Sorge über weiterhin gefährliche Lage für Jesiden
Berlin: (hib/SAS) Der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), hat im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung seine Besorgnis über die weiterhin gefährliche Lage der Jesidinnen und Jesiden im Nordirak geäußert. Auch zehn Jahre nach dem Völkermord an der ethnisch-religiösen Minderheit durch die radikalislamische Terrormiliz „Islamischer Staat (IS)“, der Tausende ermordet und versklavt hatte, sei die Situation vor Ort nach wie vor schwierig. Nur wenige Jesiden seien nach ihrer Flucht wieder zurückgekommen. Mehr als 100.000 der damals vor den Massaker Geflüchteten lebten bis heute immer noch in Camps. Ihre Zukunft sei völlig ungewiss. Die irakische Regionalregierung habe angekündigt, die Jesiden bei der Rückkehr in ihre Heimat zu unterstützen und die Zeltlager bis Ende 2024 aufzulösen, berichtete Schwabe, doch wie das gelingen solle, sei völlig unklar.
Die Sicherheitslage in der Region, die im Grenzgebiet zu Syrien liegt, habe sich in den letzten Jahren zwar etwas verbessert, der IS kontrolliere das Territorium nicht mehr, trotzdem bleibe die Lage schwankend, erklärte Schwabe im Ausschuss weiter. Die politischen Konflikte in der Region, in die zahlreiche Akteure, darunter die kurdischen Peschmerga, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und die Iran-nahen Popular Mobilization Forces (PMF) verwickelt sind, seien nicht gelöst.
Das bestätigte der Politikwissenschaftler Thomas Schmiedinger von der Universität Wien, den der Ausschuss ebenfalls zum Gespräch geladen hatte. Die Umsetzung des Sinjar-Abkommens, das 2020 von der irakischen Zentralregierung in Bagdad und der kurdischen Regionalregierung in Erbil ausgehandelt wurde, komme nicht in Gang. Ein Grund dafür sei, dass regionale Akteure nicht in die Verhandlungen einbezogen worden seien, erklärte der Wissenschaftler, der sich seit langem mit der Lage der Jesiden beschäftigt.
Der Religionsfreiheitbeauftragte betonte, dass die Bundesregierung den Irak dabei unterstütze, den aus ihrer Heimat vertriebenen Jesiden eine Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen und ihnen dort eine Zukunftsperspektive zu verschaffen. Auch für die mit etwa 250.000 Angehörigen größte jesidische Diaspora in Deutschland trage die Bundesrepublik eine besondere Verantwortung. Diese habe auch der Bundestag im Januar 2023 mit der Anerkennung des Genozids deutlich gemacht.
Konkrete Hilfe leiste die Bundesregierung, indem sie etwa den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur wie den Bau von Straßen, Wohnhäusern und Schulen finanziell unterstütze, erklärte der SPD-Politiker. Gleichzeitig fördere die Bundesregierung auch Programme zur Ausbildung und Beschäftigung.
Trotz dieser Bemühungen seien aber große Teile der Infrastruktur noch nicht wiederhergestellt, sagte Schwabe. Auch sei die wirtschaftliche Situation in der Region schwierig. Es gebe wenig Arbeit, wenig Jobs. Insgesamt habe sich der Irak in den letzten Jahren zwar durchaus positiv entwickelt, wandte Politikwissenschaftler Schmiedinger ein. Es gebe aber viele rechtliche Regelungen, die etwa Unternehmensgründungen erschwerten. Das größte Hindernis für die Rückkehr der Jesiden in ihre Heimat sei aber die volatile Sicherheitslage, waren sich Schwabe und Schmiedinger einig: Noch immer gebe es IS-Kämpfer in der Region, noch immer fliege die Türkei Luftangriffe, vor allem mit Drohnen, auf das Gebiet. In dieser geopolitischen Lage würden die verschiedenen Gruppen immer wieder gegeneinander ausgespielt.
Mit Sorge beobachte die Bundesregierung auch die zunehmende Rekrutierung von Jugendlichen durch Milizen, sagte Schwabe. Wenn die Region befriedet werden solle, brauche es den vollen Einsatz der staatlichen und regionalen Akteure, mahnte er. Deutschland könne unterstützen, doch die Situation nachhaltig verbessern könnten nur die Akteure vor Ort. Ohne die Regierungen in Bagdad und Erbil gehe es nicht.
Als positiv hob Schwabe hervor, dass der Wille zur Rückkehr in die Heimat trotz alledem bei vielen Jesidinnen und Jesiden ungebrochen sei. Politikwissenschaftler Schmiedinger hingegen zeigte sich skeptischer: Seiner Erfahrung nach seien es vor allem die Funktionäre, die den Rückkehrwunsch betonten, in den Camps und in der Diaspora wünschten sich sehr viele Jesiden eher im Ausland zu leben, insbesondere in Deutschland.
In der anschließenden Diskussion erkundigten sich die Abgeordnete unter anderem nach der konkreten Ausgestaltung von Förderprojekten und der Höhe der finanziellen Hilfen. Vor dem Hintergrund der weiterhin für Jesiden gefährlichen Situation im Nordirak fragten einzelne Parlamentarier auch nach Überlegungen, Abschiebungen komplett zu stoppen. Die Diskussion hierüber werde verstärkt geführt, sagte Schwabe dazu, aktuell seien Abschiebungen ausgesetzt.