Schwabe: Georgien hat sich für die Abkehr von europäischen Werten entschieden

Frank Schwabe (SPD) leitet die Delegation des Bundestages zur Parlamentarischen Versammlung des Europarats. (© picture alliance / Flashpic | Jens Krick)
„Wir wollen als Europarat ein Raum der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtsstaats sein. Alle, die da mitmachen wollen, sind eingeladen“, sagt Frank Schwabe (SPD), Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PVER), die vom 27. bis 31. Januar 2025 zu ihrer ersten Sitzungswoche des Jahres in Straßburg zusammenkam.
In einer Zeit zunehmenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus müsse der Europarat sich klar zu seinen Werten bekennen und die wiederholte Missachtung der gemeinsamen Grundlagen sanktionieren: „Ansonsten würde der Europarat sich selbst aufgeben“, sagt der Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Recklinghausen I. Die Versammlung habe versucht, etwa im Fall Georgiens, einen Weg aus der Krise aufzuzeigen. Im Interview spricht Frank Schwabe über den Umgang mit Mitgliedsländern, die die Werte des Europarates missachten, welche Themen die Versammlung 2025 noch beschäftigen sowie darüber, wie der Europarat sogar mit Russland wieder ins Gespräch kommen kann. Das Interview im Wortlaut:
Herr Schwabe, ein neues Sitzungsjahr hat begonnen. Um welche Themen muss die Versammlung sich 2025 vorrangig kümmern?
Wir haben es immer wieder mit unseren üblichen Kandidatenländern zu tun, die die Werte und Regeln des Europarats missachten. Aber auch mit der neuen Dimension der künstlichen Intelligenz, die uns jetzt überall herausfordert. Hinter allem steht aber die Frage: Was will der Europarat sein, wenn immer mehr Länder sich gegen ihn aufstellen und sich einer Mischung aus Rechtspopulismus und Rechtsextremismus hingeben.
Die Versammlung hat die georgische Delegation wegen des Konflikts über die Parlamentswahlen sowie wegen der Menschenrechtsverletzungen in Georgien nur unter Vorbehalt akkreditiert, dann hat die georgische Delegation ihre Mitgliedschaft in der PVER aufgekündigt. Waren die von der Versammlung formulierten Bedingungen, die die Einhaltung europäischer Werte fordern, für die georgischen Delegierten unerfüllbar?
Scheinbar. Die Regierung Georgiens hat sich für den autoritären Weg entschieden. Den Weg der Abkehr von europäischen Werten. Und sie hat nicht davor zurückgeschreckt, die Wahlen massiv zu manipulieren. Das hat zu einer tiefen Vertrauenskrise im Land geführt. Offensichtlich will Georgien diesen Weg weiter beschreiten. Das führt zum derzeitigen Bruch mit der Parlamentarischen Versammlung. Es ist an Georgien, umzukehren.
Bedeutet dieser politisch zur Schau gestellte Bruch eine Abkehr Georgiens vom Europarat und von der europäischen Integration insgesamt?
Der Bruch war bereits vorher da. Der Konflikt mit dem Europarat war daher vorprogrammiert. Die Parlamentarische Versammlung versteht sich als Gralshüter der Werte des Europarats, agiert klarer und konsequenter als das Ministerkomitee als Vertretung der Regierungen. Die Versammlung hatte versucht, einen Weg aus der Krise aufzuzeigen. Es ist an Georgien, konstruktiv mit dem Beschluss umzugehen.
Eine Parallele drängt sich da auf: Vor einem Jahr wurde die Delegation Aserbaidschans nicht akkreditiert. Wird sich die Versammlung künftig alljährlich zu Beginn des Sitzungsjahres mit Mitgliedern beschäftigen müssen, deren Regierungen und parlamentarische Mehrheit die Werte des Europarates missachten?
Aserbaidschan hat die Versammlung nicht akkreditiert. Das war deutlich härter. Und es war der vorläufige Schlussstrich unter eine unendlich lange Zeit von Aufforderungen, sich den Werten des Europarats wieder zu nähern, die Aserbaidschan auch noch mit der Bestechung von Abgeordneten beantwortet hat. Aber ja, wir treten in eine Zeit ganz grundsätzlicher Auseinandersetzungen ein, die sich in diesen Akkreditierungsfragen widerspiegeln. Das ist aber auch keine Überraschung, bei der derzeitigen Weltlage.
Ist der Ausschluss von Mitgliedern statt Dialog ein taugliches Sanktionsinstrument, zumal wenn es öfter angewendet wird? Ist das Ziehen roter Linien, diese Sprachlosigkeit und das Auseinandergehen ein Zeichen der Stärke oder der Schwäche des Europarates?
Erst mal ist es eine Schwäche der Mitgliedstaaten. Sie halten sich ja nicht an selbst eingegangene Verpflichtungen. Und das tun immer mehr. Und sie tun es systematisch. Der Europarat hat eine Möglichkeit, das zu sanktionieren. Dass er das tun muss, ist nicht gut, aber notwendig. Und ja, mit gutem Grund auch vorgesehen. Bei immer mehr Fällen wird es aber natürlich für den Europarat immer schwieriger. Aber was wäre die Alternative? Beide Augen zuzudrücken? Dann würde der Europarat sich selbst aufgeben.
Die Versammlung hat einen Bericht über die Wahlbeobachtungsmission beschlossen, der sich mit dem Ablauf der Parlamentswahl in Georgien im Herbst letzten Jahres befasst. Was sagt der Bericht über den Zustand und die Perspektiven dieses Landes?
Der Bericht sagt, dass das Land auf einem fundamental falschen Kurs ist. Unregelmäßigkeiten gab es bei den Wahlen in Georgien immer. Im Gegensatz zu Aserbaidschan und Belarus wurde allerdings nicht in der Wahlurne gefälscht. Vor den Wahllokalen allerdings systematisch. Bezahlung von Wählern, Aufforderungen zum Fotografieren des Wahlscheins, massive Bedrohungen, Unterdrucksetzung durch den systematischen Einsatz von Kameras und vieles mehr. Alles das hat die Mission festgestellt. Und das geschilderte Vorgehen wurde zusätzlich unterlegt mit einer prorussischen und antieuropäischen Propaganda.
Zur innenpolitischen Lage in Belarus gab es, wie auch zur weiteren Unterstützung der Ukraine, eine Dringlichkeitsdebatte. Interessant: Während die Mitgliedschaft des offiziellen, autoritär regierten Belarus im Europarat suspendiert ist, nimmt eine Delegation des belarussischen Exilparlaments an der parlamentarischen Versammlung des Europarates teil. Wäre das auch eine Blaupause, um mit russischen Politikern jenseits der Regierung des Präsidenten Putin ins Gespräch zu kommen?
Ja. Das wäre auch für Russland möglich. Wir wollen als Europarat ein Raum der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtsstaats sein. Alle, die da mitmachen wollen, sind eingeladen. Das gilt offensichtlich für die Machthaber in Moskau und in Minsk nicht. Für andere Akteure aus den Ländern sehr wohl. Sie können die Länder nicht ersetzen. Aber wir können kooperieren. Auch auf einer formalisierten Ebene. Damit haben wir jetzt begonnen.
Der Blick der Delegierten ging auch in den krisengeschüttelten Nahen Osten, eine Resolution zur humanitären Lage in Gaza wurde angenommen. Ist es gelungen, darin ein Statement für die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts abzugeben, ohne dabei billiger Israel-Kritik eine Bühne zu bieten?
Ich finde ja. Wir haben die Gräuel der Hamas am 7. Oktober 2023 vielfach verurteilt. Jetzt ging es um das humanitäre Völkerrecht. Das gilt ohne Beachtung der Hintergründe des Konflikts. Und mit Blick darauf hat Israel große Fehler gemacht und grundsätzliche Prinzipien des humanitären Völkerrechts missachtet, zum Beispiel zu wenig humanitäre Hilfe zugelassen. Das kritisiert der Bericht zu Recht.
Während in Deutschland immer mehr Menschen den Kirchen den Rücken kehren, verlieren religiöse Fragen im Allgemeinen sowie weltweit betrachtet keinesfalls an Bedeutung – werden vielfach aber auch politisch missbraucht. Die Versammlung hatte nun mit dem obersten Rabbiner Israels und dem Ökumenischen Patriarchen zwei Vertreter von Glaubensgemeinschaften geladen, vor dem Plenum sowie mit Schülern zu sprechen. Sie hatten ein Side Event zum interreligiösen Dialog. Welche Botschaft sendet der Europarat zum Thema Religion und religiöse Verständigung in Europa?
Religion kann spalten, kann aber auch Ideengeber für Gemeinsamkeiten sein, für das Einstehen von Werten und den gegenseitigen Respekt. Die beiden Geistlichen waren gute Beispiele, wie man Religion zur Verständigung nutzen kann. In diesem Sinne soll der Europarat als Plattform arbeiten.
Das Internet missverstehen manche als Ort für schrankenlose Hassrede und populistische Falschinformationen, was Organisationen wie den Europarat beschäftigt. Was geben die Europarat-Parlamentarier den Regierungen der Organisation auf den Weg, um die richtige Balance zwischen Meinungsfreiheit und der Moderation von Inhalten in den Social Media zu finden?
Es geht um Meinungsfreiheit, aber eben auch um Regeln – wie im normalen Zusammenleben auch. Die Durchsetzung solcher Regeln in den sozialen Medien ist schwierig, aber nicht unmöglich. Das sehen wir an den Entwicklungen bei „X“ wie bei Meta. Wenn Unternehmen nicht freiwillig Regeln beachten, dann müssen sie gesetzlich dazu gezwungen werden. Das ist aber schwierig, wenn die Quellen in den USA oder in China sind. Aber wir müssen es versuchen.
Herr Schwabe, das sind viele Baustellen und teilweise auch bedrückende Aussichten. Im November versammelte die deutsche Delegation der PVER erneut junge Leute zur Jugendkonferenz Y-Space im Bundestag in Berlin. Hellen sich die Perspektiven etwas auf, wenn Sie an die jungen Leute denken?
Die Lage der Welt und auch die in Europa ist schwierig. Vieles ist in Unordnung geraten. Regeln werden infrage gestellt. Die multilateralen Organisationen, die für diese Regeln stehen, auch. Aber der Sturm wird auch vorüberziehen. Geschichte endet eben nie. Und das Gute will immer wieder erstritten werden. Ja, die jungen Leute sind die Zukunft des Europarats. Sie leben die Werte des Europarats mit jeder Faser. Und verstehen die ständigen diplomatischen Floskeln und die oft schwachen Reaktionen der Institutionen nicht. Und das ist gut so. Die jungen Leute brauchen Raum. Und den geben wir ihnen. (ll/06.02.2025)