15.05.2024 | Parlament

Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor Eintritt in die Tagesordnung zur Gewalt gegen politisch Engagierte

[Stenografischer Dienst]

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Tag. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, schockierende Angriffe auf Politikerinnen und Politiker aller Parteien sind kein neues Problem. Die Attacken der vergangenen Wochen zeigen aber eine neue Eskalationsstufe: Die Taten häufen sich. Sie werden brutaler und heimtückischer. Wahlkampfhelferinnen und Wahlkampfhelfer rücken offenbar stärker ins Visier. Allen Betroffenen wünsche ich im Namen des ganzen Hauses eine vollständige Genesung.

(Beifall im ganzen Hause)

Der Europaabgeordnete Matthias Ecke hat sich nach seiner Operation aus dem Krankenhaus gemeldet und betont, es gehe nicht nur um ihn, es gehe um alle Menschen, die sich demokratisch engagieren. Und ich füge hinzu: Es geht um alle Menschen, die ehrenamtlichen Einsatz zeigen.

(Beifall im ganzen Hause)

Angriffe auf Rettungskräfte steigen ebenfalls seit Jahren: 2022 registrierte die Polizei 650 Übergriffe auf Feuerwehrleute und 1 920 Gewalttaten gegen andere Rettungskräfte. Die Hälfte der Einsatzkräfte von freiwilligen Feuerwehren hat bereits Gewalt im Einsatz erlebt. Menschen werden attackiert, wenn sie anderen Menschen helfen möchten. Das ist schockierend und abstoßend. 

(Beifall im ganzen Hause)

Das Ehrenamt ist das Fundament unseres demokratischen Gemeinwesens. Ehrenamtlich Engagierte - und ihre Angehörigen - verdienen unser aller Respekt, Wertschätzung und Dank!

(Beifall im ganzen Hause)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine Rechtfertigung für Gewalt. Unsere freiheitliche Demokratie verliert, wenn Engagement unfreiwillig zur Mutprobe wird. Unsere freiheitliche Demokratie verliert, wenn Journalistinnen und Journalisten attackiert und die Pressefreiheit ins Visier genommen werden. Unsere freiheitliche Demokratie verliert, wenn politisch Engagierte sich aus Angst zurückziehen. 

Wer heute im Wahlkampf Plakate aufhängt oder am Infostand steht, erfährt unmittelbar Wut und Hass, manchmal sogar körperliche Gewalt. Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker sind häufig Einschüchterungsversuchen ausgesetzt bis hin zu Morddrohungen, mit der Konsequenz, dass manche Orte keine Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister mehr finden. Umso klarer betone ich an dieser Stelle: Wir werden den Demokratiefeinden unser Land nicht überlassen. 

(Beifall im ganzen Hause)

Wenn es zu solchen Gewalttaten kommt, brauchen wir ein konsequentes Durchgreifen unseres Rechtsstaates - keine Vorverurteilungen, sondern zügige Ermittlungen der Polizei und Staatsanwaltschaft, eine schnelle Justiz, die den Strafrahmen auch mal ausschöpft und eine stärkere Fokussierung auf die Opfer. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Monat feiern wir den 75. Verfassungstag. Wir haben allen Grund, stolz zu sein auf unser Grundgesetz. Unsere Jubiläumsfeiern werden aber auch begleitet von der Frage, wie wir unsere Demokratie und unsere Werte schützen können. In diesen Tagen zeigt sich wieder: Wir Demokratinnen und Demokraten müssen zusammenstehen - überparteilich.

(Beifall im ganzen Hause)

Viele Menschen aus unterschiedlichen Parteien haben sich solidarisch gezeigt mit den angegriffenen Wahlkämpfenden. Das macht Mut, und dafür bin ich sehr dankbar. 

Im Namen des ganzen Hauses sage ich: Gesellschaftliches und politisches Engagement verdient Respekt und Wertschätzung. Es geht um unsere Demokratie, in der jede und jeder sich selbst verwirklichen kann - ohne Angst. Denn Angst erstickt Freiheit. 

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Unsere Antwort als Demokratinnen und Demokraten muss klar sein: Wir halten dagegen! Wenn wir einfach wegschauen, kann es zu spät sein. Aus Worten werden Taten. Aus Verachtung werden Faustschläge. Wir dürfen Hass und Hetze keinen Raum geben - nicht auf den Straßen, nicht im Netz und nicht in den Parlamenten!

(Beifall im ganzen Hause)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aggressiven sind zwar laut, sie sind aber in der Minderheit. Die große Mehrheit in unserem Land wünscht sich eine sachliche und konstruktive Politik. Lassen Sie uns aus der rhetorischen Eskalationsspirale ausbrechen! Lassen Sie uns den demokratischen Dialog fördern und nicht das Spiel der Demokratiefeinde mitspielen!

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Und lassen Sie uns hier im Parlament gemeinsam unsere Geschäftsordnung jetzt sehr zügig resilienter machen. 

Für uns hier im Haus muss gelten, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen unserer Vorbildfunktion gerecht werden und eine faire Debattenkultur vorleben: eine Debattenkultur ohne Herabwürdigungen, ohne Hass, ohne Hetze, mit Achtung und Respekt. - Vielen Dank. 

(Beifall im ganzen Hause)

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