Eine Geschäftsordnung für die Vermittler

Sitzung des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat am 23. November 2022 zum Bürgergeld-Gesetz (© picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka)
Noch hat der Bundestag keine ständigen Ausschüsse eingesetzt. Dennoch hat er bereits in seiner konstituierenden Sitzung am 25. März 2025 eine Geschäftsordnung für einen Ausschuss beschlossen (21/1), der in der neuen Wahlperiode vielleicht wird tagen müssen: den Vermittlungsausschuss. Der Vermittlungsausschuss ist kein ständiger Ausschuss des Bundestages, sondern ein gemeinsamer ständiger Ausschuss von Bundestag und Bundesrat, von Parlament und Länderkammer also.
Vermittlung zwischen Bundestag und Bundesrat
Was der Vermittlungsausschuss zu tun hat, beschreibt das Grundgesetz im zweiten Absatz seines Artikels 77. Danach ist er ein „aus Mitgliedern des Bundestages und des Bundesrates für die gemeinsame Beratung von Vorlagen gebildeter Ausschuss“. Um tätig werden zu können, muss der Vermittlungsausschuss „einberufen“ werden. Diese Einberufung verlangen können der Bundesrat (Artikel 77 Absatz 2 Satz 1) und bei Gesetzen, denen der Bundesrat zustimmen muss, auch Bundestag und Bundesregierung (Artikel 77 Absatz 2 Satz 4), indem sie den Vermittlungsausschuss „anrufen“.
Wie der Name schon sagt, muss der Ausschuss, wenn er einberufen wurde, „vermitteln“, und zwar zwischen den unterschiedlichen Standpunkten von Bundesrat auf der einen, Bundestag und Bundesregierung auf der anderen Seite im Hinblick auf ein Gesetzgebungsvorhaben. Es beginnt die Suche nach Kompromissen, um das Gesetz „zu retten“.
Bund-Länder-Konflikte
Konflikte, die im Vermittlungsausschuss beigelegt werden sollen, sind überwiegend Bund-Länder-Konflikte. In sehr vielen Fällen geht es um die Frage, welche Ebene, Bund oder Länder, die – auch anteilige – Finanzierung bestimmter Aufgaben zu übernehmen hat, die im jeweiligen Gesetzentwurf geregelt werden.
Solche Konflikte treten auch dann auf, wenn die parteipolitischen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat übereinstimmen, also etwa unionsgeführte Landesregierungen die Mehrheit im Bundesrat auf sich vereinigen und zugleich eine unionsgeführte Bundesregierung die Mehrheit der Abgeordneten im Bundestag hinter sich weiß. Ein solcher Gleichklang gilt auch bei entsprechenden sozialdemokratischen Mehrheiten. Im Fachjargon werden die SPD-geführten Landesregierung auch A-Länder, die unionsgeführten Landesregierungen B-Länder genannt.
Zwölf Vermittlungsverfahren in der 20. Wahlperiode
In der abgelaufenen 20. Wahlperiode wurde der Vermittlungsausschuss zu insgesamt zwölf Gesetzen angerufen, davon zu acht Zustimmungsgesetzen und vier Einspruchsgesetzen. Nach der konstituierenden Sitzung des Vermittlungsausschusses am 23. November 2022 trafen sich die Ausschussmitglieder zu drei weiteren Sitzungen am 9. Mai 2023, am 21. Februar 2024 und am 12. Juni 2024. In diesen Sitzungen wurden zu neun Gesetzen Einigungen erzielt. Zu vier Gesetzen gab die Bundesregierung zusätzlich eine Protokollerklärung ab.
Einigung erzielt wurde im Vermittlungsausschuss
- am 23. November 2022 zum Gesetz zur Neuregelung der Grundsicherung (Bürgergeld-Gesetz, 20/4600), zu dem die Bundesregierung am 14. November 2022 den Ausschuss angerufen hatte (20/4467);
- am 9. Mai 2023 zum Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Hinweisgeberschutzgesetz, 20/6700), zu dem die Bundesregierung den Ausschuss am 5. April 2024 angerufen hatte (20/6506);
- am 21. Februar 2024 zum Gesetz zur Stärkung von Wachstumschancen, Investitionen und Innovation sowie Steuervereinfachung und Steuerfairness (Wachstumschancengesetz, 20/10410), zu dem der Bundesrat den Ausschuss am 24. November 2023 angerufen hatte (20/9524);
- am 21. Februar 2024 zum Gesetz zur Förderung der Qualität der stationären Versorgung durch Transparenz (Krankenhaustransparenzgesetz, 20/10690), zu dem der Bundesrat den Ausschuss am 24. November 2023 angerufen hatte (20/9523);
- am 12. Juni 2024 zum Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten (20/11770), zu dem der Bundesrat den Ausschuss am 15. Dezember 2023 angerufen hatte (20/9877);
- am 21. Februar 2024 zum Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2021/2118 im Hinblick auf die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht und zur Änderung anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften (20/10420), zu dem die Bundesregierung den Ausschuss am 7. Februar 2024 angerufen hatte (20/10289);
- am 12. Juni 2024 zum Vierten Gesetz zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (20/11780), zu dem der Bundesrat den Ausschuss am 22. März 2024 angerufen hatte (20/10846);
- am 12. Juni 2024 zum Gesetz zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes sowie weiterer Vorschriften zur Digitalisierung der Verwaltung (OZG-Änderungsgesetz, 20/11790), zu dem die Bundesregierung den Ausschuss am 10. April 2024 angerufen hatte (20/11021);
- und am 12. Juni 2024 zum Zehnten Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (20/11800), zu dem die Bundesregierung den Ausschuss am 6. Juni 2024 angerufen hatte (20/11710).
Drei nicht abgeschlossene Vermittlungsverfahren
Drei Vermittlungsverfahren wurden in der vergangenen Wahlperiode nicht abgeschlossen. Es gilt der Grundsatz der Diskontinuität, das heißt, diese anhängigen Gesetze sind mit dem Ende der Wahlperiode erledigt und werden von dem Vermittlungsausschuss der laufenden Wahlperiode, der sich noch konstituieren muss, nicht mehr aufgegriffen. Es handelt sich um die Vermittlungsverfahren
- zum Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz), zu dem der Bundesrat den Ausschuss am 15. Dezember 2023 angerufen hatte (20/9878);
- zum Ersten Gesetz zur Änderung des Hochbaustatistikgesetzes, zu dem der Bundesrat den Ausschuss am 5. Juli 2024 angerufen hatte (20/12206);
- und zum Zweiten Gesetz zur Änderung des Düngegesetzes, zu dem die Bundesregierung den Ausschuss am 2. Oktober 2024 angerufen hatte (20/13150).
957 Anrufungen seit 1949
Die Statistik ist eindeutig: Seit 1949 ist der Vermittlungsausschuss in 88 Prozent aller Fälle vom Bundesrat angerufen worden, in zehn Prozent der Fälle von der Bundesregierung und nur in zwei Prozent vom Bundestag. In der vorangegangenen 19. Wahlperiode tagte der Vermittlungsausschuss siebenmal, um sich mit ebenso vielen Gesetzgebungsvorhaben zu befassen.
Seit 1949 ist der Vermittlungsausschuss 957 Mal zu insgesamt 853 Gesetzentwürfen angerufen worden. In 807 Fällen hat das Gremium erfolgreich vermittelt, die Gesetze konnten anschließend verkündet werden. In 112 Fällen gab es keinen Einigungsvorschlag, allein neunmal zwischen 2009 und 2013, als im Bund eine Koalition CDU/CSU und FDP regierte.
32 Mitglieder
Im Vermittlungsausschuss mit seinen 32 Mitgliedern hat jedes der 16 Bundesländer einen Sitz, während die dem Bundestag zufallenden 16 Sitze im Stärkeverhältnis der Fraktionen verteilt werden.
Für jedes Mitglied wird ein persönlicher Stellvertreter bestellt, der an den Sitzungen aber nur im Vertretungsfall teilnehmen darf, um den Kreis der Sitzungsteilnehmer kleinzuhalten. Jede Fraktion und die einzelnen Länder können ihre Vertreter höchstens viermal im Laufe einer Wahlperiode des Bundestages auswechseln.
Zwei Vorsitzende
Gewählt werden zwei Vorsitzende, ein Vertreter des Bundestages und ein Vertreter des Bundesrates. Sie vertreten sich gegenseitig und wechseln sich im Vorsitz vierteljährlich ab. Mitglieder der Bundesregierung dürfen an den Sitzungen teilnehmen, ja müssen dies sogar, wenn es der Ausschuss beschließt.
Beschlussfähig ist der Vermittlungsausschuss, wenn mindestens zwölf Mitglieder anwesend sind und die Tagesordnung mindestens fünf Tage vorher an die Mitglieder verschickt wurde. Ein Einigungsvorschlag zu einem strittigen Gesetzgebungsvorhaben kann nur beschlossen werden, wenn mindestens sieben Abgeordnete und sieben Ländervertreter anwesend sind. Beschlüsse werden mit einfacher Mehrheit gefasst.
An Weisungen nicht gebunden
Nicht nur die Abgeordneten (Artikel 38 Absatz 1 Satz 2), sondern auch die vom Bundesrat entsandten Mitglieder des Ausschusses sind an Weisungen nicht gebunden (Artikel 77 Absatz 2 Satz 3 des Grundgesetzes).
Organisatorisch ist der Vermittlungsausschuss nicht beim Bundestag, sondern beim Bundesrat angesiedelt, tagt also auch regelmäßig dort. Sein Sekretariat ist Teil der Bundesratsverwaltung.
Einigungsvorschlag als „Beschlussempfehlung“
Beschließt der Vermittlungsausschuss, ein vom Bundestag bereits verabschiedetes Gesetz zu ändern oder gar aufzuheben, so muss der Bundestag „alsbald“ über diesen Einigungsvorschlag befinden. Häufig geschieht dies noch in der gleichen Woche, wenn die Einigung im Vermittlungsausschuss in einer Sitzungswoche des Bundestages zustande kommt. Ein Ausschussmitglied steht Bundestag und Bundesrat als Berichterstatter zur Verfügung.
Der Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses heißt im Parlamentsdeutsch „Beschlussempfehlung“, und als solche wird er dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt. Eine Aussprache findet dabei im Bundestag nicht mehr statt (Paragraf 10 Absatz 2 der Geschäftsordnung). Zwar dürfen vor der Abstimmung Erklärungen abgegeben werden, ein Antrag zur Sache ist aber nicht zulässig. Nicht selten sieht der Einigungsvorschlag mehrere Änderungen eines Gesetzesbeschlusses vor. In diesen Fällen muss der Vermittlungsausschuss festlegen, ob und inwieweit der Bundestag über alle Änderungen gemeinsam abstimmen muss.
Einzelabstimmung bei Grundgesetzänderungen
Eine besondere Regelung gilt, wenn der Einigungsvorschlag Änderungen des Grundgesetzes vorsieht. Dann muss über jede Abweichung zwischen dem Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses und dem ursprünglichen Gesetzesbeschluss des Bundestages einzeln abgestimmt werden. Zusätzlich zu den Einzelabstimmungen ist eine Schlussabstimmung über den Einigungsvorschlag im Ganzen erforderlich.
Hat der Bundestag dem Einigungsvorschlag zugestimmt und eine geänderte Fassung des Gesetzes beschlossen, so muss im Anschluss auch der Bundesrat diese geänderte Fassung beraten. Ist seine Zustimmung erforderlich, braucht das Gesetz auch im Bundesrat eine Mehrheit, um verkündet werden zu können.
Abschluss des Vermittlungsverfahrens
Der Bundestag muss über das von ihm bereits beschlossene Gesetz nicht erneut abstimmen, wenn der Vermittlungsausschuss dieses bestätigt, also keine Änderungen vornehmen will. Bundestag und Bundesrat müssen in diesen Fällen „unverzüglich“ benachrichtigt werden. Ist zum Gesetz die Zustimmung des Bundesrates erforderlich, muss dieser darüber abstimmen, ob er dem unveränderten Gesetz zustimmen will oder nicht.
Hat sich der Vermittlungsausschuss auch in seiner zweiten Sitzung zu einem strittigen Gesetzentwurf nicht einigen können, so kann jedes Ausschussmitglied den Abschluss des Vermittlungsverfahrens beantragen. Das Verfahren gilt dann als abgeschlossen, wenn sich in der dritten Sitzung keine Mehrheit für einen Einigungsvorschlag findet.
Bundestag und Bundesrat müssen auch in diesen Fällen des erfolglosen Vermittlungsverfahrens Bundestag und Bundesrat sofort darüber informieren. Der Bundesrat muss, wenn seine Zustimmung verlangt wird, beschließen, ob er das Scheitern des Gesetzes in Kauf nimmt oder sich der vom Bundestag zuvor gebilligten Fassung anschließt, wie es in der vergangenen Wahlperiode beim Krankenhaustransparenzgesetz der Fall war (20/10690). (vom/07.04.2025)