Anhebung der Toleranzgrenze für Cannabiskonsum umstritten
Berlin: (hib/HAU) Die Forderung der Linksfraktion nach Anhebung der Toleranzgrenze für den Cannabiskonsum im Straßenverkehr von derzeit 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum (ng/ml) auf 10 ng/ml - entsprechend der 0,5-Promille-Grenze bei Alkohol - stößt bei Sachverständigen auf Zuspruch wie auch auf Ablehnung. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses zu dem von der Fraktion vorgelegten Antrag (19/17612) am Mittwoch deutlich. Im Gegensatz zur Grenzwert-Regelung bei Alkohol gelte bei Cannabis faktisch eine Null-Toleranz-Grenze, kritisieren die Abgeordneten in der Vorlage. Der meist angewendete Grenzwert von 1,0 ng/ml sei so niedrig, dass dieser oft noch Tage nach dem Cannabiskonsum überschritten werde, wenn längst keine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit mehr bemerkbar sei. Die Abgeordneten verlangen in ihrem Antrag zudem, im Strafgesetzbuch eine Normierung des THC-Grenzwertes vorzunehmen, „indem ein THC-Wert von 3,0 ng/ml Blutserum festgelegt wird, unterhalb welchem eine relative Fahruntüchtigkeit ausgeschlossen werden kann“.
Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes (DHV), beklagte während der Anhörung eine massive Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsumenten im Straßenverkehr, für die es kein vernünftiges Argument gebe. Klar sei, „dass keiner bekifft durch die Gegend fahren soll“, betonte Wurth. Bis heute jedoch werde jedes noch so kleine Strafverfahren wegen Cannabisbesitz an die Führerscheinstellen gemeldet. Kämen zufällig mehrere solche Meldungen zusammen, werde das häufig als Hinweis auf regelmäßigen Konsum gewertet, was zu einer MPU-Anordnung und damit zu hohen Kosten und auch schnell zum Führerscheinentzug führe, „ohne jeden Zusammenhang mit dem Straßenverkehr“, sagte Wurth, der sich klar für den Antrag aussprach.
Richtig sei auch ein zweigeteilter THC-Grenzwert von 3 und 10 ng/ml, befand er. Da THC im Gegensatz zu Alkohol nicht linear abgebaut werde, sondern im Sinne von Halbwertzeiten, gehe der Wert nach dem Konsum zunächst sehr schnell, bei den Restwerten dann aber sehr langsam nach unten. „Deshalb gibt es sehr viele nüchterne Fahrer, die viele Stunden nach dem letzten Konsum noch mit unwirksamen THC-Restwerten zwischen 1 und 5 ng/ml unterwegs sind“, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbandes.
In eine ähnliche Richtung ging die Bewertung von Bernd Werse vom Schildower Kreis, einem Expertennetzwerk, das sich für eine alternative Drogenpolitik einsetzt. Auch wenn die genauen Grenzwerte je nach Fortschreiten der entsprechenden Forschung veränderbar seien, werde grundsätzlich eine Anhebung der Grenzwerte dringend benötigt, sagte er. Die im internationalen Vergleich ausgesprochen ungewöhnliche Praxis, Menschen, die Drogen konsumieren, per se die Eignung für den Führerschein abzusprechen, werde von Betroffenen oft als Ersatzstrafe wahrgenommen, machte Werse deutlich.
Aus Sicht von Professor Dieter Müller von der Hochschule der Sächsischen Polizei widersprechen hingegen die Vorschläge der Linksfraktion dem Sinn und Zweck des geltenden Verkehrsrechts, „nämlich die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer möglichst effektiv und vor allem vorbeugend zu schützen“. Müller verwies darauf, dass die Mitteilungen durch Polizei und Strafjustiz an die Fahrerlaubnisbehörden gesetzlich geregelt seien. Das System sei nicht repressiv sondern diene der Gefahrenabwehr, sagte er. Von einer „Null-Toleranz-Politik“ hinsichtlich Cannabis-Konsumierenden könne ebenfalls keine Rede sein, befand Müller und verwies auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein einmaliger Cannabiskonsum ohne Zusammenhang mit dem Straßenverkehr allein keinen Anlass zu der Annahme gebe, der Betroffene sei zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet.
Anja Knoche von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) hält den im Antrag aufgeführten THC-Wert von 10 ng/ml als analogen Wert zur 0,5 Promillegrenze bei Alkohol für sehr hoch gegriffen. Neuere Studien wiesen darauf hin, dass bei einem Wert von 3,8 ng/ml ähnliche Einschränkungen wie bei einem Alkoholwert von 0,5 Promille zu erkennen seien. Unter 2 ng/ml seien keine Beeinträchtigungen zu erkennen.
Eine Gleichstellung zwischen Cannabis und Alkohol ist laut Renate Zunft, Leitende Ärztin des Medizinisch-Psychologischen Instituts beim TÜV Nord, schon aus pharmakologischer Sicht nicht möglich, weil der THC-Gehalt überwiegend nicht bekannt sei und die aufgenommene Menge ganz wesentlich abhängig von Konsumart und Konsumerfahrung variiere. Neben pharmakokinetischen Unterschieden begebe sich der Cannabiskonsumierende in zusätzliche Ungewissheit, die mit der unbekannten Wirkstoffmenge verbunden sei, sagte sie.
Dekra-Vertreter Thomas Wagner betonte unter anderem die präventive Wirkung des derzeit gültigen THC-Grenzwert von 1 ng/ml aufgrund der damit verknüpften Maßnahmen - Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld, Punkte und Fahrverbot - und einer MPU-Anordnung zur Klärung der Frage nach dem Trennvermögen zwischen Konsum und Fahren. Diese stärke die Verkehrssicherheit, urteilte er.
Professor Stefan Tönnes vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main erläuterte die Arbeit der Grenzwertfindungskommission, die beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) angesiedelt ist. Zusammensetzt sei sie aus der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Verkehrsmedizin und der Gesellschaft für toxikologische und forensische Chemie. Beschlüsse würden mit Mehrheit gefällt, sagte Tönnes. Die Frage des Grenzwertes werde sehr heterogen diskutiert, machte er deutlich. Problematisch für die Bewertung sei, dass gerade im Bereich der Gering-Konsumenten von Cannabis die Studienlage sehr dünn sei.