Parlament

Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland (1992-1998)

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Die Kommission arbeitete sechs Jahre lang die SED-Diktatur auf. (© pa)

Kernenergie, Globalisierung, Gentechnologie - es sind stets Zukunftsfragen, mit denen sich Enquete-Kommissionen befassen. Mit diesen überfraktionellen, von Abgeordneten und Sachverständigen besetzten Arbeitsgruppen versucht das Parlament über den Tellerrand der Tagespolitik hinauszublicken und Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme zu finden. Gerade in Zeiten großen Reformbedarfs sind die Enquete-Kommissionen so zu einem wichtigen Instrument der Entscheidungsvorbereitung für den Bundestag geworden.

Spekulationen um mutmaßliche Informanten

Als der Bundestag am 12. März 1992 beschloss, eine Enquete-Kommission „Zur Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ einzusetzen, reagierte er damit auf eine hitzige Debatte. Seit Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes am 29. Dezember 1991 hielt die Öffnung der Stasi-Akten Politik und Öffentlichkeit in Atem. Spekulationen um mutmaßliche Informanten dominierten in dieser Zeit die Schlagzeilen. Immer wieder wurden Politiker oder Prominente als Stasi- Mitarbeiter „enttarnt“ - ob tatsächlich oder vermeintlich, blieb oft nur den Gerichten zu klären.

Besonders im Fokus der Diskussion: der damalige brandenburgische Ministerpräsident  Manfred Stolpe (SPD). Er hatte zugegeben, während seiner Tätigkeit in der Kirchenleitung in der DDR Kontakte zur Stasi gepflegt zu haben, eine Mitarbeit jedoch stets bestritten. Die Stasi-Unterlagenbehörde verweist heute ihrerseits auf Gutachten, die belegen, dass Stolpe über zwanzig Jahre als „Inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) unter dem Decknamen „Sekretär“ in den Akten der Staatssicherheit geführt wurde.

Größte Enquete-Kommission der Geschichte

Der politische Handlungsbedarf war also groß: Geschlossen stimmte der Bundestag für die Einrichtung einer Enquête, die sich dem belastenden Erbe der SED-Diktatur widmen sollte. Schwierig wurde es jedoch schon, als ihre Aufgaben benannt werden sollten. SPD, CDU/CSU und FDP sowie Bündnis 90/Die Grünen drangen in eigenen Anträgen darauf, die „Unterdrückung in der DDR“ und die „SED-Diktatur“ politisch aufzuarbeiten. In der Nachfolgepartei der SED, der PDS, gab es jedoch Stimmen, die sich gegen eine pauschale Vorverurteilung der DDR wehrten. Die DDR-Geschichte könne nicht „verkürzt als Unrechtsgeschichte definiert werden“, kritisierte etwa Jens Heuer.

Nach längeren Beratungen einigten sich die Fraktionen schließlich, und die Kommission konnte am 20. Mai 1992 ihre Arbeit aufnehmen. Mit ihren 43 Mitgliedern, davon 16 Abgeordnete, 16 Stellvertreter und elf Sachverständige, war die Enquete-Kommission die bislang größte in der deutschen Geschichte. Aber auch im Hinblick auf ihr Ziel unterschied sie sich von ihren Vorgängerinnen: Zum ersten Mal beschäftigte sich eine Kommission mit einem historischen Thema - wenn auch einem mit großen Auswirkungen auf die Gegenwart.

Aufklärung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Wie schwierig und emotional aufgeladen das Thema war, zeigte sich auch im Plenum: In die Beratungen, welche Aufgaben die Enquete-Kommission übernehmen solle, mischten sich gegenseitige Schuldzuweisungen der Parteien hinsichtlich ihrer Deutschlandpolitik: So betonte Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU), die Regierung Kohl habe am Ziel der Einheit festgehalten, „auch wenn sie dafür gescholten wurde“. Die SPD dagegen habe die „größten Fehler“ gemacht, etwa in der Diskussion um die Akzeptanz einer DDR-Staatsbürgerschaft.

In seiner letzten großen Rede im Bundestag verteidigte der frühere Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) die von ihm eingeleitete Deutschlandpolitik: Sie habe eine „diplomatische Seite“ gehabt, sei aber zugleich auf „menschliche, nationale und europäische Selbstbehauptung“ ausgerichtet gewesen. Die Enquete-Kommission, so mahnte er, dürfe im Zusammenwachsen von Ost und West nicht den „Mantel des Verschweigens über gravierendes Unrecht“ ausbreiten. Aufklärung und Aufarbeitung der Geschichte seien „eine gesamtdeutsche Aufgabe und Beitrag zur Versöhnung“, so Brandt.

Erster Bericht: Einstieg in Dialog über die Geschichte

Zwei Jahre später, am 31. Mai 1994, legte die Kommission ihren ersten, rund 300 Seiten umfassenden Bericht vor. Protokolle und Expertisen mit einem Umfang von rund 15000 Seiten ergänzten die Ausführungen. Im Bundestag beraten wurde der Bericht am 17. Juni 1994, dem Jahrestag des Volksaufstands in der DDR. In seiner Rede verglich der Kommissionsvorsitzende Rainer Eppelmann (CDU/CSU) die Arbeit der Kommission mit der eines „Suchtrupps“, der sich im verfallenen „Bau der DDR“ auf Spurensuche begibt. Der ostdeutsche SPD-Abgeordnete Markus Meckel lobte: „Mit dem, was in den vielen Anhörungen öffentlich geworden ist, sind wir wirklich urteilsfähiger geworden“.

Der FDP-Abgeordnete Dirk Hansen wertete den Bericht als „Einstieg in den gesamtdeutschen Dialog über unsere Geschichte“, während das PDS-Kommissionsmitglied Dietmar Keller ihn mit gemischten Gefühlen kommentierte: Die Enquete-Kommission habe vor der kaum lösbaren Aufgabe gestanden, ein „politisches Urteil zu finden“, obgleich die Wissenschaft sich erst auf den Weg der Urteilsfindung begeben habe.

Zweiter Bericht: Stiftung soll Aufarbeitung Beständigkeit geben

Die „politische Aufgabe der Kommission“, dem Parlament Handlungsanweisungen zu geben, sei aber „nur sehr bedingt erfüllt“ worden, bedauerten wie Markus Meckel sehr viele Parlamentarier. Aufgrund der Komplexität und Wichtigkeit des Themas stimmte der Bundestag schließlich für eine zweite Kommission, die in der 13. Legislaturperiode die Arbeit der ersten Enquete fortsetzte. Deren zentrale Empfehlung an die Politik lautete schließlich in einem am 8. Oktober 1997 vorgestellten Bericht, eine bundeseigene Stiftung zu gründen, die langfristig die Auseinandersetzung mit der Geschichte und den Folgen der SED-Diktatur fördern solle.

„Es geht darum, der Aufarbeitung Beständigkeit und Stetigkeit zu verleihen“, erklärte Hartmut Koschyk (CDU/CSU) in der Bundestagsdebatte am 2. April 1998, die der Abstimmung über die Stiftung vorausging. Aufgabe der Stiftung sei es, die Arbeit der pluralen Träger zu unterstützen und damit ein „Motor im gesamtgesellschaftlichen Geschäft“ zu sein, ergänzte Meckel. Gerald Häffner (Bündnis 90/Die Grünen) sah vor allem auch in dem gemeinschaftlichen Antrag ein „klares Bekenntnis zur Aufarbeitung“.

Dem so genannten Errichtungsgesetz stimmte die große Mehrheit des Bundestages am 2. April 1998 zu. Bereits im November 1998 konnte die „Stiftung Aufarbeitung“ ihre Arbeit aufnehmen. Sie fördert und berät Projekte der gesellschaftlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur, privater Archive und von Opferverbänden, der Wissenschaft und der politischen Bildung. Sie sichert und sammelt Materialien und Dokumente, berät und betreut Opfer politischer Verfolgung, veröffentlicht Publikationen und organisiert Veranstaltungen.

Politische Differenzen bleiben

Die Differenzen, die schon zu Beginn der Enquete-Kommission über die Bewertung der DDR oder im Hinblick auf den politischen Umgang mit ihr zwischen den Parteien bestanden hatten, blitzten noch einmal in der Debatte über den Schlussbericht der Enquete-Kommission am 17. Juni 1998 auf: So warf Gerd Poppe (Bündnis 90/Die Grünen) der PDS vor, ausgerechnet sie beschuldige die Kommission, eine „Ideologisierung der Geschichtsschreibung“ zu betreiben. 

Stephan Hilsberg (SPD) konstatierte, dass man den Auftrag nur zum Teil bewältigt habe, nicht nur die „Teilungsgeschichte, sondern auch deren Überwindung aufzuarbeiten“. Rainer Eppelmann (CDU) appellierte schließlich an den Bundestag, die Aufarbeitung der Folgen der SED-Diktatur müsse „weiterhin als Grundaufgabe im Prozess der deutschen Einheit“ begriffen werden. „Wenn wir uns ihr stellen, nützen wir uns allen im vereinten Deutschland am meisten“. (sas)