Neuregelung des Schwangerschaftsabbruch-Paragrafen umstritten
Bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche soll ein Abbruch der Schwangerschaft grundsätzlich nicht mehr rechtswidrig sein. Das fordert eine fraktionsübergreifende Gruppe von Abgeordneten in einem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs (20/13775), der auf eine Initiative von Grünen und SPD zustande gekommen ist und am Donnerstag, 5. Dezember 2024, in erster Lesung beraten wurde.
Im Anschluss an die Aussprache wurde der Gesetzentwurf zusammen mit dem Antrag einer Gruppe von Abgeordneten mit dem Titel „Versorgungslage von ungewollt Schwangeren verbessern“ (20/13776) zur Weiterberatung an die Ausschüsse überwiesen. In beiden Fällen übernimmt der Rechtsausschuss die Federführung.
Wegge: Unterstützung von 328 Abgeordneten
Carmen Wegge, die der SPD-Fraktion angehört, warb als eine der Initiatorinnen für die Vorlage und verwies darauf, dass diese inzwischen von 328 Abgeordneten unterstützt werde. Wegge sagte, es gehe um mehr als um eine theoretische Debatte. Die geltenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch führten nicht nur zu einer Stigmatisierung der Frauen, sondern hätten auch „dramatische Auswirkungen auf die Versorgungslage der Frauen“. So sinke die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, sagte Wegge.
Die gesellschaftliche und parlamentarische Debatte zu dem Thema laufe schon lange, das sei „niemandem spontan in den letzten drei Wochen eingefallen“, so die Abgeordnete. In Umfragen würde eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler aller im Hause vertretenen Parteien eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches unterstützen. Der vorgelegte Gesetzentwurf sei ausgewogen, moderat und berücksichtige alle Rechte, sagte Wegge.
Winkelmeier-Becker: Narrativ der Kriminalisierung ist falsch
Elisabeth Winkelmeier-Becker, die der CDU/CSU-Fraktion angehört, stellte sich für die Union hinter die bestehenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch. Sie garantierten das „Selbstbestimmungsrecht und die alleinige Entscheidung der Frau darüber, ob sie ihre Schwangerschaft fortsetzen oder abbrechen will“, sagte die Christdemokratin. Das „Narrativ der Kriminalisierung“ sei falsch, kritisierte Winkelmeier-Becker, betone doch Paragraf 218 des Strafgesetzbuches die „Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs“.
Dazu stehe die Union uneingeschränkt, sagte die Abgeordnete. Sie warf den Initiatorinnen des Entwurfs vor, im Schnelldurchgang und ohne gesellschaftliche Debatte einen „Paradigmenwechsel“ anstreben zu wollen. Den Schwangerschaftsabbruch als rechtmäßig einzustufen, sei mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Menschenwürde und zum Lebensrecht des Ungeborenen unvereinbar, sagte Winkelmeier-Becker.
Schauws: Paragraf 218 ist zutiefst patriarchal
Ulle Schauws, die der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angehört, betonte hingegen, dass Paragraf 218 seit 1871 symbolisiere, dass Frauen nicht das Recht hätten, „selbst über ihre Schwangerschaft und somit über ihr Leben und ihren Körper zu bestimmen“. Der Paragraf sei „zutiefst patriarchal“, sagte die Grünen-Abgeordnete. Wie Wegge und andere Befürworterinnen und Befürworter verwies Schauws auf die schlechte Versorgungslage, die Zustimmung für eine Liberalisierung in Umfragen und die Ausgewogenheit des Vorschlags.
Sie forderte, dass nun alle Rechte für ein Gruppenverfahren gelten müssten, also etwa eine Anhörung zu dem Entwurf. „Als frei gewählte Abgeordnete und als Parlament sind wir bis zum Ende der Legislaturperiode arbeits- und beschlussfähig. Ich lade Sie alle ein: Schreiben Sie mit uns Geschichte“, sagte Schauws.
Jensen: Schwangerschaftsabbruch entkriminalisieren
Gyde Jensen, die der FDP-Fraktion angehört, drückte ihre grundsätzliche Unterstützung dafür aus, den Schwangerschaftsabbruch zu entkriminalisieren. Die Debatte dazu müsse zeitnah, aber keineswegs in Eile geführt werden, sagte die FDP-Abgeordnete. Zwar sei ihr Entscheidungsprozess dazu abgeschlossen: „Ich könnte heute darüber beschließen.“ Sie wolle aber von ihrer Situation nicht auf die anderer Abgeordneter schließen.
Jensen sprach sich für ein „ordentliches Gruppenverfahren“ aus mit Zeiträumen zum Nachdenken, für individuelles und öffentliches Abwägen. Sollte sie dem nächsten Bundestag angehören, wolle sie sich aktiv an einem neuen Gruppenverfahren beteiligen, sagte die Abgeordnete.
Von Storch: Sie wollen den Schutz des Lebens abschaffen
Beatrix von Storch, die der AfD-Fraktion angehört, sagte, es gebe in Deutschland seit 30 Jahren einen „gesellschaftlichen Kompromiss“ in dieser Frage. Diesen wollten die Befürworterinnen und Befürworter des Entwurfs nun „abfackeln“, kritisierte die Abgeordnete. „Sie wollen den Schutz des Lebens abschaffen, und zwar aus rein ideologischen Gründen“, sagte von Storch. Praktische Gründe gebe es nämlich keine: „Frauen können jetzt schon straffrei das Leben ihres ungeborenen Kindes beenden.“ Sie persönlich fände das „furchtbar“, betonte die Abgeordnete.
Die AfD trage den Kompromiss aber mit und wolle ihn nicht verschärfen, sondern erhalten, sagte von Storch auf anderslautende Berichte in der Presse. Die Abgeordnete bezweifelte zudem, dass die vorgeschlagene Neuregelung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang zu bringen sei. „Sie dürfen die Abtreibung gar nicht rechtmäßig stellen. Das Verfassungsgericht hat das ausdrücklich untersagt“, sagte von Storch.
Reichinnek: DDR hatte ein liberaleres Recht
Heidi Reichinnek, die der Gruppe Die Linke angehört, verwies ebenfalls auf Umfragen zu dem Thema, die eine deutliche Zustimmung zu einer Regelung außerhalb des Strafgesetzbuches ausdrückten. „Wo ist eigentlich dieser gesellschaftliche Großkonflikt, den FDP und Union hier die ganze Zeit heraufbeschwören?“, fragte die Linken-Abgeordnete. Sie verwies auf die jahrelange Debatte zu dem Thema, Demonstrationen und Petitionen.
„Wenn Sie immer noch keine Meinung zu dem Thema haben, dann ist vielleicht Politik nicht das Richtige für Sie“, frotzelte die Abgeordnete. Reichinnek erinnerte auch daran, dass in der DDR ein liberaleres Recht gegolten habe. Der „Kompromiss“ habe für Millionen ostdeutscher Frauen zum Verlust ihres Freiheitsrechts geführt, „über ihren eigenen Körper zu entscheiden“.
Dağdelen: Elementares Recht für jede Frau
Sevim Dağdelen, die der Gruppe BSW angehört, stellte sich ebenfalls hinter das Anliegen. Das BSW unterstütze die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Das Recht, „ohne Demütigung und ohne Lebensgefahr“ eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen zu können, sei elementar für jede Frau. Dağdelen kritisierte, dass die ehemalige Ampelkoalition den Entwurf nicht schon im April eingebracht habe, als die Expertenkommission ihren Bericht vorgelegt hatte. Dass die Abstimmung nun in den beginnenden Wahlkampf gelegt werde, werfe einen Schatten auf das richtige Anliegen.
Die BSW-Abgeordnete kritisierte zudem, dass ihre Gruppe den Entwurf nicht habe mit einbringen dürfen. Das sei offenbar nicht gewünscht gewesen. „Wer Interesse hat an Mehrheiten in diesem Haus, streckt die Hand aus und schließt nicht andere aus“, sagte Dağdelen.
Gesetzentwurf einer Gruppe von Abgeordneten
Der Entwurf (20/13775) läuft auf eine Neuregelung von Paragraf 218 Strafgesetzbuch hinaus. Laut Gesetzentwurf soll der Abbruch einer Schwangerschaft nach Ende der zwölften Woche grundsätzlich rechtswidrig bleiben, jedoch wie nach bisheriger Rechtslage, bei Vorliegen einer medizinischen Indikation nach deren ärztlicher Feststellung bis zum Beginn der Geburt rechtmäßig sein. Die Initiatoren erläutern im Entwurf: „Aufgrund der praktischen Auswirkungen stellt die geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung, der persönlichen Integrität und der körperlichen Autonomie Schwangerer dar und kann ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit Schaden zufügen
Ziel dieses Gesetzentwurfs ist es, Regelungen über den Schwangerschaftsabbruch widerspruchsfrei so in die Gesamtrechtsordnung zu integrieren, dass die grundrechtlichen Positionen in einen verhältnismäßigen Ausgleich gebracht werden. Das erfordert die Akzeptanz eigenverantwortlicher Entscheidungen Schwangerer über die Schwangerschaft jedenfalls in den ersten Wochen der Schwangerschaft. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht zugunsten von Embryonen und Feten steht einem solchen Konzept nicht entgegen. Die Schutzpflicht adressiert den Staat, nicht die Schwangere. Die Grundrechte der Schwangeren setzen staatlichem Handeln Grenzen.“
Antrag einer Gruppe von Abgeordneten
Eine Studie, die durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert und im April veröffentlicht wurde, habe gezeigt, dass fast 60 Prozent der befragten Frauen, die eine ungewollte Schwangerschaft abbrechen, Schwierigkeiten haben, den Schwangerschaftsabbruch zu organisieren, insbesondere weil sie den Schwangerschaftsabbruch geheim halten wollen oder müssen, heißt es in dem Antrag (20/13776). Fast 60 Prozent der Befragten hätten demnach Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Informationen, zitiert der Antrag die Studienergebnisse weiter.
Die Abgeordneten fordern von der Bundesregierung unter anderem, sicherzustellen, dass Schwangerschaftsabbrüche kostendeckend durch die Krankenkassen finanziert werden und Teil des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen werden. Den Krankenkassen müsse möglichst gleichzeitig ermöglicht werden, Verhütungsmittel als Satzungsleistung zu erstatten und für eine Kostenübernahme bei Geringverdienenden zu sorgen. Ebenfalls möglichst gleichzeitig soll der Zugang zu nicht verschreibungspflichtigen Notfallkontrazeptiva wie der sogenannten Pille danach gewährleistet werden. Auch sollen mehr Forschungsmittel für Verhütungsmittel für alle Geschlechter, gerade auch für Männer, im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel zur Verfügung gestellt werden. (scr/che/hau/05.12.2024)