Schlagabtausch über den Jahreswirtschaftsbericht des Wirtschaftsministers
Die Fraktionen des Bundestages haben sich am Donnerstag, 22. Februar 2024, einen Schlagabtausch aus Anlass der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts 2024 (20/10415) geliefert. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), hat in einer Regierungserklärung zur Unterrichtung durch die Bundesregierung erklärt, dass das Wirtschaftswachstum stagniert und der weltweit steigende Protektionismus die Probleme verschärft. Gegenstand der Aussprache war darüber hinaus das Jahresgutachten des Sachverständigenrates (20/9300). Beide Unterrichtungen wurden an den Ausschuss für Wirtschaft zur federführenden Beratung überwiesen.
Minister: Wir sind noch lange nicht über den Berg
Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, sagte bei seiner Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht 2024, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der an diesem Tag vor fast genau zwei Jahren begonnen hat, nicht nur unendlich viel Leid und Tod gebracht habe, sondern auch die Ursache vieler wirtschaftlicher Turbulenzen gewesen sei. Zwar habe an es in Deutschland geschafft, die Energieversorgung zu sichern, der Angriff auf die Ordnung in Deutschland habe abgewehrt werden können, doch: „Wir sind noch lange nicht über den Berg“, sagte Habeck. Für das laufende Jahr werde nun nur noch statt mit einem Wachstum von 1,3 Prozent mit einem Wachstum von 0,2 Prozent gerechnet; „das ist im Grunde Stagnation“.
Der Wirtschaftsminister warnte davor, dass der weltweit steigende Protektionismus die Probleme des Welthandels nur verschärfen werden. „In Deutschland muss dieses Einschleichen von Nationalismus verhindert werden.“ Stattdessen gelte es, die strukturellen Probleme im Land weiter anzugehen, wie den Abbau des Fach- und Arbeitskräftemangels, den Abbau der Bürokratie und die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. „Das Geld für Investitionen muss schneller ausgegeben werden“, sagte Habeck im Plenum.
Union: Deutschland ist Schlusslicht in Europa
Alexander Dobrindt (CDU/CSU) kritisierte den Wirtschaftsminister dafür, dass er die Verantwortung für die „Abwärtsspirale“ in Deutschland nicht übernehme und nannte den Jahreswirtschaftsbericht eine „wirtschaftspolitische Bankrotterklärung der Ampelregierung“. Deutschland sei das „absolute Schlusslicht in Europa“: „Sie tragen daran einen erheblichen Anteil, Herr Minister“, sagte Dobrindt in Richtung Habeck.
Dieser präsentiere einen Bericht, der zeige, dass sich die Parteien der Ampelregierung auf fast nichts verständigen könnten. Der Umgang in der Ampel untereinander, auch in Fragen der Wirtschaftspolitik, sei nur „Raufereien und Realitätsverlust“. Der Minister habe versucht, die Gründe für die schlechte Wirtschaftslage allein mit externen Krisen zu erklären, dabei sei es die Verantwortung der Bundesregierung: „Sie sind nicht die Lösung, sie sind das Problem der Wirtschaftsschwäche, Herr Bundesminister“, schloss Dobrindt.
SPD: Wir packen den Reformstau an
Verena Hubertz (SPD) befand, die Lage sei „ernst, aber nicht hoffnungslos“. Sie verwies darauf, dass die strukturellen Probleme nicht neu, sondern über Jahrzehnte gewachsen seien. „Wir packen diesen Reformstau endlich an“, sagte die Sozialdemokratin. Ewig dauernde Planungsverfahren, Bürokratie und brüchige Brücken, „das haben wir geerbt“. „Uns ging es in unserem Land zu gut, wir haben es uns zu einfach gemacht“, so die Abgeordnete. Jetzt packe man die Probleme an.
Die Vorschläge, die die Unionsfraktion in einem Antrag zur Wirtschaftswende gemacht hatte, seien nichts als ein „Gemischtwarenladen ohne Vorschläge zur Gegenfinanzierung“. Damit es mit der Entwicklung nach vorne gehe, brauche man auch das Wachstumschancengesetz, dass derzeit im Vermittlungsausschuss zwischen Bund und Ländern feststeckt. „So wie es ist, kann es nicht und wird es nicht bleiben“, sagte Hubertz, die Ampel werde die Probleme anpacken.
AfD: Grünes Wirtschaftswunder tritt nicht ein
Leif-Erik Holm (AfD) monierte, die Ampel habe ihr Versprechen eines „grünen Wirtschaftswunders“ nicht eingehalten. „Und jetzt? Jetzt geht nichts mehr“, befand Holm. Der Jahreswirtschaftsbericht stelle der Regierung einen klaren Befund aus: „Sie sind mit ihrer Transformation krachend gescheitert.“ Man erlebe derzeit einen schleichenden Niedergang des Landes, während es anderen Ländern in Europa deutlich besser gehe. „Stehen Sie zu den Fehlern Ihrer Politik“, forderte Holm von Habeck.
Die größte Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland sei die Ampel. Betriebe würden aus Deutschland abwandern oder müssten schließen. „Die haben keinen Bock mehr auf immer mehr Verbote, Regulierung und Bürokratie.“ Es brauche eine deutliche Entlastung der Unternehmen und Bürger und eine sichere und bezahlbare Energieversorgung, forderte Holm. „Ihr Kardinalfehler war, mitten in einer Energiekrise die sicheren und sauberen Kernkraftwerke abzuschalten.“ Er forderte von Habeck: „Transformieren Sie sich bitte ganz schnell in die Opposition.“ Deutschland brauche Neuwahlen.
FDP: Mehr für die Wettbewerbsfähigkeit tun
Christian Dürr (FDP) war wie alle Vorredner der Meinung, dass die wirtschaftliche Entwicklung niemanden zufrieden stellen könne. „Wir müssen uns an der Stelle sehr, sehr ehrlich machen“, sagte Dürr. Es sei nicht alles mit den Folgen der Corona-Pandemie oder des Krieges in der Ukraine zu erklären. „Seit mindestens eineinhalb Jahrzehnten wird für die deutsche Wettbewerbsfähigkeit nichts getan“, erläuterte der Liberale. Es werde Zeit, endlich aufzuräumen und die Wirtschaftswende einzuleiten. Es seien zwar bereits wichtige Schritte getan worden wie die Ratifizierung des Handelsabkommens mit Kanada, die Genehmigungsbeschleunigung oder das Fachkräfteinwanderungsgesetz. „Doch diese ersten Schritte werden nicht ausreichen.“
Von der Union verlangte er, sich mit konstruktiven Vorschlägen zu beteiligen. „Doch alles, was sie machen, ist Briefe zu schreiben“, sagte Dürr und bezog sich auf einen Brief der Unionsfraktion an Bundeskanzler Olaf Scholz. Daran fordern die Abgeordneten um ihren Vorsitzenden Friedrich Merz den Kanzler auf, ein Sofortprogramm zur Wirtschaftswende einzuleiten. „Hören Sie auf, Briefe zu schreiben“, sagte Dürr zur Unionsfraktion. Stattdessen solle sie den Weg frei machen für die Entlastung der deutschen Unternehmen durch das Wachstumschancengesetz.
Grüne kritisieren Blockadehaltung der Union
Andreas Audretsch (Bündnis 90/Die Grünen) bezog sich ebenfalls auf das weiterhin strittige Wachstumschancengesetz. Mit ihrer Blockade haben die Union nein gesagt zur Entlastung der kleineren und mittleren Unternehmen und zu Wohlstand in Deutschland. „Wenn es konkret wird, dann sind Sie weg“, sagte Audretsch in Richtung der Unionsfraktion.
„Wir haben ja gesagt zu Investitionsimpulsen“; doch statt konstruktiv zu sein, wolle die Union „ganz dezidiert verunsichern.“ Friedrich Merz bringe Destruktion in die Debatte. Dabei gehe es voran, es gehe Ansiedlungen und Investitionen in Deutschland, die Inflation ist gesunken, die Energiepreise auch. „Nicht alles ist gut, aber es wird besser, wir sind auf dem Weg“, so Audretsch.
Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung
Die Wirtschaftsleistung hat in Deutschland im Jahr 2023 um 0,3 Prozent abgenommen. Das geht aus dem Jahreswirtschaftsbericht 2024 hervor, der dem Bundestag als Unterrichtung (20/10415) vorliegt. Für das Jahr 2024 wird ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 0,2 Prozent erwartet. Das ist weniger, als in der Herbstprojektion des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz angenommen worden war. Damals ging die Bundesregierung von einem BIP-Wachstum um 1,3 Prozent in diesem Jahr aus.
Die deutsche Wirtschaft sei gegenüber anderen großen westlichen Volkswirtschaften aufgrund ihrer ehemals starken Abhängigkeit von russischen Energielieferungen, dem vergleichsweise hohen Industrieanteil an der Wertschöpfung sowie der ausgeprägten Außenhandelsorientierung stärker in ihrer Entwicklung beeinträchtigt, heißt es im Jahreswirtschaftsbericht. Mit Ausblick auf das laufende Jahr sei ausgehend von den Entwicklungen des vergangenen Jahres von einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage auszugehen. Die Inflation ist im Jahresverlauf deutlich zurückgegangen und lag im Januar 2024 bei 2,9 Prozent. Für das laufende Jahr wird mit einem Rückgang auf 2,8 Prozent gerechnet.
Mit 46 Millionen Erwerbstätigen habe die Zahl einen historischen Höchststand erreicht, der Arbeitsmarkt erweise sich damit als „bemerkenswert robust“, heißt es im Bericht. Nach den starken Verlusten in den Jahren 2022/2023 führten die derzeit hohen nominalen Lohnzuwächse in Kombination mit der nachlassenden Inflation zu einem Zuwachs an realer Kaufkraft. Als große Hemmnisse für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland nennt der Bericht unter anderem übermäßige Bürokratie, Fach- und Arbeitskräftemangel und zu wenige private und öffentliche Investitionen: „All das bremst die wirtschaftliche Dynamik.“ Diese Probleme seien zum Teil hausgemacht, heißt es in dem Bericht, und hätten sich über viele Jahre hinweg angestaut und verfestigt.
Gutachten des Sachverständigenrates
Das Jahresgutachten des Sachverständigenrates (20/9300) weist auf die Folgen der demografischen Alterung hin, die das inländische Arbeitsvolumen sinken lasse. Gleichzeitig seien das Produktivitätswachstum und das Wachstum des Kapitalstocks, aber auch der Modernitätsgrad des Kapitalstocks, im Vergleich zu anderen europäischen Ländern seit Jahrzehnten rückläufig. Deutschland drohe somit eine Alterung nicht nur seiner Bevölkerung, sondern auch seiner industriellen Basis. Um das Wachstumspotenzial zu stärken, gelte es, beiden Entwicklungen entgegenzuwirken, durch verbesserte Erwerbsanreize, Reformen der Zuwanderungspolitik, sowie Innovationsund Investitionstätigkeit, um die Wirtschaft zu modernisieren und das Produktivitätswachstum zu steigern.
Unterstützt werden sollte dies durch eine Stärkung und Integration der europäischen Kapitalmärkte. Der durch die demografische Alterung erhöhte Finanzierungsbedarf der Gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) sollte mit einem Bündel an Reformoptionen reduziert werden. Im Gutachten diskutiert würden zudem verschiedene Reformoptionen für das Steuer-Transfer-System, die die Armutsgefährdung reduzieren und Erwerbsanreize stärken können, ohne die öffentlichen Haushalte zusätzlich zu belasten. Die deutsche Forschungsdateninfrastruktur sei zudem im internationalen Vergleich rückständig und sollte durch eine Anpassung der Statistikgesetzgebung und ein neues Forschungsdatengesetz verbessert werden. (emu/22.02.2024)