Plenarsaal muss in Rekordzeit umgebaut werden
So knapp war es noch nie! Gerade einmal sechs Tage bleiben, um den Plenarsaal des Bundestages nach der letzten Sitzung der auslaufenden Wahlperiode für die konstituierende Sitzung des 21. Deutschen Bundestages am Dienstag, 25. März 2025, umzubauen - Nachtschichten und Wochenendarbeit nicht ausgeschlossen. Nach der Bundestagswahl werden im Plenarsaal die Sitze der Abgeordneten neu aufgestellt. In dem charakteristischen Halbrund tiefblauer Stühle spiegelt sich das in Mandate und Parlamentssitze umgerechnete Wahlergebnis wider.
Zwei Dinge verändern sich bei der Bestuhlung des Plenarsaals in der neuen Legislaturperiode. Zum einen ist dem neuen Kräfteverhältnis der Fraktionen Rechnung zu tragen. Manche erhalten mehr Sitze, andere verlieren welche. Zum anderen verringert sich die Gesamtzahl der Abgeordneten - entsprechend der Wahlrechtsreform - um mehr als 100. Statt zuletzt 733 ziehen nur noch 630 Parlamentarierinnen und Parlamentarier in den Deutschen Bundestag ein. An diese Veränderungen muss der Plenarsaal angepasst werden.
Veränderte Sitzlandschaft, straffer Zeitplan
„Bis zur konstituierenden Sitzung am 25. März muss alles fertig sein“, sagt Ricarda Müller-Retzlaff von der Bundestagsverwaltung. Sie ist dafür verantwortlich, dass am Ende jeder Stuhl da steht, wo er hingehört, und verweist auf den straffen Zeitplan für ihr Team. Ebenso müssen die IT- und Kommunikationsfachleute die technischen Komponenten wie die Mikrofonanlage, entsprechend der veränderten Sitzlandschaft, neu installieren.
Das Grundgesetz gibt vor, dass zwischen dem Wahltag und der konstituierenden Sitzung maximal 30 Tage vergehen dürfen. Direkt loslegen und alles schon „auf Vorrat fertig machen“ konnten die Monteure und Techniker nach der Wahl nicht. Es galt abzuwarten, ob der 20. Bundestag noch einmal Mitte März zusammenzukommen würde - bis dahin musste auch die bisherige Sitzordnung erhalten bleiben.
Unmittelbar nach der Bundestagswahl haben jedoch bereits die Zeichnerinnen des zuständigen Referats in der Unterabteilung Bau und Gebäudemanagement mit ihrem Entwurf für den neuen Saalplan begonnen. Mithilfe eines Proporz-Verfahrens bringen sie die aus dem vorläufigen amtlichen Endergebnis abgeleitete Zahl der zu vergebenden Sitze und neuen Fraktionsstärken mit den architektonischen und technischen Gegebenheiten des Plenarsaals in Übereinstimmung.
Plenarsaalrund im neu zugeschnittenen Tortenstück-Look
„Es gibt fest vorgegebene Steckmöglichkeiten für die Sitze“, erklärt Architektin Müller-Retzlaff. Es erinnert an die Anleitung für ein beliebtes Brettspiel, das für die nächste Runde aufgebaut wird. Die Bau-Referentin erläutert, wie am Ende der Tortenstück-Look entsteht: Zunächst werden entsprechend dem aktuellen Wahlergebnis die Blöcke für die Fraktionen gemäß dem traditionellen politischen Links-Rechts-Schema gebildet. „Daraus ergeben sich bei fünf Fraktionen vier Trennungen, die als Wege genutzt werden können.“
Ausgehend von der begehrten, aber kürzesten, ersten Reihe - mit 15 Plätzen und vier Lücken, in der die Fraktionen gemäß ihrer Stärke zwischen einem und fünf Sitzen erhalten - sowie von der Gesamtzahl von 630 Sitzen, wird anhand der technischen Zeichnung aufsteigend für sämtliche Reihen die räumliche Sitzverteilung im Saal, aufgeteilt auf die Fraktionen, simuliert. Zunächst die ersten sechs Reihen, die idealerweise wie Tortenstücke aussehen. „Davon ausgehend werden die hinteren Reihen komplettiert“, so Müller-Retzlaff. An die ersten sechs Reihen mit Stühlen und Pulten schließen sich dabei in der kommenden Wahlperiode sieben weitere Reihen mit reiner Bestuhlung an.
Fernsehzuschauer sollen Fraktionen klar erkennen
Es erfordert von den Sitzplan-Machern noch etwas Feinarbeit, um ein der technischen Logik des Saals geschuldetes zu starkes Hinausragen einzelner Reihen oder zu kurze Reihen zu korrigieren und einigermaßen gleichmäßige Tortenstücke hinzubekommen. „Auch die Zuwegungen zu den Plätzen müssen geplant werden“, so Müller-Retzlaff. „Die Fernsehzuschauer sollen klar erkennen können, wo welche Fraktion sitzt.“ Beachtet werden müssen außerdem, im Plenarsaal des Deutschen Bundestages wie überall im Land, die Vorschriften des Arbeits- und Brandschutzes sowie das Versammlungsstättenrecht.
Kaum war „ein genehmigungsrechtlich einwandfreier Plan“ gezeichnet, schickte das Bau-Referat diesen Sitzplan-Vorschlag zur Absegnung an den sogenannten Vorältestenrat, der sich aus der amtierenden Bundestagspräsidentin sowie Vertreterinnen und Vertretern der neu gebildeten Fraktionen zusammensetzt und nach der Wahl eine Reihe organisatorischer Entscheidungen trifft.
Zeitrahmen ist eine Herausforderung
Erst nach dessen Beschluss und sobald der alte Bundestag den Plenarsaal nicht mehr benötigte, konnten am Nachmittag des 18. März die eigentlichen Umbauarbeiten beginnen: das Möbelrücken sowie, passgenau abgestimmt auf die veränderte Bestuhlung, die Neuinstallation und -programmierung der Mikrofon- und Beschallungsanlage. „Alles, was wir vorbereiten konnten, haben wir im Vorhinein erledigt“, berichtet Müller-Retzlaff. So früh wie möglich seien beispielsweise bereits die IT- und Kommunikationstechniker in den Umbau einbezogen worden. „Die Kollegen erhalten so rasch es geht unseren vorläufigen Plan“, um sich auf ihre eigentlich für zwei Wochen angelegten Arbeiten vorbereiten zu können.
Der vorgegebene Zeitrahmen ist eine Herausforderung, aber „wir schaffen das“, ist Müller-Retzlaff optimistisch. Alle Beteiligten seien sich der besonderen Aufgabe bewusst, den Plenarsaal des Deutschen Bundestages für die nächste Wahlperiode vorzubereiten. „Wir machen das alle sehr gerne“, so die Mitarbeiterin der Bundestagsverwaltung. Eine Urlaubssperre habe man dafür nicht gebraucht.
Handwerker übernehmen den Plenarsaal
Noch am 18. März, unmittelbar nach Ende der letzten Sitzung des 20. Bundestages, haben die Fachhandwerker im Plenarsaal mit ihren Arbeiten begonnen. Anstelle politischer Debatten erfüllen seitdem für eine knappe „Nichtsitzungswoche“ das Surren von Akkuschraubern und andere Montagegeräusche das Rund unter der Kuppel. Um sie neu anzuordnen, werden Sitze und Tische demontiert und montiert, das heißt aus ihren in der Unterkonstruktion des Plenarsaals verankerten Metallhülsen genommen und wieder eingesetzt. Jedes Möbel muss dabei an einer bestimmten Stelle verbaut werden. Kisten mit „Ergänzungsmöbeln“ aus dem Lager stehen herum und werden ausgepackt. Wegen der geringeren Zahl der Sitze können im hinteren Bereich außerdem akustische Schiebewände wieder aktiviert werden. Weniger Arbeit sei es trotz der um eine Hundertschaft an Abgeordneten geschmolzenen Größe des Parlaments nicht geworden, stellt Müller-Retzlaff fest.
Hand in Hand mit der Neumöblierung packen die Informations- und Tontechniker an. Auch hier geht es um Abbau und Aufbau. Kabel - Strom-, Steuer- und Mikrofonleitungen in den Tischen sind zu ziehen, Mikrofone, Telefone und Tableaus aus- und einzubauen, Verteilerkästen neu zu setzen, erklärt das Kommunikationstechnik-Referat. „Das Audiorouting muss neu vergeben, zugeordnet und gepatcht werden.“ Außerdem steht die Neuprogrammierung des „zentralen Plenumsmanagementsystems“ an, das die Mikrofonanlage, Beschallungsanlage, Medien- und Dolmetschertechnik steuert. Danach werden alle Komponenten geprüft, damit zum Start alles perfekt funktioniert. Ein komplexes und zeitaufwändiges Verfahren. Die die politische Machtverteilung symbolisierenden Stühle sind dabei der Dreh- und Angelpunkt.
Symbol der parlamentarischen Demokratie
Das weite Rund blauer Sitzmöbel ist neben der ikonischen Glaskuppel der Hingucker im Plenarsaal im historischen Reichstagsgebäude und aus der medialen Berichterstattung nicht wegzudenken. In jeder Debatte, in jeder Nachrichtensendung aus dem Plenum haben die blauen Sitze ihren stillen Auftritt. Der Sitz eines beziehungsweise einer Abgeordneten im Plenarsaal ist Ausdruck für ihre Teilhabe an der demokratischen Machtausübung und steht symbolhaft für das Parlament und den Parlamentarismus. Wer bei der Bundestagswahl ein Mandat gewinnt, hat damit auch einen der blauen Parlamentssitze für die Dauer einer Wahlperiode für sich reserviert.
Die Bedeutung der Sitze im Plenarsaal unterstreicht bereits der Sprachgebrauch, wenn davon die Rede ist, dass eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter einen „Sitz“ im Bundestag errungen hat, nun im Bundestag „sitzt“ oder eine Fraktion über so und so viele „Sitze“ im Parlament verfügt. Das Wort „Sitz“ steht mithin ebenso als Synonym für Mandat und Macht. Obwohl die Parlamentsarbeit freilich aus weit mehr besteht als aus Plenardebatten.
Preisgekrönter Stuhl prägt Reichstagsgebäude mit
Einerseits ein Status- und Machtsymbol sollen die Sitze natürlich in erster Linie ein gesundes Arbeiten unterstützen und dabei auch noch gut aussehen. Die Bestuhlung des Plenarsaals mit dem Modell „Figura“, einer mehrfach preisgekrönten Sonderanfertigung des Wohn- und Büromöbelherstellers Vitra aus der Schweiz, prägt die Architektur des von dem britischen Architekten Norman Foster neu gestalteten Reichstagsgebäudes maßgeblich mit.
Der ursprünglich als Bürodrehstuhl konzipierte Sitz - im urheberrechtlich geschützten „Reichstags-Blau“ jenseits aller Parteien-Farben - wird also künftig in 630 Exemplaren das Halbrund des Plenums füllen. Bezogen mit einem hochwertigen Wollstoff, der speziell für den Bundestag ausgewählt wurde, bietet das Sitzmöbel die unterschiedlichsten Einstellungen und Haltungen, wie man sie von Bürodrehsesseln kennt und wird von den Abgeordneten durchweg als bequem bewertet.
Zu den „Ausstattungsmerkmalen“ des deutschen Plenarsaals als repräsentativer Arbeitsbereich - etwa im Vergleich zu anderen Parlamenten oder Veranstaltungssälen - gehören die Großzügigkeit und Weite der Sitzlandschaft mit nicht zu eng nebeneinander stehenden Sitzen und breiten Reihenabständen. Wozu in den ersten sechs Reihen noch die Besonderheit hinzukommt, dass die Stühle sich zusätzlich auf Schienen vor- und zurückschieben lassen.
Bundestag setzt weiter auf bewährte Bestuhlung
Die mittlerweile 25 Jahre alten Sitzgelegenheiten, für die mit dem Hersteller ein Servicevertrag und eine Ersatzteilgarantie besteht, werden regelmäßig gewartet und wurden bereits einmal neu aufgepolstert, erzählt Müller-Retzlaff. „Wir können den Abgeordneten auch im 21. Bundestag eine moderne, sichere und komfortable Bestuhlung im Plenarsaal anbieten.“ Nach der 20. Wahlperiode wiesen lediglich zwei Bezüge Flecken auf, so dass diese gereinigt werden mussten. Leichte Gebrauchsspuren und Schäden seien immer mal wieder zu beseitigen.
Über die Plätze der Abgeordneten hinaus weist der Plenarsaal noch eine Reihe weiterer, in Farbe und Stil gleichartiger Sitze auf - ihrer jeweiligen Bestimmung Rechnung tragend, jedoch mit anderen Funktionen und von anderer Formgebung: So hat im Bereich der Sitze der Bundesregierung der Stuhl des Bundeskanzlers eine höhere Rückenlehne, entsprechend ist es im Bereich des Bundesrates: Dort fällt der Stuhl der Bundesratspräsidentin durch eine höhere Lehne ins Auge. Hier befindet sich auch der Platz der Wehrbeauftragten. Die Stühle des Präsidiums haben, wie in einem Büro, Rollen und sind frei beweglich. Und für die Stenografinnen und Stenografen gibt es vor dem Rednerpult vier runde Hocker im „Reichstagsblau“. Die Sitze der Besuchertribünen wiederum sind im leichten Hellgrau des Bundestages gehalten.
Überzählige Stühle stehen nicht zum Verkauf
Was eigentlich mit den überzähligen Stühlen passiert, die nun im Plenum nicht mehr gebraucht werden? In den letzten Monaten gebe es immer mal Kaufanfragen, berichtet Bau-Referentin Müller-Retzlaff. Die allerdings rundweg abgelehnt werden. Erstens kämen die nun im Saal nicht gebrauchten Stühle zu weiteren dort vorrätigen Exemplaren ins Lager. Dort würden sie auf ihren erneuten Einsatz, beispielsweise als Ersatz bei Beschädigungen, warten. Zweitens werde kein einziges Exemplar dieser Sonderanfertigung für eine externe Nutzung oder museale Zwecke herausgegeben, solange auf diesem Modell die Mitglieder von Deutschlands höchstem Verfassungsorgan Platz nehmen. Die Sitze gehörten vielmehr zum unveräußerlichen Inventar des Parlaments.
Der jetzige Umbau des Plenarsaals ist übrigens nur für die erste Sitzung des neuen Bundestages bindend. Die in den 21. Deutschen Bundestag gewählten Abgeordneten sind laut Geschäftsordnung frei, diesen Sitzplan zu übernehmen oder einen anderen zu beschließen. Die Erfahrungen der Geschichte zeigen, dass es darüber hinaus bisher während jeder Wahlperiode kleinere und größere Umbauten gab. Die Akku-Schrauber werden also, ganz unpolitisch, immer mal wieder im Plenarsaal zu hören sein. (ll/20.03.2025)