Anhörung zur Zukunft der Innenstädte
Berlin: (hib/PST) Um mehrere Oppositionsanträge zur Zukunft der Innenstädte ging es in einer öffentlichen Anhörung des Bauausschusses unter Leitung von Mechthild Heil (CDU/CSU) am Mittwoch. Eine große Rolle spielten dabei die Folgen des Lockdowns. Durch alle Stellungnahmen der Sachverständigen zog sich die Sorge, dass der ohnehin laufende Veränderungsprozess in den Stadtzentren durch den zunehmenden Onlinehandel verstärkt wird und eine Verödung der Ortskerne droht. Und durchgängig wurde als Gegenrezept eine vielfältigere Nutzung, etwa mit Handwerksbetrieben und Kultur, genannt.
In den zur Begutachtung gestellten Anträgen geht es zum Einen bei der AfD-Fraktion (19/24658) um ein Förderprogramm zur Rettung der Innenstädte. Kommunale Innenstadtmanager nach dem Vorbild eines Centermanagements sollten auf eine richtige Mischung von Handel und Gewerbe achten und sich Leerständen widmen. Auch solle kostenloses WLAN in Innenstädten gefördert werden. Darüber hinaus geht es den Abgeordneten um mehr Platz für Autos in der Innenstadt. In einem weiteren Antrag (19/24661) fordert die AfD-Fraktion Änderungen im Planungsrecht, um Gebäude flexibler nutzen zu können und so Innenstädte zu stärken. Die FDP-Fraktion schlägt in ihrem Antrag (19/25296) ein Bündel von Maßnahmen wie mehr Sonntagsöffnungen, weniger Bürokratie für den Handel und Erleichterungen bei der Gewerbesteuer vor. Experimentierklauseln im Lärmschutz sollten Chancen für gemischt genutzte Quartiere eröffnen. Die Fraktion Die Linke (19/25258) fordert ein mit 500 Millionen Euro ausgestattetes Notfallprogramm, um Kommunen und Gewerbetreibenden bei den Auswirkungen der Corona-Krise zu helfen. Außerdem sollten die Städtebauförderung um etwa 1,2 Milliarden auf zwei Milliarden Euro pro Jahr aufgestockt und der Eigenanteil finanzschwacher Kommunen gestrichen werden. Für einen Innenstadt-Krisengipfel und eine Stärkung des Immobilien- und Bodenkaufs durch Kommunen plädiert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag (19/23941). Ein Städtebau-Notfallfonds in Höhe von 500 Millionen Euro soll den Städten die Möglichkeit geben, innovative Konzepte unter Mitwirkung der Bevölkerung zu entwickeln, leerstehende Immobilien anzukaufen und die Ansiedlung gemeinnütziger Institutionen zu fördern. Daran müssten sich auch private Akteure aus der Gemeinde beteiligen.
Die Aachener Stadtbaurätin Frauke Burgdorff stellte dazu fest, dass sich Innenstädte durch Lebendigkeit und Öffentlichkeit auszeichnen müssten, tatsächlich aber in den letzten Jahren zu „Shoppingtunnels“ geworden seien. Von der mangelnden Attraktivität des Einkaufserlebnisses profitiere der Internethandel. Als wesentlichen Grund für diese Entwicklung nennt Burgdorff überzogene Mieterwartungen der Immobilieneigentümer. Neben mehr Mieterschutz auch in Gewerbeimmobilien fordert sie bessere Möglichkeiten für die Kommunen, in den Immobilienmarkt einzugreifen. Als ein Instrument dafür sieht sie Bodenfonds, die als Sondervermögen unabhängig vom Haushalt der Gemeinde geführt werden.
Thomas Krüger, Professor für Stadtplanung an der Hafencity-Universität Hamburg, geht davon aus, dass der Markt die durch Corona verschärften Probleme der Innenstädte nicht lösen könne, „im Gegenteil“. Es sei eine „orientierende, ordnende und unterstützende Hand gefragt“. Das müssten insbesondere die Kommunen sein. Krüger erwartet vermehrte Leerstände, denen durch kurzfristige, von der Gemeinde veranlasste Zwischennutzungen entgegengewirkt werden müsse. Mittelfristig solle im Zusammenwirken öffentlicher und privater Akteure eine vielfältigere Nutzung der Innenstädte angestrebt werden. Für dringlich hält Krüger eine Stärkung von Stadtteil- und Kleinstadtzentren, da dort andernfalls eine „Auflösung der Zentrumsfunktion“ drohe.
Monika Fontaine-Kretschmer vom Bundesverband „Die Stadtentwickler“ geht davon aus, dass die Pandemie generell die Veränderungsprozesse in den Innenstädten beschleunigt, die Ausprägungen je nach örtlichen Gegebenheiten aber sehr unterschiedlich sein werden. Wichtig sei daher, die Kommunen in die Lage zu versetzen, kurzfristig zu reagieren und gleichzeitig auch längerfristige Strategien zu entwickeln. Kurzfristig gelte es vor allem, den verbliebenen Einzelhandel zu stabilisieren, was vor allem Aufgabe der kommunalen Wirtschaftsförderung sei. Längerfristig müssten die einzelnen Kommunen eine innovative Innenstadtstrategie entwickeln und dazu alle Beteiligten an einen Tisch holen. In der Vergangenheit ausgelagerte Nutzungen müssten wieder in die Innenstadt zurückgeholt werden.
Stefan Genth, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland HDE, fordert ein fünf Jahre laufendes Sonderprogramm „Innenstadtstabilisierung“ mit jährlich mindestens 500 Millionen Euro. Damit sollten Konzepte entwickelt werden, „wie die Herzen der Städte attraktiv und lebendig gestaltet werden können“. Ein bundesweites Leerstandskataster solle helfen, Probleme frühzeitig zu erkennen. Zudem fordert er ausdrücklich eine Stärkung des kommunalen Vorkaufsrechts für Immobilien in den Zentren. Nachdrücklich kritisierte Genth, dass Hilfsgelder für vom Lockdown betroffene Einzelhändler „überhaupt nicht“ ankämen. „Wir werden eine unglaubliche Pleitewelle erleben“, warnte er für den Fall, dass die Politik hier nicht umsteuere. Dann seien alle Bemühungen um Revitalisierung der Innenstädte umsonst.
Auf die Bedeutung der Hotellerie für belebte Innenstädte wies Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel-und Gaststättenverbands DEHOGA, hin. Sie sei eine der tragenden Säulen. Touristen brächten Kaufkraft in die Städte, und das nütze auch dem Handel und der Gastronomie. Hartges berichtete zudem von einer Umfrage, nach der Jüngere ihre Wohnortentscheidung zu 60 Prozent vom gastronomischen Angebot abhängig machten.
„Mietausfälle, sinkende Mieteinnahmen und drohende Wertverluste der Immobilien“ als Folge zahlreicher Geschäftsaufgaben befürchtet Andreas Ibel, Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien-und Wohnungsunternehmen. Um „erhebliche negative Effekte auf die Gesamtwirtschaft zu vermeiden“, bedürfe es dringend der Schadensbegrenzung. Dazu gehöre, „die in der Vergangenheit vernachlässigte Vielfalt der Innenstädte wiederherzustellen“. Die dafür erforderlichen Investitionen müssten durch ein flexibles Planungs- und Baurecht ermöglicht werden. Die geplante Novelle des Baugesetzbuches allerdings hemme Investitionen statt sie zu fördern. Um die Kundenfrequenz in den Zentren zu steigern, müssten sie mit allen Verkehrsmitteln gut erreichbar sein, auch mit dem Auto. Früher habe man zu sehr auf den PKW gesetzt, jetzt drohe die umgekehrte Übertreibung.
Iris Schöberl vom Zentralen Immobilien Ausschuss ZIA mahnte für jeden Standort individuelle Konzepte zur Revitalisierung der Innenstädte an, damit sich diese gegenüber dem Onlinehandel und Angeboten „auf der grünen Wiese“ behaupten können. Als ein Hemmnis sieht auch sie „planungsrechtliche Restriktionen“ der Städte und Gemeinden. Dazu kämen deren beschränkte Planungskapazitäten. Zur Abhilfe schlägt sie eine, teilweise befristete, Lockerung von Vorschriften im Baugesetzbuch vor. Dafür solle das laufende Gesetzgebungsverfahren zum Baulandmobilisierungsgesetz genutzt werden. Schöberl wies auch darauf hin, dass Vermieter, die ihren Gewerbemietern in der Coronakrise entgegengekommen sind, ihrerseits Zins- und Tilgungszahlungen herunterfahren mussten. Bisher seien die Banken hier kulant, bei einem abrupten Wertverfall aber würde das System in Schieflage kommen, warnte sie.
Einen „Fünf-Punkte-Plan zur Rettung der Innenstädte und Ortskerne“ legte Norbert Portz vom Deutschen Städte-und Gemeindebund den Abgeordneten im Bauausschuss vor. Als Folge der Pandemie sei mit der Schließung von bis zu 50.000 weiteren Einzelhandelsstandorten zu rechnen, heißt es darin. Deshalb müsse dringend gegengesteuert werden. Dazu gehöre, neue Nutzungen in die Zentren zu bringen. Ein „Innenstadtfonds“ des Bundes, der aus einer neu zu schaffenden Abgabe für große Online-Händler gespeist wird, könne hier „wichtige Impulse setzen“. Im laufenden Gesetzgebungsverfahren für ein Baulandmobilisierungsgesetz solle zudem das kommunale Vorkaufsrecht gestärkt werden.
Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag wies darauf hin, dass an vielen Orten „dem Bedürfnis nach Erlebnis über den eigentlichen Einkauf hinaus nicht mehr entsprochen wird“. Bei einem anhaltenden Trend zum Home-Office erwarte er, dass Büro- und Dienstleistungsflächen in den Innenstädten ungenutzt bleiben und dadurch zusätzliche Kaufkraft abfließt. Dennoch zeigte er sich „vergleichsweise optimistisch“. Die Städte hätten zwei Kaufhaus-Schließungswellen hinter sich, und viele hätten das „zur Stärkung der Vielfalt genutzt“. Er warnte vor vorschnellen Änderungen im Baurecht. Man solle das laufende Gesetzgebungsverfahren nicht überfrachten und weitergehende Änderungen erst erproben, bevor sie verbindlich werden.
Eva Witt von der Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW wies darauf hin, dass das Problem verödeter Ortskerne bundesweit unterschiedliche Ursachen habe und deshalb maßgeschneiderte Lösungsansätze erfordere. Sie schlug vor, die bestehende Konzept- und Investitionsförderung für den Stadtumbau weiterzuentwickeln. Derzeit arbeite die KfW zudem an einer „Kreditförderung Nachhaltige Mobilität“.