Abgeordnete der französischen Nationalversammlung zu Gast im Bundestag
Eine hochrangige französische Delegation unter Leitung des Vorsitzenden der Französisch-Deutschen Freundschaftsgruppe in der Assemblée nationale, Sylvain Maillard, zugleich Vorsitzender der französischen Regierungsfraktion Renaissance, war vom 21. bis 24. April 2024 auf Einladung der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe des Bundestages zu Gast in Bonn und Berlin.
Die Beziehungen auf allen Ebenen, in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft vertiefen, aktuelle Themen besprechen sowie Impulse setzen: Dem diente der viertägige Arbeitsbesuch, erläutert Nicole Westig (FDP), Vorsitzende der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe.
Treffen mit Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki
Dazu bekamen die französischen Abgeordneten Einblick in die historische Wirkungsstätte Konrad Adenauers, der mit dem französischen Präsidenten Charles de Gaulle gemeinsam nach dem Zweiten Weltkrieg die deutsch-französische Freundschaft begründete, besuchten einen Industriebetrieb der Recyclingwirtschaft und trafen sich im Deutschen Bundestag mit Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) sowie mit Mitgliedern der Parlamentariergruppe, des Europaausschusses und des Verteidigungsausschusses.
Der französischen Delegation gehörten neben dem Vorsitzenden die Abgeordneten Brigitte Klinkert (ebenfalls Renaissance), Ko-Vorsitzende des Vorstandes der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung (DFPV), sowie die Abgeordnete Nathalie Serre (Les Républicains) an.
„Einzigartige Verflechtung zweier Länder“
Zwischen keinen anderen Ländern der Welt bestehe ein so hoher Grad an Austausch und Zusammenarbeit, ob auf staatlich-institutioneller Ebene, zwischen Unternehmen oder in Gesellschaft und Zivilgesellschaft, ruft Westig die besondere Stellung der deutsch-französischen Partnerschaft in den internationalen Beziehungen in Erinnerung.
Die wechselseitige wirtschaftliche Bedeutung der beiden größten Volkswirtschaften der Europäischen Union lasse sich jedes Jahr aufs Neue an den Statistiken ablesen. Die zahlreichen gesellschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Aktivitäten, eingerahmt durch die Städtepartnerschaften, reichten von den Aktivitäten des Deutsch-Französischen Jugendwerkes bis hin zu privaten Freundschaften.
„Freundschaft festigen und politische Impulse setzen“
Die Intensität der Beziehungen gilt auch für die parlamentarische Zusammenarbeit zwischen dem Deutschen Bundestag und der französischen Assemblée nationale, stellt Westig klar. So wurde im Rahmen des Aachener Vertrags 2019 das bislang einzige binationale Parlament der Welt geschaffen: die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung (DFPV) – nicht zu verwechseln mit der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe – die sich als eine der traditionsreichsten und angesehensten Parlamentariergruppen erstmalig bereits in der dritten Wahlperiode, am 19. Januar 1959, konstituiert hat.
„Durch die DFPV wird die parlamentarische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich auf eine neue Ebene gebracht“, so Westig ohne Bedauern. „Die Parlamentariergruppe bleibt eine wichtige Ergänzung.“ Während die Versammlung formale Beschlüsse fasse, stehe im Mittelpunkt der Arbeit der Parlamentariergruppe, die Freundschaft zwischen beiden Ländern zu festigen und politische Impulse zu setzen.
Durch das neue Gremium bestehe ein noch dichterer persönlicher Austausch. Als wichtiges Zeichen für die Wertschätzung der Zusammenarbeit auf Ebene der Parlamentariergruppen wertet es Westig, dass ihr Amtskollege Sylvain Maillard den Vorsitz der Parlamentariergruppe behalten habe, als er im vergangenen Jahr zum Vorsitzenden der Regierungsfraktion Renaissance gewählt wurde.
Westig will Weimarer Dreieck wiederbeleben
Der Vorsitzenden der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe ist wichtig zu betonen, dass die Partnerschaft zwischen Berlin und Paris „kein geschlossener Verein“ ist. „Im Gegenteil: Die Zusammenarbeit ist offen für andere. Und das ist eine Bereicherung, denn so tragen wir zur besseren Integration innerhalb Europas bei.“
Um das zu unterstreichen habe man im März gemeinsam mit Gästen der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe aus dem Sejm getagt: „Ich möchte das Weimarer Dreieck auf parlamentarischer Ebene wiederbeleben.“ Westig will das Thema nun auch in die DFPV einbringen. Auch darüber habe man beim Besuch der französischen Abgeordneten gesprochen.
Verteidigungspolitik dominiert die Agenda
Nachdem die französischen Gäste im Adenauerhaus in Bad Honnef-Rhöndorf und im Haus der Geschichte in Bonn auf den Spuren der gemeinsamen Geschichte unterwegs waren, haben sie im Rhein-Sieg-Kreis ein Unternehmen der Recyclingwirtschaft besichtigt. Dann sei man gemeinsam nach Berlin gereist, berichtet die Vorsitzende der Parlamentariergruppe. Dort hätten die Abgeordneten aus Paris den Deutschen Bundestag aus eigener Anschauung besser kennenlernen wollen.
Von Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki erhielten die Franzosen Einblicke in die Wahlrechtsreform. Ein Treffen mit Mitgliedern der Parlamentariergruppe sei von deutscher Seite auf großen Zuspruch gestoßen, einen intensiven Austausch habe es auch mit dem Europa- und dem Verteidigungsausschuss gegeben. Wie ein roter Faden zog sich dabei laut Westig die Verteidigungspolitik durch die Agenda. Die Notwendigkeit noch intensiverer Zusammenarbeit sei von beiden Seiten betont worden.
Einigung beim Rüstungsprojekt „Main Ground Combat System“
Beflügelt wurden die Gespräche im Parlament durch die Einigung auf Regierungsebene bei dem prestigeträchtigen bilateralen Rüstungsprojekt „Main Ground Combat System“, mit dem Berlin und Paris in die Fußstapfen großer deutsch-französischer Vorhaben treten und zusammen eine gemeinsame Nachfolge für die in die Jahre gekommenen Leopard- und Leclerc-Panzer bauen wollen.
Nachdem es lange gehakt habe, hätten die Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein französischer Amtskollege Sébastien Lecornu in einem Memorandum of Understanding nun erste Details zur Aufgabenverteilung zwischen beiden Ländern festgehalten, gibt Westig zu Protokoll. „Das ist ein Riesenfortschritt, ein tolles Zeichen für die Partnerschaft und auch für die gemeinsame Unterstützung der Ukraine.“
„Europa muss in der Verteidigung handlungsfähiger werden“
Gleichzeitig sei dies ein Schritt hin zur Vertiefung der Kooperation beider Länder in der Verteidigungspolitik, so die liberale Politikerin, die seit Langem ein engeres Zusammengehen bis hin zu einer Verteidigungsunion und einer europäischen Armee fordert. „Gerade angesichts der geopolitischen Herausforderungen ist ein gemeinsames Vorgehen in der Außen- und Sicherheitspolitik dringend geboten. Wir müssen als Europa handlungsfähiger werden.“ Darin bestehe Einigkeit zwischen den Partnern.
Dabei sei ein starkes Europa nicht als Widerspruch zur transatlantischen Zusammenarbeit zu verstehen. Es müsse vielmehr darum gehen, den „europäischen Pfeiler innerhalb der Nato“ zu stärken. Europa müsse mehr für seine Sicherheit tun und könne durch gemeinsame Beschaffung die Kosten senken.
Lebendige Städtepartnerschaften
Westig ruft in Erinnerung, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg ein großer Schritt gewesen sei, aufeinander zuzugehen. Die Staatsmänner Adenauer und De Gaulle hätten damals den Elysée-Vertrag auf den Weg gebracht, die Grundlage für die deutsch-französische Erfolgsgeschichte der Versöhnung und Freundschaft, in dessen Folge im Lauf der Jahrzehnte immer weitere gemeinsame Vereinbarungen getroffen und Institutionen wie das Jugendwerk oder die Städtepartnerschaften ins Leben gerufen worden seien.
Dies sei stets von den lebendigen Städtepartnerschaften flankiert worden. Ganz zu schweigen von den vielen privaten Initiativen und Freundschaften sowie von den im Zuge der europäischen Integration immer weiter sich vernetzenden Volkswirtschaften.
„Heute braucht es den Mut Adenauers und De Gaulles“
Höhen und Tiefen habe es dabei in dem deutsch-französischen Verhältnis stets gegeben, sagt Westig. Heute, wo die Partnerschaft einmal wieder stark in der Kritik stehe, es zwischen Kanzler Scholz und Präsident Macron eine Reihe von Missverständnissen gegeben habe und wo die geopolitischen Aufgaben gewaltig seien, „braucht es denselben Mut, den Adenauer und De Gaulle aufgebracht haben, als sie gesagt haben, wir überwinden die alte Feindschaft“.
Es gelte gegenüber verbreitetem Kleinmut ebenso wie angesichts globaler Herausforderungen mit einer Stimme zu sprechen und als deutsch-französisches Tandem ein Zeichen ist für ein starkes Europa zu setzen.
Parlamentariergruppe als Sensor für Befindlichkeiten
Die Mitglieder der Deutsch-Französischen Parlamentariergruppe betrachteten es als ihre Aufgabe, zum Gelingen der Beziehung beizutragen, so die Abgeordnete für den Rhein-Sieg-Kreis, die auch ordentliches Mitglied in der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung und im Europaausschuss des Bundestages ist.
Man verstehe sich „als Sensor für die Befindlichkeiten des deutsch-französischen Verhältnisses“. Von daher sei es ein ausgesprochener Glücksfall, dass man mit der DFPV ein geeignetes Format habe, um gerade auch die kontroversen Dinge zwischen beiden Ländern auszudiskutieren, so Westig.
Geräuschlose Zusammenarbeit
Auf sämtlichen Ebenen der Freundschaft in Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Gesellschaft, Zivilgesellschaft gebe es im Übrigen eine intensive, bestens funktionierende Zusammenarbeit. Vieles laufe laufe derart geräuschlos, dass es die Medien als kaum berichtenswert erachteten.
„Die Geräuschlosigkeit lässt einen vergessen, wie viel tagtäglich reibungslos zwischen Deutschland und Frankreich abgestimmt wird“, so die FDP-Politikerin.
Wichtige Rolle der Zivilgesellschaft
Ganz wesentlich zum Gelingen der deutsch-französischen Freundschaft hätten die zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und Kontakte beigetragen, betont Westig. Häufig fänden diese im Rahmen einer der zahlreichen Städtepartnerschaften statt, von denen viele jetzt, nach Jahrzehnten des Austauschs, runde Jubiläen begingen. Neben Vereinen engagierten sich Privatpersonen. „Davon lebt die Freundschaft, dass sich unzählige Menschen, ganz gleich welchen Alters, begegnen können.“
Es sei ihr ein Anliegen, Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft bei den Treffen der Parlamentariergruppen in den persönlichen Austausch einzubeziehen. So sei beim Delegationsbesuch Ende April der Präsident der Vereinigung der deutsch-französischen Gesellschaften, Jochen Hake, dabei gewesen.
„Leider“, so die Abgeordnete, werde über die Aktivitäten der Zivilgesellschaft viel zu wenig berichtet. „Dabei bilden sie das Fundament der deutsch-französischen Freundschaft“, findet Westig. „Immerhin werden wir dem im Aachener Vertrag ein wenig gerecht“, stellt die Vorsitzende der Parlamentariergruppe fest. Damit sei ein Bürgerfonds ins Leben gerufen worden, um speziell Begegnungen der Zivilgesellschaft zu fördern und so Menschen zusammenzubringen. (ll/27.05.2024)