Parlament

Jugend und Parlament: Vom Planspiel zur Realität

Für vier Tage schlüpften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Jugend und Parlament in die Rolle von Bundestagsabgeordneten. Zum Ende der Simulation hatten sie die Gelegenheit, das Erlebte einem Realitäts-Check zu unterziehen: Abgeordnete aller Bundestagsfraktionen stellten sich ihren Fragen und gaben Einblicke in den eigenen Arbeitsalltag.

Im Plenarsaal des Bundestages herrscht an diesem Dienstag, 15. Oktober 2024, geschäftiges Treiben. Doch die Leute, die auf den blauen Stühlen sitzen oder zwischen den Reihen stehen und sich lebhaft unterhalten, sind keine Abgeordneten, sondern Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Planspiels Jugend und Parlament. Nach vier Tagen in Berlin, in denen die jungen Leute zwischen 17 und 20 Jahren in die Rollen fiktiver Abgeordneter geschlüpft sind, eine Koalition und eine Opposition gebildet haben, Gesetzentwürfe und Änderungsanträge erarbeitet und schließlich auch im Plenum diskutiert haben, bekommen sie jetzt die Gelegenheit, „echte“ Bundestagsabgeordnete zu befragen.

Nach und nach kommen auch die Podiumsgäste in den Plenarsaal: Dr. Rolf Mützenich (SPD), Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU), Dr. Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen), Ria Schröder (FDP), Dr. Alice Weidel (AfD), Dorothee Bär (CDU/CSU), Heidi Reichinnek (Gruppe Die Linke) und Klaus Ernst (Gruppe BSW). Die Teilnehmer nutzen die Gelegenheit, ein paar Fotos zu machen und schon ein paar Fragen im direkten Austausch loszuwerden.

Der Moderator Markus Preiß, Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, möchte zu Beginn von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Planspiels wissen: „Wer kann sich vorstellen, Politiker zu werden?“ Ein Großteil der mehr als 300 jungen Leute reißt die Hände nach oben. Nun haben sie die Gelegenheit, den Alltag eines fiktiven Mandatsträgers, wie sie ihn an den vergangenen vier Tagen gelebt haben, mit der Realität abzugleichen.

Kompromisse und Konflikte 

Vor allem in den ersten Fraktionssitzungen des Planspiels gab es, so berichten die Teilnehmer, viele Meinungsverschiedenheiten. Deswegen wollten sie von den Abgeordneten wissen, wie man mit fraktionsinternen Streitigkeiten umgeht. Dr. Rolf Mützenich berichtet, dass ein Großteil seiner Arbeit als Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion aus dem Management von Konflikten besteht. 

Nicht nur die Konflikte und deren Lösung innerhalb einer Fraktion interessieren viele der Teilnehmer nach dem Planspiel. Sie alle beschäftigt die Frage, wie zufriedenstellende Kompromisse in der politischen Arbeit gefunden werden können. Dr. Henrik Hoppenstedt gibt zu, dass manchmal fünf Lösungsmöglichkeiten auf dem Tisch liegen, von denen einen selbst unter Umständen keine komplett überzeugt. „Aber das ist das Anstrengende und Schöne an der Demokratie: Man muss sich bemühen, Mehrheiten zu finden“, so Hoppenstedt. 

Auch Dr. Irene Mihalic betont: „Der Kompromiss ist das Wesen der Demokratie.“ Natürlich sei es umso schwieriger, Kompromisse zu finden, je mehr Fraktionen zum Beispiel an einer Koalition beteiligt seien, da es so umso mehr unterschiedliche Positionen zu vereinbaren gelte. 

Für Heidi Reichinnek ist als Oppositionspolitikerin klar: „Ohne Kompromisse funktioniert es nicht. Als Opposition hat man den Vorteil, dass man mit der eigenen Maximalforderung in die Verhandlung geht. Aber man darf nicht nur meckern, sondern muss auch Vorschläge machen, wie man es besser machen will.“ 

Klaus Ernst erklärt, dass es aber wichtig sei, dass der inhaltliche Kern einer Partei in einem Kompromiss sichtbar sein müsse. Ansonsten dürfe man diesen Kompromiss nicht eingehen, um den Willen der Bevölkerung, die diese Partei gewählt hat, nicht zu übergehen.

Neue Gesichter und respektvolles Miteinander

Neben weiteren Fragen wie zur Bedeutung von Landesgruppen innerhalb der Fraktionen oder zum zeitlichen Rahmen bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen interessieren sich die jungen Leute auch für Persönliches: Wie war es für die Abgeordneten, als sie im Bundestag angefangen haben und vielleicht niemanden kannten? Und wie gehen sie mit dem erstarkenden Hass gegen Politikerinnen und Politiker um?

Ria Schröder, die seit 2021 Mitglied des Bundestages ist, sagt, sie habe gelernt, die eigenen Erwartungen und Vorurteile an Vertreterinnen und Vertreter anderer Parteien beiseite zu legen. Dies habe ihr an ihren ersten Tagen und Wochen im Parlament geholfen, um anzukommen und sich zu vernetzen. Über Fraktionsgrenzen hinweg äußerten sich die Bundestagsabgeordneten zu einer Frage zum Umgang mit Hass gegen Politikerinnen und Politiker. 

Dr. Alice Weidel, Vorsitzende der AfD-Fraktion, betont: „Man sollte sich eine Prise Resilienz und Gelassenheit antrainieren. Es gibt Auseinandersetzungen, in denen man etwas abbekommt. Aber gleichzeitig haben wir als Opposition die Aufgabe zu kritisieren und den Finger in die Wunde zu legen.“ Sie appelliert an alle Anwesenden, sich gegenseitig zuzuhören und an gemeinsamen Lösungen zu arbeiten. 

Dr. Hendrik Hoppenstedt befürwortete diesen Appell und plädierte an alle Angehörigen des Parlamentes, nicht immer auf persönliche Attacken zurückzugreifen: „Der Ton spielt die Musik, und hat auch außerhalb des Plenarsaales eine Resonanz.“

Die politische Work-Life-Balance 

Zum Schluss der Podiumsdiskussion möchten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wissen, wie die Abgeordneten am Ende des Plenartages Abstand vom politischen Geschehen bekommen und wie sie eigentlich mit so wenig Schlaf umgehen. Dorothee Bär erklärt, sie bemühe sich, jeden Tag 10.000 Schritte zu machen, egal ob in Berlin oder im eigenen Wahlkreis, und auch die eigene Familie schaffe Abhilfe und Distanz von den Debatten im Plenarsaal. 

Heidi Reichinnek hingegen gibt zu, dass es ihr schwer falle, während der Sitzungswochen runterzufahren und wirklich mal zu entspannen: „Ich lese gerne Fantasybücher und höre Metal, und auch mich mit Freundinnen und Freunden zu verabreden, hilft, um Abstand zu bekommen.“ Von einem Feierabend könne aber, besonders an Donnerstagen, so Dr. Irene Mihalic, kaum die Rede sein. Die Tage und Wochen in Berlin seien sehr lang, Sport und frische Luft würden aber immer helfen. 

Politiker, das sei ein anstrengender Job, zuweilen sogar ein sehr einsamer, resümiert Rolf Mützenich. Doch wie viele Jugendliche sich bei Jugend und Parlament engagierten und den Plenarsaal in den vergangenen Tagen mit Leben erfüllten, erfülle ihn mit Freude und Optimismus für die Zukunft. 

Als Mandatsträgerin im Deutschen Bundestag zu sitzen, beschreibt Dr. Irene Mihalic als unglaubliches Privileg, das ihr erlaube, sich jeden Tag für das Gemeinwesen einzusetzen. Um die Arbeitsbelastung auszuhalten, brauche man aber auch ein gutes Umfeld und viel Unterstützung. 

Auch Ria Schröder stimmt ihr zu: „Politik ist ein hartes Pflaster und verlangt viel von einem ab. Es macht aber auch viel Spaß.“ Es liege unter anderem an den Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „Jugend und Parlament“, die in die Politik gehen wollten, sicherzustellen, dass die Politik ein Feld bleibe, in dem man mit engagierten Leute und Freunden zusammenarbeiten könne. (mm/15.10.2024)