Kontroverse um eine Mindestspeicherung von IP-Adressen
Um die Mindestspeicherung von IP-Adressen im Interesse einer verbesserten Verbrechensaufklärung ging es in einer Bundestagsdebatte am Donnerstag, 5. Dezember 2024. Den Abgeordneten lag ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion „zur Verbesserung der Verbrechensaufklärung – Einführung einer Mindestspeicherung von IP-Adressen und Wiederherstellung der Funkzellenabfragemöglichkeit“ (20/13366) vor, der im Anschluss an die knapp 70-minütige Debatte an die Ausschüsse überwiesen wurde. Bei den weiteren Beratungen übernimmt der Rechtsausschuss die Federführung. Dies gilt auch für den Gesetzentwurf der FDP-Fraktion „zur Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung“ (20/14022).
Schließlich wurde auch der Gesetzentwurf des Bundesrates „zur Einführung einer Mindestspeicherung von IP-Adressen für die Bekämpfung schwerer Kriminalität“ (20/13748) in erster Lesung beraten und danach dem federführenden Rechtsausschuss überwiesen.
Ministerpräsident: Mindestspeicherung gesetzlich verankern
Der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) kritisierte eingangs der Debatte scharf, dass Deutschland seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 20. September 2022, das das Speichern von IP-Adressen bei der Kriminalitätsbekämpfung für zulässig erklärt hat, keine Rechtsgrundlage für die Speicherung von IP-Adressen geschaffen habe. Dies sei ein „Offenbarungseid“.
Rhein führte an, dass seit der Entscheidung im Jahr 2022 rund 40.000 Verfahren im Bereich der Kinderpornografie ins Leere liefen, weil die Ermittler in Deutschland keine Möglichkeit hätten, die Täter zu identifizieren. „Abscheuliche und feige Täter“ könnten ungehindert weitermachen, warnte er. Besonders erschütternd sei, dass die Opfer teils erst wenige Monate alt seien.
Rhein forderte eine gesetzlich verankerte Mindestspeicherung von IP-Adressen. Diese sei alternativlos, da die IP-Adresse oft der einzige Anhaltspunkt sei, um Täter zu ermitteln. Der Vorschlag eines Quick-Freeze-Verfahrens – das Einfrieren von bereits vorhandenen Daten – sei hingegen „Etikettenschwindel“ und habe keinen Nutzen. Rhein warnte, dass ohne Mindestspeicherung „systematische Straflosigkeit“ drohe.
SPD: Kinderpornografische Kriminalität pandemisch
Sebastian Fiedler von der SPD schloss sich der Kritik an und beschrieb das Ausmaß der kinderpornografischen Kriminalität als „pandemisch“. Fiedler appellierte an die Abgeordneten, mit einer großen Ernsthaftigkeit und „hart an der Sache orientiert ohne ideologische Verblendung“ über das Thema zu diskutieren, damit eine gemeinsame Lösung gefunden werden kann, wie die wichtige Arbeit der Strafverfolgungsbehörden unterstützt werden könne.
Ähnlich wie Rhein erklärte Fiedler: Nach Schätzungen hätten seit dem EuGH-Urteil vom 20. September 2022 Ermittler in rund 38.000 Verdachtsfällen auf IP-Daten zugreifen können, wenn eine Mindestspeicherfrist gesetzlich verankert gewesen wäre. Wie lange IP-Daten gespeichert werden sollten – ob drei oder einen Monat – sei diskutabel, so Fiedler.
Entscheidend sei, dass endlich gehandelt werde. Zudem appellierte Fiedler an die Abgeordneten: „Hören Sie doch alle auf die dritte Staatsgewalt.“ Schließlich habe nicht nur der Europäische Gerichtshof bereits bei allgemeiner Kriminalität die Speicherung von IP-Adressen erlaubt, auch der Deutsche Richterbund habe dazu aufgefordert, dass eine Speicherung der IP-Adressen nötig sei.
FDP setzt auf „Quick-Freeze“-Verfahren
Dr. Thorsten Lieb (FDP) warnte vor einer voreiligen Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Denn diese stelle „einen schweren Eingriff“ laut Artikel 7 und 8 der Grundrechtecharta dar, verletze die Rechte unschuldiger Bürger und sei daher nur in eng umgrenzten Fällen zulässig. Die FDP setze stattdessen auf das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren, das rechtssicher und europarechtskonform sei. Dieses neue Ermittlungsinstrument ermögliche nicht nur die Sicherung vorhandener und zukünftiger Daten im konkreten Verdachtsfall, sondern stehe auch im Einklang mit der Budapest-Konvention des Europarates.
Lieb kritisierte die „verkürzten Botschaften“ anderer Fraktionen, die im Wahlkampfmodus einseitige Forderungen stellten, ohne die rechtlichen und praktischen Probleme zu berücksichtigen. Auch beanstandete er, dass es seit zwanzig Jahren an einem rechtssicheren Mittel fehle, um Ermittlern Zugang zu digitalen Beweisen zu verschaffen.
Grüne: Vorratsdatenspeicherung trifft alle Bürger
Helge Limburg (Bündnis 90/Die Grünen) wies darauf hin, dass der Rechtsstaat auf dem Verhältnismäßigkeitsprinzip beruhe. Die Vorratsdatenspeicherung, wie sie die Union fordert, würde nicht nur Täter treffen, sondern alle Bürger, darunter auch Kinder, kritisierte der Abgeordnete. Außerdem erinnerte er an mehrere Urteile des Bundesverfassungsgerichts, darunter aus dem Jahr 2010, das eine von SPD und Union eingeführte Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2007 für verfassungswidrig erklärt hatte. Statt allein auf die Speicherung von IP-Adressen zu setzen, müsse die Prävention von Kinderpornografie gestärkt und andere Ermittlungsinstrumente verbessert werden.
Kritik äußerte Limburg auch an Boris Rhein, da er einer derjenigen gewesen sei, der im Bundesrat das Sicherheitspaket „blockiert und verhindert“ habe. Das Sicherheitspaket habe genau solche erweiterten Befugnisse für die Sicherheitsbehörden vorgesehen, wie Rhein sie jetzt einfordere.
AfD gegen „flächendeckende Datenspeicherung“
Ablehnend gegenüber der Vorratsdatenspeicherung äußerte sich auch Stephan Brandner (AfD). Er warf der Union vor, Kinderpornografie als „Vorwand“ zu nutzen, um einen „perfekten Überwachungsstaat“ zu schaffen. Brandner verglich die Vorschläge der Union mit den dystopischen Zuständen aus George Orwells Roman „1984“. Er machte deutlich, dass die AfD es nicht unterstützen würde, den Bürger zu bespitzeln und die Opposition „mundtot zu machen“.
Natürlich müsse Kinderpornografie bekämpft werden, erklärte Brandner. Das dürfe aber nicht auf Kosten der unschuldigen Bürger geschehen. Die AfD stehe für die Freiheit im Internet und lehne die flächendeckende Datenspeicherung daher strikt ab, so der Abgeordnete.
Gesetzentwurf der Union
Der Entwurf sieht die Einführung einer Mindestspeicherung von IP-Adressen und die Wiederherstellung der Funkzellenabfragemöglichkeit vor. IP steht für „Internet Protocol“. Mit dem Gesetz sollen laut Entwurf die EU-rechtswidrigen nationalen Regelungen der Vorratsdatenspeicherung in den Paragrafen 175 und176 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts angepasst und auf eine dreimonatige Speicherung von IP-Adressen samt eventuell vergebener Port-Nummern zum Zwecke der Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit begrenzt werden. Eine weitergehende und eingriffsintensivere Verpflichtung zur zusätzlichen Mindestspeicherung von Standortdaten bei mobiler Internetnutzung sei nicht vorgesehen.
Zur Begründung heißt es in dem Entwurf, bei Straftaten, die mittels Internet vorbereitet oder begangen werden, stelle die IP- Adresse des Täters häufig den einzigen, immer aber den ersten, effizientesten und schnellsten Ermittlungsansatz für die Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden dar. Ohne die Zuordnung der IP-Adresse zu einem Anschlussinhaber liefen die Ermittlungen oft ins Leere, wenn keine anderen Spuren vorhanden seien.
Bezug auf EuGH-Urteil
Der EuGH habe nunmehr in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung ausdrücklich festgestellt, so der Entwurf weiter, dass nicht jede allgemeine und unterschiedslose Speicherung von IP-Adressen zwangsläufig einen schweren Eingriff in Grundrechte darstellt. Eine gesetzliche Pflicht zur allgemeinen und unterschiedslosen Speicherung von IP-Adressen sehe der EuGH nunmehr als verhältnismäßig an, wenn durch die Modalitäten der Speicherung ausgeschlossen ist, dass aus den IP-Adressen „genaue Schlüsse auf das Privatleben der Personen“ gezogen werden können.
Um dies sicherzustellen, müsse durch klare und präzise Rechtsvorschriften „eine wirksame strikte Trennung der verschiedenen Kategorien auf Vorrat gespeicherter Daten gewährleistet“ sein. Ziel des Gesetzes sei es daher, im Rahmen der Rechtsprechung des EuGH, des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts eine EU-rechtskonforme und rechtssichere Mindestspeicherung von IP-Adressen und eventuell vergebenen Port-Nummern bei Telekommunikationsunternehmen einzuführen, um den Strafverfolgungs- und Gefahrenabwehrbehörden zum Zwecke der Bekämpfung schwerer Kriminalität den Zugriff darauf zu ermöglichen.
Gesetzentwurf des Bundesrates
Die Länderkammer will die nationalen Regelungen der Vorratsdatenspeicherung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, des Bundesverfassungsgerichts sowie des Bundesverwaltungsgerichts anpassen und auf eine einmonatige, statt wie die von der Union geforderte dreimonatige Speicherung von IP-Adressen samt eventuell vergebener Port-Nummern begrenzen. Eine weitergehende und eingriffsintensivere Verpflichtung zur zusätzlichen Mindestspeicherung von Standortdaten bei mobiler Internetnutzung sei nicht vorgesehen. Auch auf eine anlasslose Speicherung zum Zwecke der Gefahrenabwehr werde verzichtet.
Wie es in dem Entwurf heißt, stellt die IP-Adresse des Täters bei Straftaten, die mittels Internet begangen werden, häufig den einzigen, immer aber den ersten, effizientesten und schnellsten Ermittlungsansatz für die Strafverfolgungsbehörden dar. Ohne die Zuordnung der IP-Adresse zu einem Anschlussinhaber liefen die Ermittlungen oft ins Leere, wenn keine anderen Spuren vorhanden seien.
Regelung zur verbindlichen Speicherung
Um diese Zuordnung sicher zu ermöglichen, bedürfe es einer Regelung zur verbindlichen Speicherung von IP-Adressen durch die Internetzugangsanbieter, die die Spielräume nutzt, die der EuGH in seinem Urteil vom 20. September 2022 für die Verkehrsdatenspeicherung eröffnet habe. Infolge dieses Urteils habe das Bundesverfassungsgericht mit Beschlüssen vom 14. Februar 2023 zwar mehrere Verfassungsbeschwerden gegen nationale Regelungen der Vorratsdatenspeicherung mangels Rechtsschutzbedürfnis nicht zur Entscheidung angenommen, aber gleichwohl festgestellt, dass die Paragrafen 175 und 176 des Telekommunikationsgesetzes dem EU-Recht widersprächen und deshalb innerstaatlich nicht mehr angewendet werden dürften.
Auch das BVerwG habe infolge des Urteils des EuGH am 14. August 2023 entschieden, dass die nationalen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten in den beiden Paragrafen EU-rechtswidrig seien und wegen des Anwendungsvorrangs des EU-Recht nicht angewendet werden dürften. Die beiden Paragrafen in ihrer derzeitigen EU-rechtswidrigen Fassung seien daher zwingend zu ändern und an die Rechtsprechung des EuGH anzupassen.
Gesetzentwurf der FDP
Die FDP-Fraktion hat den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung“ (20/14022) eingebracht. Damit will die Fraktion die sogenannte „Quick Freeze“-Regelung umsetzen, die von der ehemaligen Ampelkoalition diskutiert worden war, aber nie über den Status eines Referentenentwurfs hinauskam. Mit dem Entwurf wenden sich die Liberalen zudem gegen „eine Neuauflage der allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung aller Verkehrsdaten“. Dies sei aufgrund der höchstrichterlichen Vorgaben rechtlich nicht möglich.
Konkret sieht der Entwurf vor, den Paragrafen 100g Absatz 6 der Strafprozessordnung neu zu fassen. Dort soll nach Willen der Fraktion „das Ermittlungsinstrument einer Sicherungsanordnung bereits vorhandener und künftig anfallender Verkehrsdaten“ eingeführt werden. „Deren Sicherung soll anlassbezogen zur Verfolgung von erheblichen Straftaten zulässig sein, soweit die Verkehrsdaten für die Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsorts eines Beschuldigten von Bedeutung sein können“, heißt es weiter.
Der Anordnung muss demnach grundsätzlich ein Richter zustimmen. „Damit wird die Menge der zu speichernden Daten auf das notwendige Maß begrenzt, da nur die bei den Anbietern von Telekommunikationsdiensten für betriebliche Zwecke ohnehin bereits vorhandenen und künftig anfallenden Verkehrsdaten gesichert werden dürfen (,Einfrieren'). Diese Daten stehen den Strafverfolgungsbehörden für eine begrenzte Zeit für eine spätere Erhebung und Auswertung zur Verfügung, die einer erneuten richterlichen Anordnung bedarf (,Auftauen')“, heißt es weiter. (cha/mwo/scr/hau/05.12.2024)