Nach Todesurteil: Nouripour fordert Freilassung des iranischen Rappers Salehi
Das Todesurteil gegen den iranischen Rapper Toomaj Salehi Ende April hat weltweit Bestürzung ausgelöst. Der Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (Bündnis 90/Die Grünen), der zum Schutz des Musikers eine Patenschaft im Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ (PsP) des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe übernommen hat, zeigt sich erschüttert und kämpferisch zugleich: „Mit jeder Silbe kämpft Toomaj Salehi für die Freiheit aller Menschen im Iran. Nun soll diese Stimme endgültig zum Schweigen gebracht werden. Am 25. April wurden wir erneut Zeugen eines grauenhaften und barbarischen Urteils des iranischen Regimes: Toomaj wurde zum Tode verurteilt.“
Nouripour weiter: „Nach seiner ersten Verhaftung habe ich die politische Patenschaft für ihn übernommen und das Versprechen gegeben, alles für seine bedingungslose Freilassung zu tun. Wir müssen alle Mittel prüfen, um die Vollstreckung seines Todesurteils zu verhindern. Ich fordere die sofortige und bedingungslose Freilassung von Toomaj Salehi und allen politischen Gefangenen im Iran.“
Zusammengeschlagen und verschleppt
Der Rap-Musiker, gegen den von den Behörden eine Kontaktsperre verhängt wurde, sei in den vergangenen Jahren zu einer Stimme der Hoffnung für Millionen Iranerinnen und Iraner geworden. Ihn könne man am besten unterstützen, indem man ihm und seinen Widersachern zeige, dass er nicht allein ist. Dass Salehi Ende November auf offener Straße zusammengeschlagen und verschleppt worden war, lasse leider Schlimmstes befürchten, sagte Nouripour bereits Anfang Februar.
Man habe es mit einem Muster staatlicher Gewalt zu tun, das darauf ziele, Kritiker und Oppositionelle einzuschüchtern und mundtot zu machen. Salehi hatte nach seiner zwischenzeitlichen Freilassung über die Folter und die brutalen Haftbedingungen berichtet. Er steht stellvertretend für viele, im Iran und darüber hinaus, die politisch verfolgt werden.
„Stimme im Kampf für Freiheit und Demokratie“
Für Omid Nouripour ist Salehi „ein genialer Künstler und eine wichtige Stimme im Kampf für Freiheit und Demokratie im Iran“. Seine Musik mache Millionen Iranern Mut. In seinen Werken prangert der Rapper die Islamische Republik an und fordert Freiheit, Demokratie und Menschenrechte sowie ein Ende der Korruption, der Armut und der Hinrichtungen in seiner Heimat.
Bei der dortigen Regierung aber lösen seine populären Reime offensichtlich Nervosität aus. „Die Art, wie Salehi von den Machthabern in Teheran gefürchtet wird, spricht Bände über den Zustand des iranischen Religionsregimes“, so der Abgeordnete.
Besonnene Stimme gegen das Unrecht
„Hast du es nicht gesehen?“, rappt Salehi seinen Zuhörern und Fans in einem seiner regimekritischen Songs ins Gewissen und wirft in dem Stück, dessen Titel grob übersetzt „Kaffeesatz lesen“ lautet, einem Regime-Getreuen dessen Ungerechtigkeiten vor, die dieser im Namen der Regierung begeht. Rap-Kunst vom Feinsten sei diese „Anklage“, schwärmt Nouripour, verbunden mit einer klaren politischen Botschaft, einem Aufschrei für Gerechtigkeit und Freiheit im Iran.
Gerechtigkeit sei das Leitmotiv, das den 33-jährigen Salehi antreibe, immer wieder soziale und politische Missstände in seinem Land anzuprangern, so Nouripour. Seine Botschaft trage dieser mit besonnener Stimme vor, während die Rap-Szene im Iran ansonsten voller Aggression sei.
Proteste nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini
Es war aus Sicht des Abgeordneten folgerichtig, dass Salehi sich nach dem gewaltsamen Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini im September 2022 zusammen mit anderen Popmusikern mit den Protesten gegen die Regierung solidarisiert hat. Amini war wegen eines angeblich schlecht sitzenden Kopftuchs von der Sittenpolizei festgenommen worden und in der Haft verstorben.
Ihre Familie, Freunde und Menschenrechtsorganisationen sind überzeugt, dass sie dabei von Beamten misshandelt wurde. Auf die folgenden friedlichen Proteste reagierte die Staatsführung mit äußerster Härte. Hunderte Menschen wurden getötet, Tausende festgenommen und angeklagt.
„Unfaires Gerichtsverfahren“
Zu letzteren gehörte auch Salehi. Er wurde am 30. Oktober 2022 verhaftet. Die Staatsanwaltschaft erhob nach geltendem iranischen Recht schwerste Vorwürfe gegen ihn, darunter, Lügen im Internet und Propaganda gegen den Staat verbreitet, Krieg gegen Gott geführt und zur Gewalt aufgerufen zu haben. Für eine Todesstrafe hätte das nach iranischem Recht gereicht.
Das im November 2022 gegen ihn eingeleitete Gerichtsverfahren vor einem iranischen Revolutionsgericht war nach Aussage von Amnesty International hochgradig unfair und das Urteil ungerecht. Menschenrechtsorganisationen und die internationale Presse berichteten umfassend darüber. Die Justiz verhängte eine Ausreisesperre, eine Geldbuße, Peitschenhiebe und ein Berufsverbot gegen den beliebten Rapper und verurteilte ihn am 10. Juli 2023 zu sechs Jahren und drei Monaten Haft.
Folter- und Misshandlungsvorwürfe
Unter fürchterlichen Bedingungen hat Salehi einen Großteil seiner Strafe in Einzelhaft verbracht. Angehörige, Freunde und Amnesty International werfen der iranischen Justiz vor, den Rapper in der Haft gefoltert und misshandelt zu haben. Trotz Verletzungen sei ihm medizinische Hilfe verweigert worden. Die Staatsmedien hatten ein Video veröffentlicht, das angeblich Salehi mit verbundenen Augen zeigt, in dem er Fehler gesteht und sich für seine Kritik entschuldigt. „Dabei hat er lediglich von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht“, stellt Nouripour fest.
Auf die harte Reaktion der iranischen Behörden folgte ein internationaler Aufschrei des Missfallens, der Salehi zunächst vor Schlimmerem bewahrt und wohl auch dazu beigetragen hat, dass der oberste Gerichtshof des Irans im November 2023 das Urteil vom Vorjahr revidierte und entschied, Salehi gegen eine Kaution von beträchtlicher Höhe aus dem Gefängnis zu entlassen.
„Rechtloses und unmenschliches Gebaren“
Nach seiner Freilassung postete Salehi ein Video, in dem er seinen Unterstützern dankt, über Folter in der Haft berichtet und seine geschundenen Hände und Füße zeigt. Die Reaktion des Staatsapparats auf diese öffentliche Anklage ließ nicht lange auf sich warten. Am 30. November wurde Salehi auf offener Straße brutal zusammengeschlagen und an einen zunächst unbekannten Ort verschleppt, berichten übereinstimmend iranische und internationale Medien.
Kurz darauf erhoben die Behörden neue Vorwürfe gegen den Musiker. Er habe Lügen verbreitet und versucht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Der hinterhältige Angriff auf Salehi, ein vollkommen rechtloses und unmenschliches Gebaren, trage deutlich die Handschrift des Regimes, erklärt Nouripour.
„Internationalen Druck aufrechterhalten“
Erneut wurde Salehi vom Gericht vorgeladen und angeklagt. Nach Angaben seines Anwalts, der Verfahrensfehler der Justiz anprangerte, wurde der Musiker wegen „Propaganda gegen das Regime“ zu einem Jahr Haft, zwei Jahren Passentzug und der Teilnahme an einem Kurs für Verhaltensmanagement bestraft. Kontakt zu seiner Familie wurde ihm untersagt.
Für Omid Nouripour muss es nun darum gehen, dem Fall von Salehi weiter höchste Aufmerksamkeit zu schenken und so den internationalen Druck auf die Regierung in Teheran aufrechtzuerhalten. Öffentlichkeit, Medien, Menschenrechtsorganisationen, aber auch Regierungen und Parlamente sollten das internationale Interesse an dem Fall zum Ausdruck bringen. „Menschen, die schutzlos dem Unrecht ausgesetzt sind, kann manchmal nur unsere Aufmerksamkeit schützen und so ihre Peiniger von weiteren Untaten abhalten“, sagt der Abgeordnete. In Teheran müsse das Signal ankommen: Salehi ist nicht allein.
Muster staatlicher Gewalt gegenüber Kritikern
Nouripour verweist auf das Schicksal seiner anderen iranischen Patin, der Kinder- und Frauenrechtlerin Nasrin Sotoudeh, einer Symbolfigur der iranischen Bürgerrechtsbewegung, die während eines Hafturlaubs verprügelt wurde. Von Einschüchterungen über gewaltsame Festnahmen, ungerechtfertigte Anschuldigungen, unfaire Verfahren und ungerechte Urteile bis hin zu inhumanen Haftbedingungen und Folter: Man habe es hier mit einem Muster staatlicher Gewalt zu tun, das darauf ziele, Kritiker und Oppositionelle einzuschüchtern und mundtot zu machen.
Die politische Lage im Iran sei weiterhin von staatlicher Willkür und Repression gekennzeichnet, erklärt Nouripour. Die Menschenrechte würden ebenso missachtet wie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte der Vereinten Nationen, zu dessen Vertragsparteien der Iran gehört. Den Menschenrechten und der Rechtsstaatlichkeit im Iran zum Durchbruch zu verhelfen, sei eine sehr schwierige und langfristige Aufgabe. Darüber hinaus gelte es immer wieder, sehr schnell Einzelnen zu helfen, die wegen ihres Engagements verfolgt werden.
Unterstützung für Toomaj Salehi
Schon lange sei er ein Fan von Salehis Rap-Musik gewesen, verrät Nouripour: „Das ist einfach phantastische Musik.“ Mit einem Video auf Instagram habe er sofort seine Solidarität mit Salehi zum Ausdruck gebracht und die Freilassung des Rappers gefordert. Diejenigen, die sich dafür hergegeben hätten, ihn zu verschleppen, trügen die volle Verantwortung für dieses Verbrechen.
Über Familienangehörige, denen die Erreichbarkeit zu ihrem Sohn, Bruder beziehungsweise Neffen von den Behörden erschwert werde, habe er Kontakt zu Salehi aufgenommen und dem Musiker seine Patenschaft als Parlamentarier im Rahmen des PsP-Programms des Deutschen Bundestages angetragen. Diese wie auch Salehi selbst hätten seinem Engagement sofort zugestimmt.
Zum Glück, so Nouripour, kümmere sich eine größere Zahl von Unterstützern um Toomaj Salehi: Einzelpersonen aus der Zivilgesellschaft, aber auch Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Mittlerweile wurden dem Iraner mehrere Ehrenmitgliedschaften verleihen, beispielsweise von Städten oder dem PEN-Club. Das PsP-Programm des Bundestages ist für den Abgeordneten einer von vielen Bausteinen, die alle zusammenwirkten.
Schutz durch das PsP-Programm
Bereits einhundert Bundestagsabgeordnete setzen sich in der laufenden Wahlperiode mit einer Patenschaft im PsP-Programm für bedrohte Kolleginnen und Kollegen sowie für Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler auf der ganzen Welt ein. „Es ist ein hervorragendes Programm mit einer hohen Reichweite und Reputation“, sagt Nouripour. Die politische Signalwirkung einer Patenschaft und die schützende Wirkung des Programms dürfe man nicht unterschätzen. Unrechtsregime verhielten sich anders, wenn sie wissen, dass man ein Auge auf die von ihnen Drangsalierten wirft. Für Letztere sei es ein Hoffnungsschimmer.
Bedrohten oder gar Inhaftierten, die sich für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen, zu helfen, sei für ihn als Abgeordneter des deutschen Parlaments selbstverständlich: „Ich kann mein Mandat frei ausüben, ich sitze hier im Trockenen an einem sicheren Schreibtisch.“ Außerdem hätten deutsche Politiker die völkerrechtliche Verpflichtung, sich für die Menschenrechte einzusetzen, so das stellvertretende Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.
Toomaj Salehi stehe stellvertretend für viele im Iran und darüber hinaus, die politisch verfolgt werden. Ihnen allen seien die Patenschaften im PsP-Programm gewissermaßen gewidmet, um ihnen Mut zu machen, die Täter aber von weiteren Untaten abzuhalten. Für Nouripour darf es eine Normalisierung der deutsch-iranischen Beziehungen nicht geben, solange die Machthaber in Teheran weiter Jagd auf Oppositionelle und Kritiker machen. (ll/03.05.2024)