Mehr Rechtssicherheit bei der Bezahlung von Betriebsräten
Wer in einem Unternehmen zum Betriebsrat gewählt wird, übernimmt ein unentgeltliches Ehrenamt. Betriebsräte sind von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt, sie dürfen nicht weniger verdienen „als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung“. Sie dürfen „wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden“, wie es im Betriebsverfassungsgesetz heißt.
Die Bundesregierung will diese gesetzlichen Vorgaben nun weiter präzisieren. Ihren Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes (20/9469, 20/9875) hat der Bundestag am Freitag, 22. März 2024, erstmals beraten und im Anschluss zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung will diese gesetzlichen Vorgaben nun weiter präzisieren und hat dazu eine Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes (20/9469, 20/9875) in den Bundestag eingebracht, die am Freitag in erster Lesung beraten wurde. Anlass ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. Januar 2023 (Aktenzeichen: 6 StR 133/22), das in der Praxis zu Rechtsunsicherheiten und vermehrt zu präventiven Kürzungen von Betriebsratsvergütungen geführt hat. Laut BGH kann es den strafrechtlichen Tatbestand der Untreue erfüllen, wenn der Arbeitgeber gegen das Begünstigungsverbot verstößt. Dieser Verunsicherung will die Regierung nun mit der Gesetzesnovelle abhelfen.
Dazu ist vorgesehen, den Paragrafen 37 des Betriebsverfassungsgesetzes zu ergänzen, indem der Begriff „vergleichbarer Arbeitnehmer“ konkretisiert wird. Maßstab für die Entlohnung wie bei einem vergleichbaren Arbeitnehmer soll der Zeitpunkt sein, zu dem das Betriebsratsamt übernommen wurde, es sei denn, eine spätere Neubestimmung ist sachlich begründet. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen in einer Betriebsvereinbarung „vergleichbare Arbeitnehmer“ definieren können. Kommt eine solche Betriebsvereinbarung zustande, soll sie nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden können.
Ergänzt werden soll auch der Paragraf 78 durch den Hinweis, dass eine Begünstigung oder Benachteiligung im Hinblick auf das gezahlte Arbeitsentgelt nicht vorliegt, wenn das Betriebsratsmitglied die betrieblichen Anforderungen dafür erfüllt.
Minister: Betriebsräten den Rücken stärken
In der Debatte sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), der Gesetzentwurf sorge für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Er gehe auf Vorschläge einer von ihm eingesetzten Fachkommission zurück, nachdem unterschiedliche Rechtsprechungen von BGH und Bundesarbeitsgericht für Unsicherheit in den Betrieben gesorgt hätten.
Heil würdigte die Arbeit der mehr als 100.000 Betriebsräte in Deutschland: „Wer sich für Demokratie einsetzt, darf nicht der Dumme sein.“ Es gehe darum, den Betriebsräten den Rücken zu stärken. Es dürften ihnen keine beruflichen Nachteile durch das Amt entstehen, weil sonst nicht in ausreichender Zahl Betriebsräte gefunden würden.
SPD: Orientierung an vergleichbaren Beschäftigten
Vertreter der Koalition, der Union und der Linken unterstützten das Vorhaben. Für die SPD-Fraktion machte Jan Dieren deutlich, dass die Vergütung eines Betriebsrats sich nun an der Lohnentwicklung vergleichbarer Beschäftigter orientieren müsse. Sie dürften nach 20- oder 30-jähriger Betriebsratstätigkeit nicht immer noch dasselbe verdienen wie am Anfang ihrer Tätigkeit. Vielmehr müssten sie so vergütet werden, wie wenn es die Betriebsratstätigkeit nicht gegeben hätte.
Michael Gerdes (SPD) verwies darauf, dass als Folge der Rechtsunsicherheit nicht nur Vergütungen gekürzt, sondern sogar Rückzahlungsforderungen gegenüber Betriebsräten erhoben worden seien. Diese Rechtsunsicherheit müsse zügig beendet werden, sie sei keine gute Werbung für ein Betriebsratsmandat.
Grüne: Gesetzentwurf dringend und notwendig
Frank Bsirske (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, Kläger gegen eine Kürzung ihrer Vergütungen hätten Recht bekommen. Was beim Bundesarbeitsgericht noch als rechtmäßig gegolten habe, sei vom BGH unter den Untreue-Verdacht gestellt worden. Die Unsicherheit sei groß, es könne nicht sein, dass man aufgrund dessen mit einem Bein im Gefängnis stehe. Bsirske betonte, es werde ein umfassendes Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot normiert, das ausdrücklich die berufliche Entwicklung der Betriebsratsmitglieder umfasse.
Seine Fraktionskollegin Beate Müller-Gemmeke nannte den Gesetzentwurf „dringend und notwendig“, es gehe um Rechtssicherheit für Betriebsräte und Unternehmen. Die betriebliche Mitbestimmung sei ein hohes Gut. Die Themen der Betriebsräte seien vielfältig, die Anforderungen reichten vom juristischen Sachverstand bis zum psychologischen Feingefühl, etwa bei Fragen des Mobbings. Wenn Arbeitgeber und Betriebsräte eine Betriebsvereinbarung zur Vergütung beschlössen, sei dies transparent: „Wir brauchen handlungsfähige Betriebsräte.“
FDP betont Unabhängigkeit der Betriebsräte
Carl-Julius Cronenberg (FDP) hob die „innere und äußere Unabhängigkeit“ der Betriebsräte hervor. Nur so könne sichergestellt werden, dass Vereinbarungen nicht durch materielle Vorteile beeinflussbar sind. Der Gesetzentwurf werde getragen von der positiven Bewertung durch die Sozialpartner, was eine vertrauensvolle Zusammenarbeit möglich mache.
Aus Sicht seines Fraktionskollegen Pascal Kober darf der Umkehrschluss nicht lauten, dass es nur dort gute Arbeitsverhältnisse gibt, wo ein Betriebsrat existiert. Es gebe „Gute und Problematische“ auf beiden Seiten. Die deutsche Volkswirtschaft sei darauf angewiesen, dass Menschen Unternehmen gründen und ins Risiko gehen.
CDU/CSU vermisst Modernisierungsvorschläge
Zustimmung signalisierte auch Axel Knoerig (CDU/CSU), der allerdings Modernisierungsvorschläge der Bundesregierung vermisste, etwa im Hinblick auf Online-Betriebsversammlungen. Die betriebliche Mitbestimmung sei unverzichtbar für die Sozialpartnerschaft. Knoerig wunderte sich allerdings, weshalb der Minister so lange gebraucht habe, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen.
Für Maximilian Mörseburg (CDU/CSU) darf die Änderung der Regeln nicht dazu führen, dass die Unabhängigkeit der Betriebsräte eingeschränkt wird. Die Integrität des Ehrenamts müsse gewahrt werden. Sein Fraktionskollege Winfried Oellers sprach von einer „notwendigen gesetzgeberischen Korrektur“. Das Benachteiligungsverbot werde durch einen Mindestvergütungsanspruch ergänzt.
AfD: Vetternwirtschaft weiterhin möglich
Aus Sicht von Gerrit Huy (AfD) erinnerte an vergangene „Korruptionsaffären“ bei Volkswagen und Siemens. „Vetternwirtschaft“ sei nach wie vor möglich, die Staatsanwaltschaft dürfe nicht tätig werden. Auch bei „offensichtlicher Begünstigung“ von Betriebsräten sei nicht zu erwarten, dass Anzeige erstattet wird. Ob durch den Gesetzentwurf Rechtssicherheit erreicht hat, werde die Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales klären.
Susanne Ferschl (Gruppe Die Linke) begrüßte den Gesetzentwurf. Sie hätte sich nach eigener Aussage mehr gewünscht, etwa dass bei der Vergütung sämtliche Qualifikationen und die Amtsdauer berücksichtigt werden. (vom/22.03.2024)