Aktuelle Stunde

Hitzige Debatte über Debattenkultur an Hochschulen

Seit dem Überfall der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel beschäftigen Störungen des Hochschulbetriebs durch Aktivisten vermehrt die Öffentlichkeit. Eine von der CDU/CSU-Fraktion beantragte Aktuelle Stunde im Bundestag mit dem Titel „Meinungsfreiheit schützen – Boykott von wissenschaftlichen und demokratischen Veranstaltungen an deutschen Hochschulen verhindern“, am Mittwoch, 26. Juni 2024, geriet zu einer hitzigen Debatte über die deutsche Debattenkultur.

CDU/CSU verurteilt Aktion gegen Fraktionsmitglied

Konkreter Anlass für die Aktuelle Stunde war, wie Nadine Schön (CDU/CSU) erklärte, eine Veranstaltung an der Universität Göttingen zum Selbstbestimmungsgesetz, zu der der Ring Christlich-Demokratischer Studenten die CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete Mareike Lotte Wulf eingeladen hatte. Wulf sei von Anfang an niedergebrüllt worden, klagte Schön, schließlich habe sie unter Polizeischutz aus dem Saal geleitet werden müssen, während „die Randalierer geblieben“ seien.

Schön bedauerte, dass sie aus den Koalitionsfraktionen und der Regierung keine Stellungnahme zu dem Vorfall vernommen habe. Vor allem vermisse sie eine Distanzierung der Grünen, deren Jugendorganisation mit zu der Aktion aufgerufen und dabei Wulf als Abgeordnete diffamiert habe, die „öfter Hetze gegen Transmenschen betreibt“.

SPD fordert Redefreiheit ein

Die meisten Rednerinnen und Redner der Koalitionsfraktionen nahmen Wulf gegen derartige Vorwürfe in Schutz und lobten sie, bei allen Differenzen in der Sache, als tolerante und sachliche Kollegin. „Was Ihnen da widerfahren ist, geht so nicht“, erklärte Dr. Lina Seitzl (SPD). „Wir verurteilen das alle miteinander, dass frei gewählte Abgeordnete nicht mehr sprechen können, wenn sie eingeladen sind“, sagte sie.

Neben diesem konkreten Vorfall kamen auch die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg immer wieder zur Sprache. Mehrere Abgeordnete bezeichneten es als unerträglich, dass sich viele jüdische Studierende seit Monaten nicht mehr an ihre Hochschule trauten aus Angst vor denen, die davor stehen. „Es geht aber auch nicht“, ergänzte Seitzl, „wenn Menschen pauschal zu Antisemiten erklärt werden, die im Rahmen ihrer freien Meinungsäußerung die israelische Regierung kritisieren.“

AfD: Toxisches Bündnis Linker mit Hamas-Freunden

Dr. Götz Frömming (AfD) hob hervor, dass der Antisemitismus an den Hochschulen vor allem von links komme. „Da stehen die kleinen Greta Thunbergs und die anderen mit den Palästinensertüchern.“ Diese linken Gruppierungen hätten „ein toxisches Bündnis geschlossen mit Hamas-Freunden“.

Ebenso sei es bei der Boykott-Bewegung gegen israelische Universitäten, die von einem „weltweiten Netz von Profi-Aktivisten“ getragen werde, wie Frömming ausführte. „Da sind wieder Ihre politischen Freunde“, sagte er an die linke Seite des Plenarsaals gewandt.

Unterschiedliche Sichtweisen bei Grünen

Daraufhin nannte es Marlene Schönberger (Bündnis 90/Die Grünen) „jedes Mal wieder unerträglich, wenn sich die AfD als Unterstützerin von Jüdinnen und Juden inszeniert, weil wir alle hier wissen, wie es wirklich ist“. An die CDU/CSU-Abgeordnete Wulf gewandt sagte sie: „Was Ihnen passiert ist, ist nicht okay“. Allerdings seien Tessa Ganserer und Sven Lehman – zwei queere Grünen-Abgeordnete – ganz anderen Angriffen ausgesetzt gewesen, und hier habe sie die Solidarität aus der Union vermisst.

Im Gegenteil vergehe „fast kein Tag, an dem nicht Mitglieder der Union die Selbstbestimmung verächtlich machen“. An der hässlichen Debatte rund um Selbstbestimmung seien die Kollegen der Union „nicht ganz unschuldig“, folgerte Schönberger. Ihre Fraktionskollegin Laura Kraft versicherte Mareike Wulf später allerdings ausdrücklich ihre Wertschätzung und äußerte den Wunsch, „dass wir alle verbal abrüsten“.

FDP: Kritik an Autoren von offenem Brief

Ria Schröder (FDP) erklärte in Reaktion auf Schönbergers Rede an Wulf gewandt: „Ich möchte ganz klar sagen: Sie tragen keine Verantwortung dafür“, was sich in Göttingen zugetragen hatte.

Wo, wenn nicht an Hochschulen, müssten Debatten geführt werden, fragte Schröder. Sie distanzierte sich damit ausdrücklich auch von pro-palästinensischen Aktivisten, die an den Hochschulen Debatten zu unterbinden suchen. Ebenso distanzierte sie sich von Wissenschaftlern, die sich in einem offenen Brief für diese Aktivisten eingesetzt, nicht aber zur Unterstützung für jüdische Studierende aufgerufen hätten.

Linke: Trillerpfeifen sind nervig

Janine Wissler (Gruppe Die Linke) hielt der Union vor, nur für Meinungsfreiheit zu sein, wenn es um ihre Meinung gehe. Was Wulf widerfahren sei, sei „unangenehm“, jedoch seien „Trillerpfeifen nervig, aber kein diktatorisches Unterdrückungsmittel“.

Was Prof. Dr. Stephan Seiter (FDP) zu der Bemerkung veranlasste: „Wenn es ein Beispiel braucht, was das Problem unserer Debattenkultur ist, dann haben wir das gerade eben erlebt.“ (pst/26.06.2024)

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