaluierung solle insbesondere auch dazu genutzt werden, Entwicklungen in anderen Mitgliedsstaaten und die Auswirkungen der dortigen Instrumente zu beobachten. Bei der Evaluierung solle es nicht nur um den materiell-rechtlichen Gehalt der Verbote gehen. Vielmehr sollten auch Effizienz und Effektivität der behördlichen Durchsetzung in Betracht gezogen werden. Die Mehrheit der im Entwurf vorgesehenen Änderungen erscheine zweckmäßig. Insgesamt und im Vergleich zu den Aktivitäten in anderen Mitgliedstaaten seien die Erweiterungen der Verbote aber allenfalls als moderat zu bezeichnen.
Professor Rainer P. Lademann, auf Einladung der SPD-Fraktion im Ausschuss, verwies ebenfalls auf die Evaluierung und betonte, dass der Evaluierungsbericht gezeigt habe, dass das AgrarOLkG die Verhandlungssituation der Lieferanten des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) verbessert habe. Gleichwohl solle das dem Wettbewerb „immanente Prinzip des Entdeckungsverfahrens nur dort eingeschränkt werden, wo einzelne Regelungen eindeutige Indizien von Marktungleichgewichten sind“, sagte er. Außerdem sei die Aufhebung des befristeten Schutzes von Lieferanten verderblicher Frischprodukte, wie Milch-, Fleisch-, Obst-, Gemüse- und Gartenbauprodukte mit mehr als 350 Millionen Euro Jahresumsatz, „sachgerecht“. Da größere Unternehmen stärker auf den LEH angewiesen seien und häufiger von unfairen Handelspraktiken betroffen seien als kleinere Unternehmen, sei „aus ökonomischer Sicht weder eine Begrenzung der Unternehmensgröße noch bezüglich der Art der Produkte sachgerecht“, sagte Lademann.
Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), geladen von der CDU/CSU-Fraktion, begrüßt die Reform, sieht jedoch Nachbesserungsbedarf. Die Position der Landwirte als Lieferanten müsse demnach weiter gestärkt werden. Um in der Lebensmittelkette nachhaltig und dauerhaft für Augenhöhe zu sorgen, müssten auf EU- und nationalem Kartellrecht Möglichkeiten geschaffen werden, um Erzeuger zu stärken. Das würde dazu führen, dass sich kleinere und mittlere Lieferanten offen beschweren könnten, ohne Befürchtungen, vom Handel ausgelistet zu werden.
Birgit Buth, Geschäftsführerin beim Deutschen Raiffeisenverband (DRV), auf Einladung der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss, begrüßte „ausdrücklich, dass das AgrarOLkG nun endlich angepasst wird und die wichtige Entfristung des erweiterten Anwendungsbereichs vorgesehen wird“. Vor allem sei jedoch negativ, dass das sogenannte Retourenverbot in Paragraf 12 nun zum größten Teil zurückgenommen werde. Es soll künftig nur noch für Erzeugnisse gelten, die nicht mehr länger als 12 Monate verkaufsfähig sind. Auch Buth sprach die Probleme an, die Lieferanten mit dem Handel hätten. Daher sollten Erzeugervereinigungen in jeder Rechtsform insgesamt besser geschützt werden. Andere Mitgliedstaaten hätten Erzeugerzusammenschlüsse von der Anwendung des AgrarOLkG aus diesen Gründen ausgenommen. Sie würden als verlängerter Arm der Erzeuger anerkannt. Diesen verlängerten Arm gelte es zu stärken.
Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE), kritisierte, dass die UTP-Richtlinie ursprünglich die Verhandlungspositionen kleinerer Erzeuger verbessern sollte, aber später auch größere lebensmittelverarbeitende Industrieunternehmen mit einem Umsatz von bis zu 350 Millionen Euro in den Anwendungsbereich der Richtlinie einbezogen wurden. Diese Einschränkungen des freien Wettbewerbs gingen schon nach EU-Recht weit über das Verhältnis zwischen Erzeugern und Lebensmitteleinzelhandel hinaus, „ohne geeignet zu sein, die Ertragssituation der Erzeuger zu verbessern“, sagte Genth, der auf Einladung der FDP-Fraktion als Sachverständiger auftrat. Dies folge der Tatsache, dass die Regulierung überwiegend an den Handel adressiert sei, obwohl die Erzeuger nur selten in direkten Vertragsbeziehungen zum Handel stünden. Weniger als zehn Prozent der von den Landwirten erzeugten Produkte würden direkt vom Lebensmitteleinzelhandel abgenommen, dazwischen stehe eine Reihe von kleinen und mittleren Betrieben.
Susanne Uhl, Leiterin des Hauptstadtbüros der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), lehnte den Gesetzentwurf ab. Der enorme Preisdruck im Lebensmittelhandel habe mit der Macht der Konzentration auf die vier Großkonzerne Aldi, Lidl, Edeka und Rewe seine Ursache, das führe zu Lohndruck. „Ein wirksames Gesetz könnte diesen zusätzlichen Lohndruck auf Arbeitnehmer*innen abmildern“, sagte Uhl. Mit Blick auf die Stabilisierung des Lohngefüges und der Tarifbindung müsse eine Gesetzesnovellierung mindestens gewährleisten, dass der enge Anwendungsbereich auf Unternehmen mit einem maximalen Jahresumsatz von 350 Millionen Euro ersatzlos entfalle, die Liste der verbotenen Handelspraktiken durch eine Generalklausel ergänzt werde und die Preiszusammensetzung von Lebensmitteln transparenter werde. „Der vorliegende Gesetzentwurf erfüllt keine dieser Anforderungen“, so das Fazit der NGG-Vertreterin, die der Einladung der SPD-Fraktion gefolgt war.
Auch Elmar Hannen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), der von der Gruppe Die Linke als Sachverständiger geladen war, ging auf die Arbeitsbedingungen der Menschen ein, die am Anfang der Wertschöpfungskette stünden. Die Politik müsse die Rechte dieser Menschen im In- und Ausland in den Blick nehmen. „Für eine Vielzahl der Bäuerinnen und Bauern in Deutschland und für die Bäuerinnen und Bauern im globalen Süden/weltweit ist mit diesem Entwurf allerdings keine Verbesserung in der Wertschöpfungskette zu erwarten“, sagte Hannen. Damit auch Landwirte direkt vom AgrarOLkG profitieren könnten, brauche es für sie „eine unmittelbar wirksame Stärkung in der Wertschöpfungskette“.