Regelungen zum Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz
Wesentliche Strukturmerkmale des Bundesverfassungsgerichts sollen im Grundgesetz festgeschrieben werden. Zudem soll für den Fall einer Blockade bei der Richterwahl ein Ersatzwahlmechanismus eingeführt werden. Das sehen zwei Gesetzentwürfe (20/12977, 20/12978) vor, die von den Fraktionen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie dem Abgeordneten Stefan Seidler eingebracht worden sind und am Donnerstag, 10. Oktober 2024, in erster Lesung beraten wurden. Nach knapp 70-minütiger Debatte sind die Vorlagen an den federführenden Rechtsausschuss überwiesen worden.
Minister: Bewährte Struktur im Verfassungstext abbilden
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) lobte eingangs der Debatte das Bundesverfassungsgericht. „Diese Institution hat sich um unsere Demokratie unglaublich verdient gemacht“, sagte Buschmann. Die Bedeutung dieses Gerichts stehe aber in einem „interessanten Widerspruch zu dem kleinen Raum, den die Regeln im Verfassungstext einnehmen“. Das sei aber leicht zu erklären, denn für die Mütter und Väter sei das Bundesverfassungsgericht ein Experiment gewesen, man wollte es dem Gesetzgeber ermöglichen, schnell nachregeln zu können. „Nach 75 Jahren können wir sagen: Dieses Experiment ist gelungen.“ Aus Dank und Respekt vor dem Erfolg des Gerichts solle nunmehr die „bewährte Struktur“ im Verfassungstext abgebildet werden, so Buschmann.
Der Justizminister machte aber auch deutlich, dass es bei den Änderungen um einen Schutz des Gerichts gehe. Erfahrungen in Mittel- und Osteuropa hätten gezeigt, welche „perfiden Taktiken“ es gebe, „Verfassungsgerichte an die Kette zu nehmen, an den Rand zu drängen, ihre Unabhängigkeit in Frage zu stellen“. Buschmann dankte den einbringenden Fraktionen für die intensiven Gespräche und Verhandlungen, die zu den Gesetzentwürfen geführt haben. Das sei „Parlamentarismus in seiner besten Form“ gewesen, so der Minister. „Das zeigt, wie viel in unserer demokratischen Kultur noch möglich ist.“
Union: Keine Selbstverständlichkeit
Für die CDU/CSU-Fraktion erinnerte Andrea Lindholz ebenfalls an die Frühgeschichte des Gerichts. Die Mütter und Väter hätten es dem Bundestag überlassen, die wesentlichen Regelungen zu treffen. Es sei damals noch „misstrauisch beäugt“ worden und habe seinen Status als Verfassungsorgan dann mit einer eigenen Statusdenkschrift gefestigt. Stellung, Rolle, Status und Aufgaben des Gerichts würden heute von keinem Demokraten mehr in Frage gestellt, allerdings zeige der Rückblick: „Der Status, den wir heute kennen und bewahren wollen, ist keine Selbstverständlichkeit“, so die Christsoziale. Mit den vorgeschlagenen Änderungen erhalte das Gericht nunmehr die „gleiche stabile Position“ wie auch andere Verfassungsorgane im Grundgesetz.
Lindholz betonte, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung unter Druck stehe. Diese Lage gelte es, politisch zu lösen. Es gelte aber auch, die Gefahr zu bewerten, dass „destruktive Elemente“ eine Sperrminorität nutzen könnten, um eine Richterwahl zu verhindern. Darum sehe die Änderung einen Ersatzwahlmechanismus vor, der in diesem Fall greifen soll.
SPD: Abwehrkräfte des Gerichts stärken
Für die SPD-Fraktion hob Dirk Wiese – wie auch andere Rednerinnen und Redner – den 75. Geburtstag des Grundgesetzes hervor. „Diese Verfassung, die wir haben, darauf können wir stolz sein“, sagte der Sozialdemokrat. Vor diesem Hintergrund – und dem Aufkommen von Kräften, die diese Republik in Frage stellten – sei es wichtig, sich die Frage zu stellen: „Was muss man tun, um die Abwehrkräfte des Bundesverfassungsgerichts zu stärken“?
Das Bundesverfassungsgericht genieße in der Bevölkerung das höchste Ansehen und habe zur „Stabilität des demokratischen Rechtsstaates“ beigetragen, lobte Wiese. Darum solle seine Arbeit nun im Grundgesetz geschützt werden. Dies sei auch mit Blick nach Thüringen wichtig, wo es jüngst bei der konstituierenden Sitzung des Landtags zu einem Eklat um den von der AfD-Fraktion gestellten Alterspräsidenten kam. „Antidemokraten greifen das System nicht von außen an, sondern sie gehen als erstes an die Institutionen und versuchen sie zu schwächen“, warnte Wiese.
AfD kritisiert Einschränkung der Minderheitenrechte
Für die AfD-Fraktion kritisierte Fabian Jacobi die Vorschläge und die einbringenden Fraktionen scharf. Die Übertragung der bewährten Regelungen aus dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz sei nicht von vornherein abwegig, aber nicht notwendig. Grund für die Änderung sei vielmehr die Neuerung bei der Richterwahl, die Jacobi kritisierte, da damit die Minderheitenrechte größerer Oppositionsfraktionen eingeschränkt würden.
Die antragstellenden Fraktionen mühten sich nach Kräften, „den Parlamentarismus in Deutschland zu demontieren“, meinte der AfD-Abgeordnete mit Verweis auf die vorgelegten Pläne, aber auch die Debatte um die Sitze im Präsidium sowie um die Ausschussvorsitze im Bundestag.
Grüne: Bundesverfassungsgericht besser schützen
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen betonte Dr. Till Steffen, dass die Erfahrungen in Polen und Ungarn zum Nachdenken geführt hätten. „Wir waren erschrocken, wie leicht man Gerichte mit einfachen Mehrheiten kapern kann.“ So sei in Polen 2015 innerhalb von 14 Tagen das Verfassungsgericht „politisch auf Linie“ gebracht worden – mit scheinbar harmlosen Maßnahmen, um die Arbeitsfähigkeit zu behindern, etwa zur Reihenfolge der Bearbeitung oder zum Quorum bei Entscheidungen. Deshalb müsse das Bundesverfassungsgericht besser geschützt werden.
Steffen warb dafür, auch die Vorschläge des Bundesrates im parlamentarischen Verfahren zu berücksichtigen. Die Länderkammer sprach sich in einer Entschließung jüngst dafür aus, dass Änderungen am Bundesverfassungsgerichtsgesetz zustimmungspflichtig sein sollten.
FDP: Ein echtes Bürgergericht
Für die FDP-Fraktion betonte Katrin Helling-Plahr ebenfalls die Bedeutung des Gerichts. Es sei ein „echtes Bürgergericht“. Es habe in seiner Geschichte „Unabhängigkeit und Mut“ gezeigt.
Es sei gut, dass sich eine „demokratische Allianz“ gefunden habe, die dem Bundesverfassungsgericht mit den Entwürfen zu der Stellung im Grundgesetz verhelfen wolle, „die ihm gebührt“.
Seidler: Richtige und gebotene Änderungen
Der fraktionslose Abgeordnete Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband, der Partei der dänischen und friesischen Minderheit in Deutschland, hatte die Gesetzentwürfe mit initiiert. Er sprach von richtigen und gebotenen Änderungen: „Denn sie werden es Demokratiefeinden schwerer machen.“
Das sei wichtig, weil die „Verächter unserer freiheitlichen Ordnung“ ihre Pläne nicht mehr versteckten, sagte Seidler.
Erster Gesetzentwurf der Fraktionen
„Aus dem Abstand von mittlerweile etwa 75 Jahren ist es angemessen, die den Status des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan prägenden Elemente im Grundgesetz selbst deutlicher sichtbar werden zu lassen, wie dies bei Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident und Bundesregierung bereits der Fall ist“, heißt es in dem Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes. Mit der Einführung eines Ersatzwahlmechanismus ist laut Begründung vorgesehen, die Funktionsfähigkeit des Bundesverfassungsgerichts für Situationen sicherzustellen, „in denen die für die Wahl der Richterinnen und Richter erforderliche Zweidrittelmehrheit in Bundestag [...] oder Bundesrat [...] absehbar nicht zustande kommt“.
Im Grundgesetz sollen laut dem ersten Entwurf (20/12977) die Artikel 93 und 94 geändert werden. In Artikel 93 soll künftig der Status als Verfassungsorgan und die Organisation des Bundesverfassungsgerichts verankert werden. Festgeschrieben werden soll unter anderem, dass das Gericht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern besteht. Ebenso sollen die Amtszeit von zwölf Jahren, die Altersgrenze der Richterinnen und Richter, das Wiederwahlverbot und die Geschäftsordnungsautonomie des Gerichts in dem Artikel normiert werden.
Artikel 94 regelt laut Entwurf künftig die Zuständigkeiten des Gerichts, die bisher in Artikel 93 geregelt sind. Zudem soll die Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts explizit im Grundgesetz festgeschrieben werden. Die Wahl der Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts soll laut Entwurf künftig in Artikel 93 (bisher: Artikel 94) grundgesetzlich geregelt werden. Die Richterinnen und Richter sollen weiterhin je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt werden. Neu aufgenommen werden soll ein Ersatzwahlmechanismus, der greifen soll, „wenn innerhalb einer zu bestimmenden Frist nach dem Ende der Amtszeit oder dem vorzeitigen Ausscheiden eines Richters eine Wahl seines Nachfolgers nicht zustande kommt“. Dann soll das Wahlrecht vom jeweils anderen Wahlorgan wahrgenommen werden. Die Details dazu sollen laut Entwurf per Bundesgesetz, also im Bundesverfassungsgerichtsgesetz, geregelt werden.
Zweiter Gesetzentwurf der Fraktionen
Genau das ist das Ziel des zweiten Entwurfs (20/12978). Der Entwurf sieht vor, in Paragraf 7a des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes in einem neuen Absatz 5 zu normieren, dass das jeweils andere Wahlorgan die Wahl übernehmen kann, wenn das eigentlich zuständige Wahlorgan innerhalb von drei Monaten nach Vorlage eines Wahlvorschlags durch das Plenum des Bundesverfassungsgerichts keine neue Richterin beziehungsweise keinen neuen Richter gewählt hat.
Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz sieht aktuell vor, dass das Plenum des Bundesverfassungsgerichts eigene Wahlvorschläge unterbreiten kann, wenn eine Richterwahl nicht innerhalb von zwei Monaten nach Ende der Amtszeit beziehungsweise dem vorzeitigen Ausscheiden eines Richters oder einer Richterin erfolgt ist. Voraussetzung ist zudem die Aufforderung durch das älteste Mitglied des Wahlausschusses des Bundestages beziehungsweise die Spitze des Bundesrates.
Änderung im Untersuchungsausschussgesetz notwendig
Weitere Änderungen im Bundesverfassungsgerichtsgesetz sind dem Entwurf zufolge erforderlich, um die durch den ersten Gesetzentwurf neu geordneten Artikel 93 und 94 des Grundgesetzes in korrekte rechtliche Beziehung zu setzen. Ebenso sei deswegen eine Änderung im Untersuchungsausschussgesetz notwendig. (scr/10.10.2024)