Parlament

Bundestag stimmt mit breiter Mehrheit für Antrag gegen Judenhass

Der Bundestag hat sich am Donnerstag, 7. November 2024, mit einem interfraktionellen Antrag für ein entschlossenes Handeln gegen Antisemitismus in Deutschland befasst. Die Vorlage von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP trägt den Titel „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ (20/13627) und wurde im Anschluss an die rund eineinhalbstündige Aussprache mit den Stimmen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, CDU/CSU und AfD gegen die Stimmen der Gruppe BSW und bei Enthaltung der Gruppe Die Linke angenommen. 

Zur Abstimmung standen außerdem zwei Änderungsanträge, die die Gruppe Die Linke (20/13653) und die Gruppe BSW (20/13654) zu der interfraktionellen Vorlage eingebracht haben. Der Änderungsantrag der Gruppe Die Linke wurde mit Stimmen der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, CDU/CSU und AFD gegen die Stimmen die Gruppen Die Linke und BSW abgelehnt. Auch der Antrag der Gruppe BSW wurde gegen Stimmen des BSW und einzelnen Enthaltungen aus der Gruppe Die Linke abgelehnt.

SPD: Wichtiges Signal der Gemeinsamkeit

Dirk Wiese (SPD) betonte in der Debatte die Wichtigkeit, dass der Bundestag trotz der aktuellen politischen Entwicklung des Endes der Ampel-Regierung und trotz aller Meinungsverschiedenheiten dieses „Signal der Gemeinsamkeit“ so kurz vor dem 9. November sendet. 

„Was wir in den vergangenen Monaten gesehen haben, muss uns ernste Sorgen bereiten. Dass Menschen jüdischen Glaubens überlegen, Deutschland zu verlassen, muss uns beschämen“, sagte er. „Dieser Antrag kann nicht alle Probleme lösen und soll auch nicht die Diskussionen beenden, aber er soll ein Zeichen an alle Menschen jüdischen Glaubens senden, die in Deutschland friedlich leben wollen.“

CDU/CSU: Das Leid der Shoah darf nie vergessen werden

Andrea Lindholz (CDU/CSU) erinnerte zu Beginn ihrer Rede an das Leid der Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus: „Dieses Leid ist bis heute unvergessen, und es muss auch in Zukunft unvergessen bleiben! Es ist unsere Aufgabe, Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen zu bekämpfen!“ Sie betonte: „Wer in unser Land kommt, muss das Existenzrecht Israels akzeptieren oder er muss das Land verlassen!“

Lindholz erneuerte außerdem die Rücktrittsforderung der Unionsfraktion an Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özoğuz (SPD), der kürzlich wegen eines Social-Media-Posts zum Gaza-Krieg Antisemitismus vorgeworfen worden war und für den sie sich bereits entschuldigt hatte. Lindholz sagte dennoch: „Es ist unerhört, dass sie immer noch an ihrem Amt festhält.“

Grüne: Jubel über Hamas-Terror klar antisemitisch

Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) sagte: „Der aktuelle Antisemitismus hat eine enorme Bandbreite, er kommt von ganz rechts und geht bis ganz links, er kommt aber auch, wie schon 1938, aus der Mitte der Gesellschaft.“ Er beruhe auf der Zuwanderung aus Ländern, in denen Antisemitismus staatlich indoktriniert werde: „Wenn die barbarischen Anschläge vom 7. Oktober 2023 offen bejubelt werden, wenn Vernichtungsfantasien gegenüber Israel unverhohlen geäußert werden, wenn darüber gesprochen wird, Jüdinnen und Juden ins Meer zu treiben, dann ist das glasklar antisemitisch, es ist menschenverachtend und abstoßend.“ 

Wie schon zuvor Andrea Lindholz, so verteidigte auch von Notz den Bezug auf die IHRA-Antisemitismus-Definition. Diese mache Israelkritik keineswegs unmöglich, das könne man täglich in den Medien beobachten.

AfD: Mehr staatliche Beauftragte lösen nicht das Problem

Jürgen Braun (AfD) warf der Regierung vor, deutsch- und israelfeindlich zu agieren. In dem Antrag zu behaupten, jüdisches Leben sei ein integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft, sei naiv. „Wie kann es selbstverständlich sein, wenn Juden sich nicht mehr zu erkennen geben können?“, fragte er. 

Die Antwort der Ampel darauf seien noch mehr Antisemitismus- und Islambeauftragte an staatlichen Institutionen, die aber oft selbst Teil des Problems seien, so Braun. Er kritisierte ebenfalls Aydan Özoğuz und betonte, ohne Zionismus gäbe es keinen Staat Israel.

FDP: Die Diskussion kann nicht bequem sein

Konstantin Kuhle (FDP) betonte, er habe sich „über manche Wortmeldung in den letzten Tagen gewundert“. Er bezog sich dabei auf die Kritik und einen offenen Brief von Wissenschaftlern und Künstlern, die aufgrund der im Antrag benutzten Antisemitismus-Definition der IHRA eine Einschränkung der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit befürchten.

„Hinter dem Vorwurf steckt ein fundamentales Missverständnis, denn diese Resolution der Fraktionen soll die Diskussion über Antisemitismus fördern und nicht beenden, sie soll das Thema nicht abhaken.“ Diese Auseinandersetzung könne nicht bequem sein. 

Linke: Antrag kann jüdisches Leben nicht wirksam schützen

Dr. Gregor Gysi (Gruppe Die Linke) betonte, das Existenzrecht Israels sei aus gutem Grund deutsche Staatsräson. Zugleich wies er darauf hin: „Es gibt kein sicheres Israel ohne ein sicheres und souveränes Palästina. Die Kritik an der israelischen Regierung muss erlaubt sein und hat mit Antisemitismus nichts zu tun, wenn sich nicht dahinter eine Ablehnung des Judentums verbirgt.“ 

Der vorliegende Antrag sei „nicht gut“, weil er unterschiedliches jüdisches Leben in Deutschland „nicht wirksam schützt und weil viele eine Einschränkung der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit befürchten“.

BSW: Umstrittene Definition soll staatlich postuliert werden

Sevim Dağdelen (Gruppe BSW) kritisierte den Antrag, denn dieser erweise dem Kampf gegen Antisemitismus einen „Bärendienst“. Denn: „Sie wollen eine wissenschaftlich umstrittene Antisemitismus-Definition staatlich postulieren. Und auch die Kritik an der zum Teil rechtsextremen israelischen Regierung Netanjahu wird so unter den Verdacht des Antisemitismus gestellt.“ 

Dies sei ein Angriff auf Grundgesetz und Völkerrecht, und das könnten Demokraten nicht akzeptieren, so Dağdelen.

Antrag der vier Fraktionen

Im gemeinsamen Antrag der vier Fraktionen heißt es: „Mit dem vorliegenden Antrag unterstreichen wir, dass die Bekämpfung des Antisemitismus die gemeinsame Aufgabe aller Demokratinnen und Demokraten darstellt. Deutschland trägt vor dem Hintergrund der Shoah, der Entrechtung und der Ermordung von sechs Millionen europäischer Jüdinnen und Juden, eine besondere Verantwortung im Kampf gegen Antisemitismus. Wir müssen auf Antisemitismus hinweisen, vor ihm warnen und laut und sichtbar gegen ihn eintreten.“

Der Deutsche Bundestag sei dankbar, dass es nach der nationalsozialistischen Diktatur und trotz der Shoah wieder jüdisches Leben und jüdische Kultur in Deutschland gebe. Ihre Existenz sei eine „Bereicherung unserer Gesellschaft“ und angesichts unserer Geschichte eine „besondere Vertrauenserklärung“ gegenüber unserer Demokratie und unserem Rechtsstaat, betonen die Abgeordneten.

Antisemitische Angriffe und Übergriffe verurteilt

Die Fraktionen verurteilen darin auch den Terrorangriff der Hamas vom Oktober 2023 und verweisen auf die in der Folge gestiegenen antisemitischen Übergriffe, Demonstrationen und Straftaten. „All dies führt zu einer massiven Verunsicherung unter Jüdinnen und Juden in Deutschland. Der Bundestag verurteilt antisemitische Angriffe und Übergriffe auf das Schärfste. Jede einzelne Attacke ist zugleich ein Angriff auf die Werte und Grundsätze, auf denen unser Zusammenleben und unsere Demokratie fußen“, heißt es in dem Antrag weiter.

Die Bundesregierung wird aufgefordert, jüdisches Leben in Deutschland zu stärken, unter anderem durch das Wachhalten der Erinnerung an die Shoah und die Förderung der Gedenkstätten und der durch sie stattfindenden Bildungsarbeit. Der Bundestag bekräftige seinen Beschluss, sicherzustellen, dass keine Organisationen und Projekte finanziell gefördert werden, die Antisemitismus verbreiten, das Existenzrecht Israels in Frage stellen, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen, betonen die Fraktionen. 

„Verbot der BDS-Bewegung prüfen“

Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf Beschlüsse von Bundesregierung und Bundestag, die die Arbeitsdefinition der IHRA (Internationale Allianz zum Holocaustgedenken) von Antisemitismus als maßgeblich heranziehen. Die Regierung müsse nun dafür sorgen, dass diese Definition auch in Ländern und Kommunen zur Grundlage für entsprechende Regelungen werde. Außerdem schlagen die Abgeordneten vor, ein Betätigungsverbot oder Organisationsverbot der BDS-Bewegung, die zum Boykott israelischer Produkte aufruft, in Deutschland zu prüfen. 

Ferner wird auf das hohe Gut der Meinungsfreiheit in Kunst und Kultur verwiesen; dennoch dürfte es auch dort keinen Raum für Antisemitismus geben. Die jüngsten Antisemitismusskandale auf der documenta und der Berlinale müssten umfassend aufgearbeitet werden, fordert der Antrag. Bund, Länder und Kommunen müssten rechtssichere Regelungen erarbeiten, die sicherstellen, dass keine Projekte und Vorhaben insbesondere mit antisemitischen Zielen und Inhalten gefördert werden. Kunst- und Kulturveranstaltungen sowie -einrichtungen sollten gemeinsam mit Experten antisemitismuskritische Codes of Conduct und Awareness-Strategien als Leitfaden ihres Handelns anwenden.

Auch an den Hochschulen müsse die Freiheit des Denkens gewährleistet werden, heißt es im Antrag weiter. Dennoch müssten die Länder, auch durch eine Überprüfung ihrer Hochschulgesetze, sicherstellen, dass Universitäten sichere Orte für Studierende sind, verlangen die Fraktionen.

Bekenntnis zur Existenz des Staates Israels

Der Antrag enthält außerdem das klare Bekenntnis, dass die Existenz und die legitimen Sicherheitsinteressen des Staates Israel „ein zentrales Prinzip der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik“ sind und bleiben sollen. Die Bundesrepublik müsse aber „die Anstrengungen für eine verhandelte Zwei-Staaten-Lösung verstärken, im international geteilten Einvernehmen, dass dies die beste Chance für eine tragfähige Friedenslösung bietet, mit dem Ziel, die wiederkehrende Gewalt zu beenden und den Menschen auf der israelischen und palästinensischen Seite ein Leben in Sicherheit, Freiheit, Würde und mit gleichen Rechten zu ermöglichen“. 

Die Fraktionen betonen in diesem Zusammenhang: „Israel hat das völkerrechtlich verbriefte Recht, sich gegen völkerrechtswidrige Angriffe zu verteidigen und damit die anerkannte Pflicht, seine Bürger unter Wahrung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen vor Terror zu schützen.“ (irs/che/07.11.2024)