Massiver Investitionsstau bei Wasserstraßen beklagt
Berlin: (hib/HAU) Die Binnenschifffahrt hat großes Potenzial, leidet aber unter dem massiven Investitionsstau bei der Wasserstraßeninfrastruktur. Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am Montag deutlich, bei der unter anderem ein Masterplan Binnenschifffahrt 2.0 gefordert wurde. Grundlage der Anhörung war ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Binnenschifffahrt stärken“ (20/10386).
Für Jens Schwanen, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB), kann die Bedeutung der Binnengüterschifffahrt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Großindustrie und Verlader wüssten um das große Potenzial dieses Verkehrsträgers. Nicht zufällig seien Großindustrien und Wirtschaftszentren an den Kanälen und Flüssen angesiedelt. „Dieser Verkehrsträger ist allein schon wegen der Volumina, die mit einem Schiff bewegt werden können, alternativlos“, sagte Schwanen. Bedauerlicherweise werde das aber von der Politik nicht anerkannt.
Der BDB-Geschäftsführer verwies auf den „unglaublichen Investitionsstau“ bei der Infrastruktur, die diesem Verkehrsträger zur Verfügung gestellt werde. Das sei auch deshalb so ein Dilemma, weil der Bund mit der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) die alleinige Zuständigkeit für die Bundeswasserstraßen habe und sich weder mit Ländern noch mit Kommunen abstimmen müsse.
Es gehe um weniger als 15 wichtige Projekte, sagte Schwanen und nannte es ein Trauerspiel, „dass wir es in all den Jahren nicht geschafft haben, der WSV ausreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung zu stellen und den benötigten Mittelzuwachs zu gewähren“. Schwanen sprach von einem Investitionsbedarf von etwa 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Gleichzeitig forderte er einen Masterplan Binnenschifffahrt 2.0 und den Start einer gemeinsamen Imagekampagne.
Auch Steffen Bauer, Vorsitzender der Geschäftsführung der HGK Shipping GmbH, sprach von einem Investitionsbedarf jenseits der Milliardengrenze, „pro Jahr wohlgemerkt“. In einem ersten Schritt müsse die Rückkehr zumindest zu jenen 900 Millionen Euro angestrebt werden, die bereits vor den „schmerzhaften finanziellen Einschnitten“ nach 2022 stets als absolute Notwendigkeit angesehen worden seien.
Die Branche richte sich darauf ein, „neue Gütergruppen auf das Wasser zu bringen“, sagte Bauer. Dazu zählten Windkrafträder, Ammoniak und andere Derivate als Wasserstoffträger sowie der Abtransport von flüssigem CO2. „Wenn wir es schaffen, die Rahmenbedingungen zu setzen, kann dieser Verkehrsträger bei der Energiewende eine wesentliche Rolle spielen“, betonte er.
Stefanie von Einem, Vorsitzende beim Ingenieurverband Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (IWSV), forderte eine Beschleunigung der Bauprojekte an Bundeswasserstraßen. Zwar bestehe eine hohe Leistungsfähigkeit bei den WSV-Mitarbeitern. Allerdings verzögerten immer neue gesetzliche Regelungen und Verordnungen eine schnelle Bearbeitung von notwendigen Maßnahmen zur Erneuerung und Ertüchtigung der Anlagen an der Wasserstraße, sagte sie. Sinnvoll sei es, Ermessensspielräume zu nutzen, „statt sich immer an der straffsten Variante zu orientieren“, und die interne Bürokratie abzubauen.
Ähnlich sah das Thomas Groß, Geschäftsführer der Hülskens Wasserbau GmbH & Co. KG. Bei der WSV werde immer der maximale Schwierigkeitsgrad gesucht, sagte er mit Blick auf das Projekt Abladeoptimierung Mittelrhein. „Es wird alles untersucht, was man sich nur denken kann.“ Tue man dies, finde sich immer etwas, das das Projekt verhindere.
Auch Groß hält die aktuellen Haushaltsmittel für viel zu gering, um den jahrzehntelangen Investitionsstau aufzuholen, der durch eine unzureichende Instandhaltung verursacht worden sei. Brücken, Schleusen, Wehre und Kanäle sowie weitere Bauwerke seien vielerorts in einem besorgniserregenden Zustand, sagte er.
Lea Herzig von der Bundesfachgruppe Bund und Länder bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verwies auf den hohen Personalbedarf bei der WSV. „Eigentlich müssten bei der WSV pro Tag zwei Neueinstellungen vorgenommen werden“, sagte sie. Dazu brauche es aber attraktive Arbeitsbedingungen. Der Bund müsse als attraktiver Arbeitgeber marktübliche Löhne und Gehälter anbieten, die dem Wettbewerb mit der Privatwirtschaft Stand halten. Dabei seien tarifliche Lösungen der richtige Weg. „Der TVöD ist der Tarifvertrag, der den öffentlichen Dienst attraktiv macht“, sagte sie. Dabei könne es jederzeit leistungsgerechte Möglichkeiten geben, die laut der Verdi-Vertreterin aber nicht als übertarifliche Regelung zu betrachten seien.
Jürgen Collée, Kapitän in der Binnenschifffahrt, betonte, die Kürzungen im Bundeshaushalt beim Verkehrsträger Binnenschifffahrt seien aus Sicht der Binnenschiffer und Binnenhäfen nicht hinnehmbar. Schon seit Jahrzehnten sorgten sich die Binnenschiffer um die marode Bundeswasserstraßeninfrastruktur. Kaputte Schleusen und Wehre sowie fehlendes Personal in Wasserschifffahrtsverwaltungen führten oftmals zu langen Warte- und Liegezeiten und somit zu finanziellen Verlusten für die Binnenschiffer. Aus „unerklärlichen Gründen“ werde seit Jahren den Verkehrsträgern Straße und Schiene seitens der Bundespolitik oberste Präferenzen eingeräumt, „obwohl bekanntermaßen die Infrastrukturen der Binnenschifffahrt ebenfalls sehr marode sind“, kritisierte er.
Das System Wasserstraße ergänze nicht nur die Verkehrsträger Straße und Schiene, befand Cok Vinke, Geschäftsführer der Contargo Waterway Logistics BV. Eine Industrieproduktion auf gleichbleibend hohem Niveau sei ohne die Binnenschifffahrt nicht zu leisten. Deshalb sei der Erhalt und Ausbau sowie die Transformation des Systems Wasserstraße eine gesamtwirtschaftlich lohnende Investition, die eine sektorenübergreifende Rendite erziele.