Parlament

Baradari: Mittelmeerunion kann zur Konflikt­lösung rund um Europa beitragen

Nezahat Baradari, (SPD) spricht im Plenarsaal des Deutschen Bundestages.

„Es liegt in unserem ureigenen Interesse, in der Mittelmeerunion mitzuarbeiten“, sagt die SPD-Politikerin Nezahat Baradari. (© picture alliance / dts-Agentur)

Mehr Aufmerksamkeit für die „Parlamentarische Versammlung der Union für das Mittelmeer“ (PV UfM) wünscht sich Nezahat Baradari (SPD), Leiterin der deutschen Delegation zur PV UfM, deren Jahrestagung am Donnerstag, 15. Februar, und Freitag, 16. Februar 2024, in Rabat (Marokko) stattfand. „Die PV UfM bietet den Rahmen für eine gute strategische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Partnerschaft.“ Herausforderungen wie der Klimaschutz, die Energieversorgung, Migrationskontrolle oder die Gewinnung von Fachkräften könnten darin von der EU und den südlichen Mittelmeeranrainern gemeinsam angegangen werden, so die SPD-Politikerin im Interview. In der Mittelmeerunion stecke zudem ein „großes Potenzial für die Lösung der Konflikte rund um Europa. Die damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten sollten wir wahrnehmen.“ Das Interview im Wortlaut:

Frau Baradari, 2023 ist die Jahrestagung aus organisatorischen Gründen ausgefallen, in den Vorjahren gab es die Einschränkungen wegen der Pandemie. Wie fühlte sich das an, nach so langer Zeit wieder zusammenzukommen?

Ich habe mich sehr gefreut, dass das Treffen in Rabat in Präsenz nun stattfinden konnte. Den direkten, persönlichen Austausch, die persönliche Vernetzung darf man nicht vernachlässigen. Da war die Corona-Pandemie äußerst hinderlich. Das marokkanische Parlament war ein sehr guter Gastgeber, die Organisation vorbildlich. Sie haben einen würdigen Rahmen geschaffen, der zum Gelingen der Konferenz beigetragen hat.

Im Ausschuss für Energie, Umwelt und Wasser haben Sie sich dafür eingesetzt, dass die aktuellen Klimaschutzziele der COP 28 auch Arbeitsgrundlage der Mittelmeer-Parlamentarier werden. Ein Erfolg auf ganzer Linie?

Das kann man so sagen. Wir haben von deutscher Seite unterstrichen, dass wir an den Pariser Klimazielen festhalten und auch die neuen Beschlüsse der COP in der Mittelmeerunion anwenden wollen. Von unseren Änderungsanträgen zu diesen Verschärfungen, beispielsweise im Bereich der Erneuerbaren Energien, konnten wir auch die anderen Mitgliedsländer der Versammlung überzeugen. Ich habe mich sehr dafür stark gemacht, dass wir die Klimaziele klar einhalten. Anträge, die diese Ziele verwässern wollten, wurden, auch auf meinen Einsatz hin, abgelehnt. 

Sind die südlichen Mittelmeeranrainer echte Partner bei Klimaschutz und „grüner“ Energieversorgung? 

Wir haben bei der Jahrestagung unsere Position unterstrichen, dass wir bei der Erreichung der Klimaschutzziele sehr ambitioniert sind, dabei den Erneuerbaren eine Schlüsselrolle zukommen lassen wollen und fossile Brennstoffe wie Erdgas, das im östlichen Mittelmeer gefördert wird, nur als Brücke sehen in eine CO2-freie Zukunft. Wir haben klargemacht, dass die Energiepartnerschaft für uns nicht zuletzt auch eine sicherheitspolitische Dimension hat, die auf eine friedvolle Zusammenarbeit zielt. 

Wie sind Sie mit den Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf den Nahostkonflikt umgegangen? 

Ein äußerst heikles, hochpolitisches Thema. Wir haben es aus allen Perspektiven diskutiert. Am Ende gab es eine deutliche gemeinsame Erklärung, die terroristische Angriffe und Geiselnahmen klar verurteilt und gleichzeitig die humanitäre Notlage in Gaza anprangert. Unsere Gesprächspartner auf arabischer Seite haben das Massaker, das von der Hamas verübt wurde, klar verurteilt, wenngleich leider ohne dabei die Terrororganisation beim Namen zu nennen. Auf der anderen Seite sind Länder wie Ägypten und Jordanien sehr empört über die humanitäre Katastrophe in Gaza und haben den Angriff der israelischen Armee auf unschuldige Zivilisten scharf verurteilt und ein Ende der Angriffe gefordert. Wir haben in Schweigeminuten der Opfer auf beiden Seiten des Konflikts gedacht. In der Abschlusserklärung von Rabat fordern wir Parlamentarier ein Ende der Gewalt, humanitäre Hilfe sowie eine neue Initiative für die Diplomatie, die zu einer Zweistaatenlösung für Israelis und Palästinenser führt.

Auch der Krieg in der Ukraine hat die UfM-Parlamentarier beschäftigt. Kümmert sich die UfM-Versammlung als kleine, regionale Organisation zunehmend um die Sicherheit auf dem gesamten Kontinent? 

Die Versammlung hat das russische Vorgehen verurteilt, die Sanktionen gegen das Land bekräftigt, Solidarität mit der Ukraine bekundet und die Verletzung von deren Souveränität als rote Linie markiert. Die UfM umfasst tatsächlich einen großen und politisch wichtigen Raum auf der Weltkarte. Es handelt sich um die Mitgliedstaaten der EU einschließlich der anderen Mittelmeeranrainerstaaten. Bisher hat die Organisation leider nicht so stark im Fokus der Öffentlichkeit gestanden. Dabei hat sie ein sehr großes Potenzial. Auch in der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit. Die UfM ist die einzige Organisation, in der sowohl Israel als auch Palästina Mitglieder sind. Die palästinensische Delegation war nun anwesend, die israelische diesmal leider nicht.

Was kann die Mittelmeerunion sicherheitspolitisch in die Waagschale werfen? Medial führt sie eher ein Schattendasein, die Versammlung steht ohne Haushalt da, kann sich ihr Büro in Rom nicht leisten…

Die Arbeit der Versammlung wird in der Tat momentan finanziell und organisatorisch ganz von dem Parlament getragen, das aktuell die Präsidentschaft inne hat. Gerade in Krisenzeiten wie jetzt eröffnet die Union für das Mittelmeer mit ihrer breiten Palette an Themen zusätzliche Möglichkeiten, eine zusätzliche diplomatische Plattform, um gemeinsam an der Lösung der Konflikte der Region, rund um Europa, Nordafrika und den Nahen Osten zu arbeiten. Die Mitglieder der Versammlung pflegen ein seit Jahren erprobtes und konstruktives Miteinander, arbeiten in vier Fachausschüssen, auch über die Jahrestagung hinaus, zusammen. 

Egal, ob Klimaschutz, Energiefragen, Konflikte oder Migration - allein der Mittelmeerraum ist voller Herausforderungen. Wie könnte die PV UfM demgegenüber zu einem sichtbareren und glaubwürdigeren Akteur werden, der das alles in Angriff nimmt?

Die Versammlung ist lebendig, wir haben die Ausschussarbeit, es passiert viel. Bei den Mittelmeeranrainern ist das Bewusstsein für die gemeinsamen Probleme und die Notwendigkeit für gemeinsames Handeln bereits reichlich vorhanden. Ich wünschte mir auf europäischer Seite, von der Öffentlichkeit bis hin zum Europäischen Parlament, ein größeres Engagement für die Versammlung der Mittelmeerunion. Vor allem beim Europaparlament muss die PV UfM den ihr entsprechenden Stellenwert bekommen und als diplomatische Bereicherung gesehen werden. Die Mittelmeerunion und ihre Versammlung ist ein Schatz, der gehoben werden muss. 

Was kann der Bundestag dafür tun?

Als deutsche Abgeordnete haben wir drei Plätze in der Versammlung, in den Ausschüssen. Die damit verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten sollten wir, wie bisher auch, wahrnehmen. Wenn zeitgleich Sitzungswochen in Berlin sind, ist das schwierig. Aber es gibt rund ums Jahr Ausschusssitzungen in verschiedenen Mitgliedsländern. Da sollten wir, wenn immer möglich, teilnehmen, unsere Ideen und Interessen einbringen, an der Vernetzung arbeiten. Nur so können wir dann auch dort politischen Raum einnehmen, im deutschen Interesse. 

Worin liegt für Deutschland der Mehrwert der Parlamentarischen Versammlung der Mittelmeerunion?

Es liegt in unserem ureigenen Interesse, dort mitzuarbeiten. Die Versammlung bietet ein wertvolles Forum für den Austausch. Wir werden in der Zusammenarbeit mit der Region Nordafrikas und des Nahen Ostens einen Teil unserer Probleme als energieabhängiges Land lösen. Wir sollten mit den dortigen Ländern aber auch beim Austausch von Fach- und Arbeitskräften zusammenarbeiten, bei der Steuerung der Migration. Insgesamt ist es für Deutschland als größte Volkswirtschaft Europas von Interesse, die Wirtschaftsbeziehungen zu dem Raum, zu Ländern wie Marokko, auszubauen. Die PV UfM bietet den Rahmen für eine gute strategische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Partnerschaft. Ich wünsche mir daher einen stärken Fokus auf die PV UfM. Wir müssen nun auch deren Finanzierung auf die Beine stellen. Dafür werde ich mich auch weiterhin einsetzen. 

(ll/06.03.2024)