Boris Pistorius: Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat Russland als Bedrohung nicht nur für Georgien und Moldawien, sondern „letztlich auch für die Nato“ bezeichnet. In der Regierungsbefragung im Bundestag betonte der Minister am Mittwoch, 5. Juni 2024, dass die Ukraine deshalb weiterhin unterstützt werden müsse. „Ein Einbruch unserer Unterstützung hätte fatale Folgen“, sagte Pistorius. Die Lieferung etwa des Patriot-Flugabwehrraketensystems leiste wichtige Beiträge: „Jeder Euro zählt.“ Ein russischer Sieg käme teurer am Ende als die Unterstützung für die Ukraine heute. „Wir müssen bis 2029 kriegstüchtig sein“, so der Minister. „Wir müssen Abschreckung leisten, um zu verhindern, dass es zum Äußersten kommt.“
Zentral seien für ihn die Themen Personal, Material und Finanzen. Im Ernstfall würden junge Frauen und Männer gebraucht, die dieses Land verteidigen können: „Wir müssen durchhaltefähig und aufwuchsfähig sein.“ Er sei überzeugt, so der Minister weiter, dass eine neue Form des Wehrdienstes gebraucht werde. Dazu werde er zeitnah einen Vorschlag zur Diskussion stellen. Ein solcher Dienst könne nicht frei von Pflichten sein. Darüber hinaus müsse der Truppe die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung gestellt werden, vom Kampfpanzer bis zur mobilen Feldküche.
Schmidt: Schnellere Verfahren und mehr Photovoltaik
Neben dem Verteidigungsminister stellte sich auch der Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramtes Wolfgang Schmidt (SPD) den Fragen der Abgeordneten. Schmidt erinnerte an das Treffen des Bundeskanzleramtes mit den Regierungschefs der Länder am 6. November 2023, als ein Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung vereinbart worden sei. In zwei Wochen werde es ein weiteres Treffen geben, um über die Ergebnisse der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen zu sprechen.
Erfolge vermeldete Schmidt beim Ausbau der Photovoltaik. Um das Ziel, bis 2030 Prozent der Energie aus erneuerbaren Quellen zu beziehen, erreichen zu können, müssten bis dahin täglich 43 Fußballfelder als Solarflächen entstehen. Inzwischen sei man bereits bei 35 Fußballfeldern angekommen, 2022 seien es erst 17 Fußballfelder gewesen.
„Wir wollen und werden nicht Kriegspartei sein“
Philipp Krämer (Bündnis 90/Die Grünen) fragte den Verteidigungsminister nach den neuen Einsatzmöglichkeiten an der russischen Grenze. Alles, was aus Deutschland geliefert wird und Ziele im russischen Hinterland angreift, kann eingesetzt werden, sagte der Minister. Mit seinem polnischen Amtskollegen sei er regelmäßig im Austausch über die Unterstützung zum Schutz der Ostflanke.
In dem Zusammenhang erkundigte sich die Abgeordnete Sevim Dağdelen (Gruppe BSW), ob die Waffen in ganz Russland eingesetzt werden dürfen. Pistorius sagte, die Waffen hätten eine bestimmte Reichweite, die Entscheidung des Bundeskanzlers beschränke sich auf bestimmte Regionen. In seiner Antwort auf eine Frage von Zaklin Nastic (Gruppe BSW) erinnerte der Minister an das Völkerrecht, wonach eindeutig sei, dass das angegriffene Land sich verteidigen dürfe. Die Beschränkung sei bilateral und sei nicht durch das Völkerrecht vorgegeben.
Dr. Gesine Lötzsch (Gruppe Die Linke) fragte, ob der Minister sicherstellen könne, dass Deutschland nicht Kriegspartei werde. „Wir sind nicht Kriegspartei, soweit wir es in der Hand haben“, antwortete Pistorius.: „Wir wollen und werden nicht Kriegspartei sein.“
Friedensszenario und Brigade Litauen
Dr. Rainer Rothfuß (AfD) erkundigte sich nach einem Ausstiegs- und Friedensszenario. „Sie wissen, dass dieser Krieg morgen von Putin beendet werden könnte“, antwortete Pistorius. Es sei „unsere Pflicht“, die Ukraine zu unterstützen. Putin habe diesen Krieg vom Zaun gebrochen, er trage dafür die Verantwortung.
Nils Gründer (FDP) fragte nach der Ausstattung der im Aufbau befindlichen Bundeswehr-Brigade an der belarussischen Grenze in Litauen. Er gehe davon aus, dass die Brigade 2027 fertig ausgestattet und einsatzbereit ist, sagte der Minister. Die reinen Investitionskosten dafür bezifferte er auf fünf bis acht Milliarden Euro, hinzu kämen Personal- und Betriebskosten von einigen 100 Millionen Euro.
Rüstungsbeschaffung und Sicherung von Handelswegen
Die Beschaffung in der Bundeswehr thematisierte der CSU-Abgeordnete Florian Hahn. Einen „Raubbau“ in seinem Etat schloss der Minister aus. Das von zwei Jahren aufgelegte und mit 100 Milliarden Euro bestückte Sondervermögen Bundeswehr sei bis Ende 2024 komplett gebunden. Das Sondervermögen sei ein notwendiger, überfälliger Schritt gewesen und es gehe jetzt darum, dass die „Maßnahmen greifen“.
Der SPD-Abgeordnete Jörg Nürnberger fragte nach dem Einsatz der Fregatte „Hessen“ zum Schutz der Seehandelswege vor den Huthi-Rebellen im Roten Meer. Die Fregatte habe 27 Handelsschiffe begleitet und sei fünfmal tätig geworden, berichtete Pistorius. Sie habe sich in den internationalen Verband eingeordnet und zur Sicherheit der Handelswege beigetragen. Man bereite jetzt eine Manöverkritik vor, ehe im September die Fregatte „Hamburg“ in den Einsatz geht.
Waffeneinsatz im russischen Hinterland
Die FDP-Abgeordneten Ulrich Lechte und Dr. Marcus Faber sprachen den Kanzleramtsminister Schmidt auf eine etwaige Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern oder vergleichbarem Gerät in die Ukraine an. Schmidt unterstrich, dass die Ukraine mit allen technischen und rechtlichen Möglichkeiten unterstützt werde, doch dürfe Deutschland nicht Kriegspartei werden. Weiter nach Russland hineinzuschießen, wäre nicht die Haltung der Bundesregierung, so Schmidt. Im Übrigen gebe es in der Ukraine eine große Dankbarkeit dafür, was Deutschland im Bereich der Flugabwehr leiste.
Die CDU-Abgeordneten Thomas Röwekamp, Serap Güler und Dr. Hendrik Hoppenstedt forschten nach den Ursachen für den Sinneswandel des Kanzlers, den Waffeneinsatz im russischen Hinterland zuzulassen. Verändert habe sich die Art, wie Russland den Krieg gegen die grenznahe Stadt Charkiw führe, sagte Schmidt. Der Angreifer könne nun schon „vor dem Haus“ bekämpft werden, und nicht erst, wenn er bereits „im Haus“ sei.
Gewalttaten durch Migranten und Sicherheitslage
Dr. Gottfried Curio (AfD) erkundigte sich nach der Abschiebung von Gewalttätern, die als Migranten ins Land kamen. Die irreguläre Zuwanderung werde deutlich eingeschränkt, betonte der Minister. Nach acht Jahren Verhandlungen sei in der EU das Europäische Asylsystem vereinbart worden. Zur Verbesserung von Rückführungen in die Herkunftsländer seien Gesetze verabschiedet worden. Mit den Bundeländern seien Vereinbarungen getroffen worden, die Ausländerbehörden zu digitalisieren und die Verfahren zu beschleunigen.
Lamya Kaddor (Bündnis 90/Die Grünen) fragte, was die Regierung unternehme, um die Sicherheitslage zu verbessern. Da der Bundeskanzler am 6. Juni zu diesem Thema im Bundestag eine Regierungserklärung abgibt, wollte Schmidt „dem Kanzler nicht vorgreifen“.
Bürokratieabbau und Klimaziele
Esra Limbacher (SPD) fragte nach den Reaktionen in der Zivilgesellschaft auf die Bürokratieabbaugesetze. Laut Ermittlung des Statistischen Bundesamtes seien die Bürokratiekostenwerte auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Erfassung im Jahr 2012, antwortete Schmidt. Das im parlamentarischen Verfahren befindliche vierte Bürokratieabbaugesetz werde im Bundestag noch weiter verbessert werden. Die Unternehmen litten vor allem unter unzähligen Berichtspflichten.
Kathrin Vogler (Gruppe Die Linke) ging auf eine mögliche Verfehlung der Klimaziele bis 2030 ein und bezog sich auf Aussagen des von der Bundesregierung eingesetzten Expertenrats. Der Expertenrat sei eingesetzt worden, um die Klimaschutz-Programme zu überprüfen, sagte der Minister. Von einem drastischen Überschreiten der Ziele könne aber nicht die Rede sein. (vom/05.06.2024)