Recht

Sachverständige uneins über Reform des Beschlussmängelrechts

Zeit: Montag, 22. April 2024, 17 bis 19 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.200

Eine überwiegende Mehrheit der zu einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses geladenen Sachverständigen hat sich am Montag, 22. April 2024, für eine Reform des Beschlussmängelrechts, wie in einem Antrag der CDU/CSU-Fraktion (20/9734) gefordert, ausgesprochen. Die Kassation eines fehlerhaften Beschlusses bei der Hauptversammlung (HV) mache das Beschlussmängelrecht missbrauchsanfällig und verhindere den gewünschten lebendigen Austausch zwischen Vorstand und Aktionären auf der Hauptversammlung, hieß es. Aktionärsvertreter hielten diese Argumentation hingegen für vorgeschoben und warnten vor einem Eingriff in Aktionärsrechte. 

Ausgleich individueller Aktionärsrechte

Es gehe um den Ausgleich individueller Aktionärsrechte und der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft, sagte Michael Arnold, Mitglied im Ausschuss Handelsrecht des Deutschen Anwaltvereins. In Deutschland führe jeder gerichtlich festgestellte Beschlussmangel dazu, dass der betreffende Beschluss rückwirkend kassiert werde. Jeder Kleinaktionär könne ohne großes Kostenrisiko gegen HV-Beschlüsse vorgehen. 

Die harte Rechtsfolge der rückwirkenden Kassation sollte aus seiner Sicht neu geregelt werden. Dabei dürfe nicht hinter den Stand des Freigabeverfahren zurückgegangen werden. Ein Vorschlag sei, die Kassation auf wenige Fälle zu beschränken, „bei denen sie zwingend erforderlich ist“.

Abkehr vom „Alles-oder-nichts-Prinzip“

Melanie Eckardt, Vertreterin der Merck KGaA und Vorsitzende des Fachausschusses Unternehmensrecht des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI), forderte eine grundlegende Reform. Das „Alles-oder-nichts-Prinzip“ führe dazu, dass jeder anfechtungsrelevante Beschlussfehler, einschließlich Mängel bei der Informationserteilung, ohne Rücksicht auf die tatsächliche Bedeutung für die konkrete Beschlussfassung zur rückwirkenden Unwirksamkeit des angefochtenen Beschlusses führen könne. Dies habe zur Folge, dass der Ablauf und die Informationserteilung in der Hauptversammlung durch das Prinzip „Vorsicht“ geprägt seien. Die Vermeidung von Anfechtungsrisiken führe zu einer erheblichen Verrechtlichung der Hauptversammlung, „die einer offenen Diskussionskultur abträglich ist“.

Das Beschlussmängelrecht sei in einem beklagenswerten Zustand, befand Prof. Dr. Mathias Habersack von der Ludwig-Maximilians-Universität München, Mitglied des „Arbeitskreises Beschlussmängelrecht“. Habersack sprach sich für die Einschränkung der Nichtigkeitsgründe und -folgen sowie eine Abkehr vom Alles-oder-nichts-Prinzip aus. Die rückwirkende Kassation des nicht per se nichtigen HV-Beschlusses sollte seiner Auffassung nach nur noch eine von mehreren Rechtsfolgen des Gesetzes- oder Satzungsverstoßes und für „Beschlussmängel mit einer Schwere“ reserviert sein.

„Überfällige Reform“

Sven Erwin Hemeling, Leiter Aktienrecht beim Deutschen Aktieninstitut, sah ebenfalls Reformbedarf und forderte eine Nachjustierung der Anfechtung bei Auskunftserteilung, eine Reduzierung der Nichtigkeitsgründe und die Ausweitung des Freigabeverfahrens wodurch in der Vergangenheit die „untragbaren räuberischen Aktionärsklagen“ eingedämmt worden seien. 

Die Reform des Beschlussmängelrechts ist nach Einschätzung von Prof. Dr. Jens Koch von der Universität Köln insbesondere im Bereich des Aktienrechts überfällig. Die Abkehr vom Alles-oder-nichts-Grundsatz, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sowie ein Eilverfahren als Ergänzung zum herkömmlichen Beschlussmängelverfahren seien die Grundpfeiler einer Reform, die der Gesetzgeber aus seiner Sicht noch in dieser Legislaturperiode umsetzen sollte. 

Gegen ein Mindest- oder Kassationsquorum

Prof. Dr. Jan Lieder von der Universität Freiburg unterstützte die Reformvorschläge ebenso wie Prof. Dr. Peter O. Mülbert von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Von einem Mindest- oder auch nur Kassationsquorum sollte aus Sicht Lieders abgesehen werden. Die Beteiligungshöhe des Klägers sollte im Rahmen der Abwägungsentscheidung berücksichtigt werden, sagte er. Gleichermaßen müssten die Interessen aller übrigen Aktionäre in die Betrachtung einbezogen werden. Mülbert machte deutlich, dass die Gründe für eine solche Reform bei den Gesellschaftsformen GmbH, OHG und KG „nicht gegeben sind“. 

Im Interesse einer einheitlichen Rechtsordnung ist es aus Sicht von Prof. Dr. Dörte Poelzig von der Universität Hamburg sinnvoll, „ein rechtsformübergreifendes und kohärentes Beschlussmängelrecht unter Berücksichtigung der rechtsformspezifischen Eigenarten zu schaffen“. Ob aber eine Flexibilisierung der Rechtsfolgen anstelle des Alles-oder-nichts-Prinzips auch bei anderen Rechtsformen, wie den Personengesellschaften oder der GmbH, geboten ist, sollte insbesondere unter Berücksichtigung der größeren Gestaltungsfreiheit und des geringeren Fehler- und Anfechtungsrisikos sorgfältig abgewogen werden, machte sie deutlich.

Kontrollmöglichkeiten und Aktionärsrechte

Die Lebhaftigkeit einer HV-Debatte dürfe nicht auf Kosten der Wahrheit und Richtigkeit von in der Hauptversammlung gemachten Angaben erhöht werden, betonte hingegen Marc Liebscher, Vorstandsmitglied der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger. Er hält das Lebhaftigkeits-Argument für ein Feigenblatt, „um die aus anderen Gründen unerwünschte Beschlussanfechtung weiter zurückzuschneiden“. Verstehe man Aktionärsrechte nicht nur als deklaratorische Proklamation, sondern als Rechte des individuellen Schutzes des Eigentums, müsse eine Verletzung dieses Rechts spürbar sanktioniert werden, forderte er. Die Kassationswirkung des Beschlussmängelrechts sei zur effektiven Ausgestaltung der Aktionärsrechte zwingend beizubehalten.
Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, sieht durch die Reformforderungen die Kontrollmöglichkeiten der Aktionäre, „also der Eigentümer“, reduziert. Die Verhinderung von Kontrolllücken müsse eigentlich allen am Herzen liegen, befand er. Stelle man sich die Frage, warum Börsengänge vermehrt in den USA stattfinden und nicht in Deutschland, habe die Antwort mit der hohen Kontrolldichte dort zu tun. „Hohe Kontrolle bedeutet mehr Vertrauen“, sagte Tüngler. Mehr Vertrauen bedeute höhere Bewertungen, „die sich jeder wünscht“. Anleger seien dann bereit mehr Geld zu geben und mehr Geld schneller zu geben, wenn sie wissen, dass es ein austariertes und engmaschiges Kontrollsystem gibt. (hau/22.04.2024)