Parlament

Aktueller Begriff: Grundgesetz

Faksimile des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Grundgesetz, Grundrechte, Artikel 1, Artikel 2, Artikel 3, Artikel 4

Faksimile des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland (Grundrechte Artikel 1 bis 4) (© DBT/Julia Jesse)

Am 23. Mai 1949 wird das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in der letzten Plenumssitzung des Parlamentarischen Rates in Bonn feierlich unterzeichnet und verkündet. Der Präsident des Parlamentarischen Rates und spätere erste Bundeskanzler Konrad Adenauer wählt in seiner Schlussansprache die Worte der Präambel: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, seine nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat das deutsche Volk (...) dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.“

Mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 hatten die alliierten Siegermächte die oberste Regierungsgewalt in Deutschland inne. In den vier Besatzungszonen übten die Militärgouverneure Frankreichs, Großbritanniens, der Sowjetunion und der USA die höchste Gewalt aus. Schon bald nach Kriegsende schufen die Alliierten Länderstrukturen mit Ministerpräsidenten an der Spitze. Die amerikanische und die britische Zone schlossen sich am 1. Januar 1947 zum „Vereinigten Wirtschaftsgebiet“ zusammen. Entgegengesetzte Interessen und ideologische Differenzen zwischen der Sowjetunion und den westlichen Alliierten traten immer offener zutage.

Der sowjetische Staatschef Josef Stalin lehnte 1947 für die Staatsgebiete seiner Einflusssphäre die Teilnahme am US-Marshall-Plan zum wirtschaftlichen Aufbau Europas ab. Die westlichen Siegermächte beschlossen 1948 auf der Londoner Sechsmächtekonferenz, die Errichtung eines föderalen westdeutschen Staates voranzutreiben. De facto lief im zerstörten und wirtschaftlich am Boden liegenden Deutschland damit alles auf eine Zweistaatenlösung zu. Am 1. Juli 1948 beauftragten die Militärgouverneure der drei Westmächte die elf Ministerpräsidenten der westdeutschen Länder mit den sogenannten „Londoner Empfehlungen“, eine „verfassungsgebende Versammlung“ einzuberufen.

Um die sich abzeichnende Spaltung Deutschlands nicht zu vertiefen, einigten sich die Ministerpräsidenten auf ihrer Konferenz vom 8. bis 10. Juli 1948 im Koblenzer Hotel „Rittersturz“ zunächst darauf, keine „verfassungsgebende Versammlung“, sondern einen „Parlamentarischen Rat“ einzuberufen, der keine „Verfassung“, sondern ein „Grundgesetz“ ausarbeiten sollte. Damit wollten sie den provisorischen Charakter der westdeutschen Staatsbildung unterstreichen und das Ziel einer baldigen Wiedervereinigung im Blick behalten.

 Bevor der Parlamentarische Rat am 1. September 1948 in der Pädagogischen Akademie in Bonn erstmals zusammentrat, arbeitete ein von den Länderregierungen zusammengesetzter Ausschuss, bestehend aus 26 Mitgliedern und einigen weiteren Sachverständigen für Verfassungsfragen, vom 10. bis 23. August 1948 auf der Insel Herrenchiemsee einen Entwurf für das Grundgesetz aus. Der Bericht des sogenannten Verfassungskonvents diente dem Parlamentarischen Rat als Grundlage für seine Beratungen.

Die elf Landtage hatten 65 Mitglieder des Parlamentarischen Rates gewählt, von denen jeweils 27 der CDU/CSU und der SPD angehörten. Fünf Mitglieder gehörten der FDP an, jeweils zwei der nationalkonservativen Deutschen Partei (DP), dem Zentrum und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Fünf Delegierte Berlins nahmen mit beratender Stimme teil. Viele der „Väter und Mütter“ des Grundgesetzes hatten bereits vor 1933 Mandate in deutschen Parlamenten innegehabt. Drei von ihnen gehörten 1919 zur Weimarer Nationalversammlung: Helene Weber, Paul Löbe und Wilhelm Heile.

Alle Mitglieder des Parlamentarischen Rates einte, dass sie tief vom Scheitern der Weimarer Republik und vom nationalsozialistischen Terror geprägt waren. Unter den 65 Mitgliedern gab es vier Frauen: Helene Weber (CDU), Friederike Nadig und Elisabeth Selbert (beide SPD), und Helene Wessel (Zentrum). Insbesondere Elisabeth Selbert und Friederike Nadig setzten sich dafür ein, dass im Artikel 3 aus dem Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ das Wort „grundsätzlich“ gestrichen wurde.

In der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1949 tritt das Grundgesetz in Kraft. Damit ist die Bundesrepublik Deutschland als freiheitlich-demokratischer und sozialer Rechtsstaat gegründet. Er garantiert seinen Bürgerinnen und Bürgern grundlegende Gleichheits- und Freiheitsrechte. Der von ihnen direkt gewählte Deutsche Bundestag übt gegenüber der Regierung eine Kontrollfunktion aus, beschließt Gesetze und wählt unter anderem den Bundeskanzler oder die -kanzlerin.

Die Bundesrepublik hat einen föderalen Aufbau: Die Länder sind über den Bundesrat als einflussreicher Akteur am Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Zunächst als Provisorium gedacht, zeigt sich, dass das in weniger als einem Jahr erarbeitete Grundgesetz eine solide Grundlage für den jungen Staat bildet. Gilt es, in den ersten Jahren noch zu zeigen, dass man Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik gezogen hat („Bonn ist nicht Weimar!“), so zeigt sich bald die Funktionsfähigkeit des Staates auch in Zeiten des Wandels.

Grundlegend infrage gestellt wird das Grundgesetz nach der Friedlichen Revolution in der DDR 1989, als die Forderung nach einer neuen gesamtdeutschen Verfassung nach Artikel 146 Grundgesetz laut wird. Stattdessen entscheidet man sich jedoch mit dem Beitritt der ostdeutschen Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 für eine zügigere Variante der Wiedervereinigung.

Immer wieder jedoch erfährt das Grundgesetz Änderungen: Dazu gehören unter anderem umfangreiche Neuerungen des Asylartikels, die Neuordnungen der Beziehungen zwischen Bund und Ländern oder die Einführung der Schuldenbremse. Statt der ursprünglich 146 Artikel umfasst das Grundgesetz mittlerweile 203 Artikel. Allein die Verdoppelung des Textumfangs zeugt vom steten Wandel.

Heute zählt das Grundgesetz zu den ältesten geltenden Verfassungen der Welt und gilt als vorbildlich für den Aufbau demokratischer Rechtsstaaten. Auch wenn so weitgehend Konsens darüber herrscht, dass es sich in den vergangenen 75 Jahren als Grundlage einer wehrhaften Demokratie bewährt hat, wird neuerdings in einem veränderten politisch-gesellschaftlichen Klima verstärkt diskutiert, inwieweit das Grundgesetz tatsächlich ausreichend robust und stabilisierend ausgestaltet ist, insbesondere mit Blick auf die Absicherung des Bundesverfassungsgerichts.

(naw/clm/22.05.2024)