Bundesregierung verspricht Digitalisierungsoffensive
Die Bundesregierung will das Gesundheitssystem mit digitalen Angeboten systematisch ausbauen und damit die Versorgung der Bevölkerung verbessern. Über Neuerungen im Hinblick auf die elektronische Patientenakte (ePA) hat der Bundestag am Donnerstag, 9. November 2023, im Plenum beraten. Den Abgeordneten lagen dazu die Gesetzentwürfe der Bundesregierung „zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz – DigiG, 20/9048) und „zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten“ (Gesundheitsdatennutzungsgesetz – GDNG, 20/9046) vor.
Die beiden jetzt vorgelegten Gesetzentwürfe zur Digitalisierung seien der Einstieg in eine umfassende Modernisierung der Leistungen, erklärten Redner der Ampel-Fraktionen. Während die Union die geplanten Reformen für grundsätzlich sinnvoll hält, meldeten Redner von AfD und Linke erhebliche Sicherheitsbedenken an, was die Nutzung der Patientendaten angeht. Beide Regierungsvorlagen überwiesen die Abgeordneten im Anschluss an die Debatte zur weiteren Beratung an den federführenden Gesundheitsausschuss.
Gesetzentwürfe der Bundesregierung
Das Digitalgesetz der Bundesregierung (20/9048) sieht vor, dass Anfang 2025 die elektronische Patientenakte (ePA) für alle gesetzlich Versicherten eingerichtet wird. Das elektronische Rezept (E-Rezept) soll bereits 2024 verbindlich werden. In der ePA können medizinische Befunde und Informationen aus Untersuchungen und Behandlungen gespeichert werden. Allerdings wird die freiwillige Anwendung bisher selten genutzt, daher wird auf das sogenannte Widerspruchsverfahren (Opt-out) umgestellt. Wer die Akte nicht nutzen möchte, kann widersprechen.
Das Ziel ist den Angaben zufolge eine vollumfängliche, weitgehend automatisiert laufende Befüllung der ePA mit strukturierten Daten. Der erste Anwendungsfall sei der digital gestützte Medikationsprozess. Als nächste Anwendungen sollen die Elektronische Patientenkurzakte (ePKA) und die Labordatenbefunde folgen. Das E-Rezept wird dem Entwurf zufolge ab dem 1. Januar 2024 als verbindlicher Standard etabliert. Die Nutzung soll über eine ePA-App stark vereinfacht möglich sein. Die Telemedizin wird fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung. Insbesondere Videosprechstunden sollen künftig umfassender eingesetzt werden. Dazu sieht der Entwurf eine Aufhebung der Mengenbegrenzungen vor. Ferner zielt die Reform auf die stärkere Nutzung Digitaler Gesundheitsanwendungen (DiGA). Der Leistungsanspruch soll auf digitale Medizinprodukte höherer Risikoklassen ausgeweitet werden, um beispielsweise auch telemedizinisches Monitoring zu ermöglichen.
Mit dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) (20/9046) ist das Ziel verbunden, Gesundheitsdaten für gemeinwohlorientierte Zwecke leichter und schneller nutzbar zu machen. Dazu wird eine dezentrale Gesundheitsdateninfrastruktur mit einer zentralen Datenzugangs- und Koordinierungsstelle aufgebaut. Mit der Novelle sollen bürokratische Hürden gesenkt und die Forschung gestärkt werden. Auch für die Datenfreigabe aus der elektronischen Patientenakte wird ein Opt-Out-Verfahren eingeführt, um die Daten aus der Akte zu Forschungszwecken besser nutzbar zu machen.
Regierung: Daten sind unerlässlich
Gesundheits-Staatssekretär Edgar Franke (SPD), der für den erkrankten Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Gesetzentwürfe einführte, erinnerte an die Corona-Pandemie und die Entwicklung von Impfstoffen in Rekordzeit. Zur Wahrheit gehöre jedoch auch, dass viele wichtige Daten zu dem Impfstoff damals aus Israel gekommen seien und nicht aus Deutschland. Forschung sei ohne effektive Daten kaum noch möglich. Und Deutschland stehe nicht gut da im internationalen Vergleich. Um gegen zunehmende Volkskrankheiten gewappnet zu sein, seien Daten unerlässlich.
Franke betonte, die Digitalisierung werde die Arbeit erleichtern und die Versorgung verbessern. Mit der ePA könne die Krankengeschichte von Patienten systematisch erfasst werden. Damit werde Zeit für die Patienten gewonnen und Bürokratie reduziert. Ärzte und Fachangestellte könnten sich auf das Wesentliche konzentrieren. Derzeit scheitere die Datennutzung häufig an unterschiedlichen rechtlichen Regelungen auf den verschiedenen politischen Ebenen. „Am Ende sehen manche den Wald vor lauter Bäumen nicht.“ Nun werde durch einheitliche Regelungen die nötige Klarheit geschaffen. Es sei überfällig, in der Digitalisierung eine Aufholjagd zu beginnen.
CDU/CSU teilt Reformziele
Erwin Rüddel (CDU/CSU) machte deutlich, dass die Unionsfraktion die Reformziele grundsätzlich teilt. Er forderte jedoch einige Änderungen an den Vorlagen. Fragwürdig ist aus seiner Sicht die Aufnahme unstrukturierter Daten in die ePA, weil diese Daten nicht systematisch durchsucht und ausgewertet werden könnten. Wichtig sei auch die konsequente Weiterentwicklung der Telemedizin.
In der Corona-Pandemie sei deutlich geworden, wie offen die Menschen gegenüber dieser neuen Technik seien. Die Gleichwertigkeit der Telemedizin zu analogen Leistungen dürfte nicht auf Videosprechstunden begrenzt werden. Rüddel betonte: „In einer Welt, die sich ständig weiter entwickelt, ist die Integration digitaler Technologien im Gesundheitswesen ein unumgänglicher Fortschritt, der das Potenzial hat, das Leben von Millionen zu verbessern.“ Es gelte allerdings auch: „Gesundheitsschutz muss dem Datenschutz auf Augenhöhe begegnen.“
Grüne: Meilenstein nach überfälliger Modernisierung
Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen) sieht in den Vorlagen einen Meilenstein bei der überfälligen Modernisierung des Gesundheitswesens. Die Gesetzentwürfe werden nach seiner Überzeugung dazu beitragen, die Versorgung kranker Menschen und die Forschung deutlich zu verbessern. „Wir bringen Deutschland zurück auf die Überholspur, anschlussfähig an ein modernes Gesundheitswesen.“ Deutschland habe bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen viele Jahre verloren. „Wir laufen der Entwicklung im Schnitt 15 Jahre in Europa hinterher, damit ist jetzt Schluss.“
Mit der ePA bekämen Patienten quasi eine Datenbrille und könnten sehen, was über sie gespeichert sei und dann selbst entscheiden, wer noch Einblick in die Daten erhalte. Der Alltag „mit Zettelwirtschaft aus der Mottenkiste“ werde in das digitale Zeitalter überführt. Als Beispiele nannte er den digitalen Mutterpass, den digitalen Impfpass, das E-Rezept oder die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Deutschland hole in der Digitalisierung jetzt auf.
AfD: Estland als Vorbild bei Nutzung von Gesundheitsdaten
Eher skeptisch äußerten sich Redner von AfD und Linksfraktion und stellen die Datensicherheit in den Vordergrund. Barbara Benkstein (AfD) sagte, es gehe im Kern um die Sicherheit und den Schutz der Patientendaten sowie um den Nutzen für die Patienten. Bei der ePA sei der „Pferdefuß“, dass Patienten der angestrebten Datennutzung aktiv widersprechen müssten.
Sie forderte eine bessere Aufklärung der Bevölkerung zu dem Thema. Deutschland könne im Umgang mit Gesundheitsdaten von Estland lernen, dort müssten alle Zugriffe auf Gesundheitsdaten begründet werden. Bei Missbrauch drohten Strafen. So funktioniere digitale Sicherheit im Gesundheitsbereich.
Linke warnt vor Missbrauch von Gesundheitsdaten
Ähnliche Bedenken äußerte Kathrin Vogler (Die Linke), die einen Missbrauch von Gesundheitsdaten befürchtet. „Den gläsernen Patienten lehnen wir aus guten Gründen ab.“ Digitalisierung sei gut, wenn sie Forschung und Prävention stärke und die Behandlung der Patienten optimiere. Dafür seien verständliche und zuverlässige Strukturen nötig, die den Prinzipien von Datenschutz und Datensparsamkeit gerecht würden. Patienten müssten immer selbst entscheiden können, wer ihre Daten nutzen dürfe. Sie warnte in dem Zusammenhang vor einer möglichen Stigmatisierung von Patienten mit bestimmten Krankheiten.
Die Selbstbestimmung der Patienten dürfe nicht ausgehebelt werden. Das geplante Opt-Out-Verfahren bei der ePA sei unverantwortlich. Sie fügte hinzu: „Es gibt ein unermessliches kommerzielles Interesse an diesen unseren Gesundheitsdaten.“ Am Ende sei kaum noch kontrollierbar, was mit den Daten passiere. Sie warnte die Koalition: „Bei Ihrem Gesundheitsdaten-Bullerbü gibt es offenbar keine Datenlecks und keine Hacker, aber das hat mit der Realität doch nichts zu tun.“
FDP: Einstieg in die Digitalisierung im Gesundheitswesen
Die FDP-Fraktion sieht hingegen mit den jetzigen Reformen erst den Einstieg in die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Maximilian Funke-Kaiser (FDP) erinnerte an den 20-jährigen Vorlauf der elektronischen Patientenakte, ein Versprechen, das nun endlich eingelöst werde. Die Nutzung der ePA werde vereinfacht, der Funktionsumfang erweitert.
Die Digitalisierung dürfe aber nicht stehenbleiben, machte der FDP-Politiker klar, und sprach als Zielvorstellung von einem „persönlichen Gesundheitsdatenraum“ in der Zukunft. Die Digitalisierung stehe für die Neugestaltung der gesamten Prozesse. Datenschutz und Datennutzung seien dabei keine Gegensätze.
SPD: Das Leben für Patienten einfacher machen
Zuversichtlich äußerte sich auch Matthias David Mieves (SPD), der in seiner Rede auf das Schicksal von Patienten einging, die von einer Digitalisierung konkret profitieren würden. Es gehe bei den Reformen auch darum, das Leben für Patienten einfacher zu machen.
So beklagten manche Patienten, dass sie bei einer Krebsbehandlung immer wieder die gleichen Tests absolvieren müssten, das sei unangenehm und koste Zeit. Damit könne jetzt Schluss sein. Die Testergebnisse könnten künftig in der ePA gespeichert und von Ärzten abgerufen werden. Damit werde Zeit geschaffen für das, worauf es wirklich ankomme.
Antrag der Linken
Zur Beratung im Plenum stand außerdem ein Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Elektronische Patientenakte zum Wohl der Versicherten nutzen“ (20/8798), der ebenfalls an den Gesundheitsausschuss überwiesen wurde. Darin fordert die Linksfraktion begleitende Regelungen zugunsten der Versicherten bei der Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA).
Das Versagen bei der Einführung der ePA dürfe nicht durch die automatische Zuweisung einer ePA (Opt-out) kompensiert werden, sondern bedürfe weitreichender Verbesserungen, heißt es in ihrem Antrag. Eine Opt-out-Regelung für die ePA könne den informierten Einstieg in die Vorteile der digitalen Aktenführung deutlich erleichtern, schreiben die Abgeordneten. Das höhere Maß an Verbindlichkeit durch die Opt-out-Variante müsse jedoch durch eine Reihe von Regelungen flankiert werden, die das Vertrauen von Versicherten und Leistungserbringern in die ePA stärken.
Gefordert wird unter anderem, dass auch für Menschen ohne Smartphone oder Onlinezugang oder mit eingeschränkten Nutzungskompetenzen der Widerspruch gegen eine elektronische Patientenakte sehr einfach möglich sein müsse. Einen Opt-out bei der Weitergabe der persönlichen Gesundheitsdaten dürfe es nicht geben. Lese- und Schreibrechte an Dritte müssten immer aktiv gegeben werden. Eine zentral entwickelte ePA-App muss nach Ansicht der Linken zudem unabhängig von Krankenkassen zu beziehen sein. Außerdem müsse die ePA spätestens mit Einführung der Opt-out-Lösung einen erlebbaren Mehrwert für Versicherte und Leistungserbringer bieten. Dafür müsse sie mit strukturierten Daten bestückt werden können. (pk/hau/09.11.2023)