Der Bundestag hat am Donnerstag, 17. Oktober 2024, einen Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Soziale Mindestsicherung effektiv organisieren – Bürgergeld auf Arbeitsvermittlung fokussieren“ (20/10609) abgelehnt. Die Vorlage fand keine Mehrheit gegen die Stimmen von SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen, FDP sowie der Gruppen Die Linke und BSW bei Zustimmung der Antragsteller. Dazu lag den Abgeordneten eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales (20/13406) vor.
Antrag der AfD-Fraktion
Die AfD-Fraktion fordert eine stärkere Fokussierung des Bürgergeldes auf die Arbeitsvermittlung. „Angesichts durchschnittlich 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeldempfängern im Jahr 2023 und im August 2023 knapp 929.000 Langzeitarbeitslosen sollte die Hebung endogener Arbeitskraftpotenziale deutlich mehr im politischen Fokus stehen als bislang“, schreibt die Fraktion und verweist auf unterschiedliche Angaben der Rentenversicherung und der Bundesagentur für Arbeit bezüglich der Erwerbsfähigkeit von Bürgergeld-Beziehenden.
Im bestehenden Bürgergeldsystem würden manifest vermittlungsgehemmte, also faktisch nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige, die eigentlich Sozialfälle seien, oftmals lediglich „in euphemistisch betitelten Maßnahmen geparkt, ohne einen nachhaltigen Nutzen für die weitere Integration in den ersten Arbeitsmarkt zu erreichen“, kritisieren die Abgeordneten.
Reform der sozialen Mindestsicherungssysteme
Sie fordern deshalb eine Reform der sozialen Mindestsicherungssysteme des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII).
Dabei soll unter anderem das bisherige Bürgergeldsystem bei gleichbleibenden Regelsätzen in eine „Arbeitsuchenden-Hilfe“ für ausschließlich jene SGB II-Leistungsberechtigte überführt werden, die tatsächlich und kurzfristig, also innerhalb von zwei Wochen, zur Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Lage sind.
Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs
Die bisherige Sozialhilfe (SGB XII) soll bei gleichbleibenden Regelsätzen zu einer „Sozialhilfe-Neu“ entwickelt werden, mit dem Ziel, neben den bisherigen Sozialhilfeempfängern künftig auch Gruppen nur bedingt erwerbsfähiger SGB II-Leistungsberechtigter passgenauer zu versorgen. Dazu gehören nach den Vorstellungen der AfD unter anderem bisherige Bürgergeldbeziehende, die in ihrer Gesundheit so stark eingeschränkt sind, dass sie seit mindestens sechs Monaten gar nicht oder weniger als drei Stunden täglich erwerbsfähig sind.
Ferner fordert die Fraktion Änderungen bei amtsärztlichen Untersuchungen zur Feststellung des Gesundheitszustandes und eine Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs.
SPD: Wir schieben niemanden aufs Abstellgleis
Heftige Kritik für diese Vorschläge erntete die AfD-Fraktion zunächst von Annika Klose (SPD). Zum einen sei der Antrag hinfällig, weil der Fokus der Arbeitsmarktpolitik schon heute auf Arbeitsvermittlung liege. Zum anderen wolle die AfD Menschen selektieren und jene, die als nicht erwerbsfähig gelten, aufs Abstellgleis schieben.
„Für die SPD gilt aber: Alle Menschen sollen eine Perspektive bekommen“, sagte Klose. Wenn zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen keinen Berufsabschluss haben, müsse es doch darum gehen, sie zu qualifizieren anstatt sie abzuschieben, sagte die Abgeordnete.
CDU/CSU: Dieses Menschenbild ist längst überwunden
Kai Whittaker (CDU/CSU) sagte: „Die AfD findet, dass wir zu wenig Fachkräfte in Deutschland haben und will das Problem damit lösen, dass sie fast eine Million Menschen von heute auf morgen als dauerhaft arbeitsunfähig einstuft.“
Dazu würden nach AfD-Vorstellungen auch Alleinerziehende, sogenannte „Aufstocker“ oder pflegende Angehörige zählen. Menschen in nützlich und unnütz einzuteilen, offenbare ein Menschenbild, dass Deutschland zum Glück lange hinter sich gelassen habe.
Grüne: Völlig realitätsfremdes Schubladendenken
Die Kritik von Beate Müller-Gemmeke (Bündnis 90/Die Grünen) ging in die gleiche Richtung: „Wer nicht funktioniert, wird ausgegrenzt.“ Die anderen sollen in der neuen Arbeitsuchenden-Hilfe innerhalb von zwei Wochen in Arbeit vermittelt werden, unter Androhung harter Sanktionen beziehungsweise einer Art Zwangsarbeit.
Dies offenbare ein völlig realitätsfremdes Schubladendenken und „wird den Herausforderungen in keiner Weise gerecht“, sagte Müller-Gemmeke.
AfD: Die Arbeitsvermittlung funktioniert nicht
Gerrit Huy (AfD) kritisierte, dass die staatliche Arbeitsvermittlung nicht funktioniere, weil die Mitarbeiter der Jobcenter mit anderen Aufgaben überfrachtet würden. Ihre Fraktion wolle rund 700.000 Menschen, die dauerhaft nicht erwerbstätig sein können, in die Sozialhilfe integrieren.
Darauf würden insbesondere Kranke seit Jahren warten, die sich im Bürgergeld-System falsch aufgehoben fühlten. „Das Menschenbild der AfD ist das des freien Bürgers, der keine staatliche Nanny braucht“, sagte sie.
FDP: Über Fachkräfteeinwanderung schweigt die AfD
Pascal Kober (FDP) nannte es „interessant, was die AfD verschweigt“. Denn die deutsche Wirtschaft fordert seit Jahren leichtere Regeln für die Fachkräfteeinwanderung aus dem Ausland. Ohne diese Einwanderung werde es nicht gehen, und deshalb sei es gut, dass die Koalition das Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschlossen habe „und es wirkt!“.
Bezogen auf die Sozialhilfe-Pläne der AfD fragte er: „Was soll denn für diese Menschen besser werden, wenn sie nicht mehr begleitet und gefördert werden?“
Linke: Widerlich und sinnlos
Heidi Reichinnek (Gruppe Die Linke) sagte in Richtung AfD: „Was Sie hier fordern, ist nicht nur widerlich. Es bringt auch einfach nichts.“
Wenn jemand gezwungen werde, den nächstbesten Job unter Zeitdruck anzunehmen, stehe er nach ein paar Monaten wieder bei den Jobcentern auf der Matte. Das zeige die Erfahrung.
BSW: Frontalangriff auf den Sozialstaat
Alexander Ulrich (Gruppe BSW) sprach von einem „Frontalangriff auf den Sozialstaat“. Der Antrag sei zudem ausländerfeindlich und greife aber auch Bürger mit deutschem Pass an, die der AfD ja stets so am Herzen lägen.
Um die Zahl der Aufstocker zu reduzieren, brauche es einen höheren Mindestlohn und mehr Tarifbindung, aber das lehne die AfD ja immer ab. (che/17.10.2024)