80 Jahre Errichtung der sowjetischen Speziallager - SED-Opferbeauftragte würdigt zu Unrecht Internierte im Bundestag
Am 12. März hat die SED-Opferbeauftragte Zeitzeugen und ihre Angehörigen, der in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) in sogenannte Speziallager unschuldig Internierten, im Reichstagsgebäude des Deutschen Bundestages empfangen.
Evelyn Zupke: „Vor 80 Jahren wurden in der sowjetischen Besatzungszone Speziallager errichtet. In diesem Jahr erinnern wir an die Schicksale der Menschen, die dort zu Unrecht inhaftiert waren. Mir als Opferbeauftragte ist es ein Anliegen hier im Deutschen Bundestag, dem Herzen unserer heutigen Demokratie, zum Auftakt des Gedenkjahres die Zeitzeugen zu würdigen und den Menschen zu danken, die sich seit Jahrzehnten gegen das Vergessen engagieren.“
Neben den Zeitzeugen und deren Angehörige empfing die Opferbeauftragte ehrenamtlich Engagierte in den sogenannten Lagergemeinschaften und Opferverbänden, Vertretungen der Gedenkstätten und der öffentlichen Institutionen zur Aufarbeitung der SBZ/SED-Diktatur. Im Gespräch berichtete der 95-jährige Zeitzeuge Eberhard Schmidt, der zwischen 1946 und 1950 in gleich drei Speziallager interniert war, eindrücklich vom Alltag in den Lagern. Gleichzeitig schilderte er, wie es sich anfühlt, nach der Haftentlassung in einem Land zu leben, in dem es strikt verboten war, über das erlebte Unrecht zu sprechen.
Insbesondere das Speziallager Ketschendorf, in welchem der Zeitzeuge im Alter von 16 Jahren mit ca. 30 anderen Jugendlichen und Männern in einer kleinen Zelle eingesperrt war, sei „die Hölle gewesen“, sagte Herr Schmidt.
Die Runde war geprägt von einem offenen Austausch und mitunter unterschiedlichen Perspektiven. Eine besondere Herausforderung sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Umgang mit Lagern mit doppelter Geschichte. Lager, die sowohl zur Zeit des Nationalsozialismus als auch in der Zeit der sowjetischen Besatzung genutzt wurden. Hier sei eine besondere Sensibilität im Umgang mit jeweiligen Hintergründen der Zeitepochen notwendig.
Angesichts des hohen Alters der verbliebenen Zeitzeugen und der bisher nur im geringen Maße aufgearbeiteten Geschichte der Speziallager, wurden ebenso auch notwendige Handlungsbedarfe und Empfehlungen an die Politik diskutiert. So wisse man auch heute noch viel zu wenig über die Speziallager, so dass weiterer Bedarf an Forschung besteht. Eine Herausforderung liegt beispielhaft darin, dokumentierende Zeitzeugnisse, die sich zum Teil in Archiven der Ukraine und in Russland befinden, zusammenzutragen und aufzuarbeiten.
Evelyn Zupke: „Die Auseinandersetzung mit der SBZ und den Speziallagern kann dazu beitragen, der häufig noch immer in der Öffentlichkeit vertretenen Position, der Sozialismus habe im Osten Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg positiv begonnen und habe erst später repressive Formen angenommen, mit konkreten Fakten entgegenzutreten.“
Hintergrund:
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Der Osten Deutschlands wurde zur Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Die SBZ bestand von 1945 bis zum 7. Oktober 1949, dem Datum der Gründung der DDR. Die sowjetische Militäradministration richtete nach dem Zweiten Weltkrieg in der SBZ sogenannte Speziallager ein. Die Einweisung in ein Speziallager erfolgte grundsätzlich ohne richterliche Prüfung. Auch stellte die sowjetische Besatzungsmacht keine präzisen Kriterien zur Entnazifizierung auf. So waren in den Speziallagern nur in geringerem Maße tatsächlich für das NS-System Verantwortliche interniert. Anders als in den westalliierten Besatzungszonen wurden in der SBZ Angehörige von Sturmabteilung (SA) und Schutzstaffel (SS) vom sowjetischen NKWD in Kriegsgefangenenlager überstellt. In den Speziallagern waren überwiegend einfache NSDAP-Mitglieder, Mitläufer und Parteifunktionäre der unteren Ebene (Block- und Zellenleiter) bis hin zu vollkommen Unbeteiligten gefangen, teils aufgrund von Denunziation, politischer Willkür oder Verwechslungen.
Insgesamt wurden in den Nachkriegsmonaten auf dem Gebiet der SBZ zehn Speziallager errichtet. Dabei wurden unter anderem die Konzentrationslager (KZ) Buchenwald und Sachsenhausen sowie das Zuchthaus Bautzen, das Lager Jamlitz (ein Außenlager des KZ Sachsenhausen), in Torgau das ehemalige Wehrmachtsgefängnis bzw. eine Wehrmachtskaserne und in Mühlberg das ehemalige Kriegsgefangenenlager Stalag IV B genutzt. Die meisten Lager, wie etwa das Speziallager Fünfeichen in Neubrandenburg, wurden bis zum Sommer 1948 wieder aufgelöst. Die Speziallager Bautzen, Buchenwald und Sachsenhausen blieben bis Anfang 1950 bestehen und wurden somit erst nach der Gründung der DDR geschlossen. Knapp die Hälfte der noch 28.000 gefangenen Menschen wurden entlassen, die andere Hälfte in den Strafvollzug der DDR überführt. Nach letzten Erkenntnissen lag die Gesamtzahl der Speziallagerhäftlinge bei bis zu 176.000 Menschen. Aufgrund der katastrophalen Haftbedingungen war die Todesrate sehr hoch: Rund 35 Prozent aller Häftlinge überlebten das Speziallager nicht.