Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor Eintritt in die Tagesordnung im Gedenken an Wolfgang Gerhardt
[Stenografischer Dienst]
Präsidentin Bärbel Bas:
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche einen guten Morgen. Die Sitzung ist eröffnet. Bitte nehmen Sie Platz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir trauern um Wolfgang Gerhardt. Unser früherer Kollege ist am 13. September im Alter von 80 Jahren gestorben.
Wolfgang Gerhardt war ein großer Liberaler, ein leidenschaftlicher Parlamentarier und ein überzeugter Europäer. Sein Lebensthema war die Freiheit. Auch deshalb erweiterte er als Vorsitzender den Namen der Friedrich-Naumann-Stiftung um den Zusatz „für die Freiheit“. Freiheit war für ihn undenkbar ohne die Bereitschaft des Einzelnen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen - und Leistung zu erbringen. Freiheit und Verantwortung, diese beiden liberalen Prinzipien gehörten für ihn untrennbar zusammen.
Wolfgang Gerhardt hat über Jahrzehnte in herausragenden Positionen die Politik mitgestaltet.
1978 zog er als Abgeordneter in den Hessischen Landtag ein. Später war er Wissenschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident in der Hessischen Landesregierung.
1994 wurde Wolfgang Gerhardt in den Deutschen Bundestag gewählt. Dem gehörte er fast 20 Jahre an. Als Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion und als Parteivorsitzender hat er wichtige Debatten angestoßen. 1999 handelte er mit dem damaligen Bundesinnenminister Otto Schily den Kompromiss zum Staatsangehörigkeitsrecht aus - ein Meilenstein. Als der Deutsche Bundestag 1999 zum ersten Mal in diesem Plenarsaal tagte, hielt er eine eindringliche Rede zur deutschen Einheit - ein Thema, das ihn sehr bewegte. Wolfgang Gerhardt appellierte - ich zitiere -:
„Was jetzt notwendig ist, das ist das neue Bürgerbewußtsein in unserem Land, weil wir das Zusammenwachsen wollen, weil wir die Einheit als Glück begreifen ... Das sind keine Bedrohungen, das sind Chancen.“
Zitat Ende.
Eine gute Bildungspolitik als Grundlage für Chancengerechtigkeit war dem Erziehungswissenschaftler Wolfgang Gerhardt ebenso ein großes Herzensanliegen. Er war auch ein engagierter Transatlantiker. Er stritt für ein starkes Europäisches Parlament und für eine Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik. Bereits 2016 warnte er vor einer „imperialen Nostalgie“ Russlands - und er sollte recht behalten. Er war stolz auf eine liberale Außenpolitik, die über Jahrzehnte das Bild Deutschlands in der Welt mitprägte und in historischen Momenten wichtige Weichenstellungen für unser Land herbeiführen konnte.
Wolfgang Gerhardt war ein Meister der leisen Töne. Seine Reden waren frei von Polemik, sie waren sachlich und argumentativ. Er pflegte persönlich eine Kultur des Zurücknehmens, mit der er vorbildlich Ruhe in hitzige Debatten brachte. Von sich selbst sagte er einmal - ich zitiere -: „In der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner habe ich immer das Florett bevorzugt.“ Zitat Ende.
Wolfgang Gerhardts Vermächtnis ist die Überzeugung, dass wir mit harter politischer Arbeit und wertebasierter Haltung die Menschen für unsere liberale Demokratie begeistern können. Wolfgang Gerhardt hat sich um unser Land verdient gemacht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich im Gedenken an Wolfgang Gerhardt für eine Gedenkminute von Ihren Plätzen zu erheben.
(Die Anwesenden erheben sich)
Ich danke Ihnen.
Die Sitzung ist für zwei Minuten unterbrochen.
(Unterbrechung von 9.05 bis 9.08 Uhr)